Vier Monate war es jetzt fast her, dachte er sich zurück, während er Richard zurückrief.
„Na endlich rufst du zurück“, bruddelte Richard.
„Na hör mal. Begrüßt man so seine Freunde?“, entgegnete Frank. „Was kann ich denn für dich tun?“
„Ich steh gerade vor deinem Haus und keiner ist daheim.“
„Wundert´s dich bei dem Wetter?“
„Eigentlich nicht. Wo bist du denn?“
„Auf dem Faschinajoch, in Österreich.“
„Wo ist das denn?“
„Bregenzer Wald.“
„Ach du meine Güte. Wann bist du wieder da?“
„Wenn alles gut läuft gegen sechs Uhr heute Abend. Ich sag dir, wo der Schlüssel ist, falls du rein willst. Andererseits kannst du wieder mal Konstanz fahren. Da kennst du dich ja aus“, feixte Frank. Er spielte damit auf Richards Hang zum weiblichen Geschlecht an. Jener übte, trotz oder vielleicht gerade wegen seines Alters, eine gewisse Anziehungskraft auf Frauen aus.
Es schien, als würde Richard mit jemanden reden.
„Also gut. Ich nehme an, du kommst in Konstanz am Hafen an. Oder fährst du mit dem Rad am See entlang?“
„Dann würde ich nicht heute Abend um sechs daheim sein. Ich fahr jetzt von Bregenz mit der Fähre nach Konstanz. Von dort dann zurück nach Öhningen. Also treffen wir uns in Konstanz?“
„So machen wir es.“
„Gut bis dann. Amüsiere dich gut“, lachte Frank und legte auf.
Er verabschiedete sich von Fred, um kurz darauf mit seinem Rennrad durch die Galerie nach Damüls zu düsen, um von dort links auf das Furkajoch abzubiegen, seiner Gulaschsuppe entgegen.
Diesen Freitag war erstaunlich wenig los hier oben, dachte Frank, als er sein Rad an der Hütte abstellte. Der Betreiber kannte ihn bereits, weil Frank bei seinen Touren des Öfteren Station machte.
„Da ist er ja wieder, unser Dauerradler“, sagte der Mann, dessen Name Franz war, in breitem österreichischem Dialekt.
„Hallo Franz. Wieder Gulaschsuppe mit einer Spezi.“
„Aber gern doch. Du siehst aus, als wärst übers Faschinajoch geradelt.“
Frank bejahte, während er ihm die Geschichte von Fred mit dem Mountainbike erzählte.
„Dieser Fred, ist fei a Rennfahrer. Und kein schlechter. Ich würde mir überlegen, mit dem auf die Bieler Höhe zu fahren. Mit einem leeren Akku am Mountainbike kommen die wenigsten auf dem Rad hoch. Da musst a mordsmäßige Kondition haben. Wenn du an dem vorbeigezogen bist, alle Achtung.“
Frank grinste frech, während beide noch ein wenig übers Radfahren fachsimpelten. Franz war aus seiner Hütte gekommen und hatte sich zu ihm an den Tisch gesetzt.
„Wenig los heute hier, obwohl Freitag ist.“
„Es ist halt noch so warm“, jammerte er. „Da gehen die Leute lieber unten am See baden oder flanieren. Außer ein paar Wanderern und einem Radfahrer war heute noch niemand hier.“
„Der eine Radfahrer bin ich, nehme ich an“, grinste Frank.
„Richtig. Kommst du dieses Jahr noch mal hoch? Die Saison ist ja jetzt bald vorbei.“
„Vielleicht im Oktober auf meiner Abschlussrunde.“
Es kündigte sich Besuch in Form von älteren, mit Stöcken bewaffneten, Wanderern an.
„Ich muss. Laufkundschaft.“
Er gab ihm zum Abschied die Hand und verschwand wieder in seiner Hütte.
Frank hatte fertig gegessen. Es war jetzt kurz nach zwölf Uhr am Mittag. Zeit für die Rückfahrt. Denn die Fähre nach Konstanz ging um halb drei und es waren noch knapp fünfzig Kilometer bis zum Hafen in Bregenz. Er freute sich schon auf Richard. Frank war seit einer Woche im wohlverdienten Urlaub. Er plante noch die eine oder andere Tour am Bodensee oder in der Schweiz im Appenzeller Land. Die Wetteraussichten für die kommenden Tage waren recht gut.
Dass er am nächsten Wochenende nicht zum Radfahren kommen würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Um kurz nach zwei Uhr am Nachmittag erreichte Frank den Bregenzer Hafen.
Er genoss die knapp vierstündige Fahrt die ihn am Ostrand des Bodensees an Städtchen wie Lindau, Langenargen, vorbei an der Blumeninsel Mainau rüber nach Konstanz führte.
An Bord genehmigte er sich einen schwarzen Kaffee, den er auf Deck zu sich nahm. Frank genoss die warmen Strahlen der Septembersonne. Nach dem letzten Fall wollte er sein ursprünglich geplantes Sabbatical weiterführen, doch Richard bat ihn zu bleiben, um die neue Kommissarin, Lisa Danninger einzulernen. So etwas konnte man natürlich nicht ausschlagen. Bei diesen Gedanken musste er grinsen.
Mit einem sanften Ruck legte die Fähre in Konstanz an, nachdem sie von Immenstaad den Bodensee überquert hatte. Er schnappte sich sein Rad und verließ die Fähre.
Richard wartete in einem Café an der Hafenhalle. Frank war nicht zu übersehen. Augenscheinlich hielt er nach ihm Ausschau. Daraufhin nahm er sein Smartphone um ihn in besagtes Café zu lotsen.
Frank sah Richard von Weitem. Als er näher kam, stellte er fest, sein Kollege war nicht allein gekommen. Er war in Begleitung von Lisa Danninger, ihrer beider neuen Kollegin. Franks Puls schlug in etwa auf der Frequenz, die er vor ein paar Stunden die letzten Meter auf die Passhöhe des Faschinajochs hinaufgeradelt war. Lisa stand auf, kam auf ihn zu um ihn zu umarmen.
„Vorsicht, ich bin etwas verschwitzt und stinke wie ein alter Ziegenbock“, sagte Frank entschuldigend.
„Sowas macht mir gar nichts aus“, meinte sie, während sie ihm einen Kuss auf die linke Wange drückte.
Lisa Danninger hatte ihre blonden, schulterlangen Haare heute zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Frank ging zu Richard und beide umarmten sich freundschaftlich.
„Was führt euch beide hierher?“, fragte Frank.
„Das weißt du nicht?“, erwiderte er erstaunt.
„Nö, ehrlich gesagt nicht.“
„Denk mal scharf nach, was heute vor zwanzig Jahren war“, gab ihm Richard als Denkanstoß.
Frank nahm seinen Helm ab, kratzte sich am Kopf.
Langsam dämmerte es ihm. Heute vor zwanzig Jahren hatte er zum ersten Mal mit Richard Bauer ermittelt. Lange war es her. Er konnte sich nicht mal mehr genau an den Fall erinnern, den sie zuerst gemeinsam hatten.
„Ah, mein Dienstjubiläum“, stellte er daraufhin fest.
„Richtig. Du hast wohl gedacht, wenn du dir in der Zeit Urlaub nimmst, kommst du drum rum.“
Richard tadelte ihn mit dem Zeigefinger und lachte.
„Zwanzig Jahre ermittelt ihr schon zusammen?“, staunte Lisa, „Damals war ich gerade mal elf Jahre. Wie die Zeit vergeht.“
Sie erzählten Lisa noch ein paar Anekdoten aus ihrer gemeinsamen Dienstzeit, während Frank sich einen Kaffee bestellt hatte. Als Richard auf die Uhr sah, war es bereits halb sieben.
„Zeit zu fahren. Du hast doch nichts dagegen, wenn wir es uns bei dir gemütlich machen.“
„Eigentlich nicht. Aber vorher gehen wir was Essen. Ich habe Hunger“, sagte Frank, der erst jetzt bemerkte, wie sein Magen grummelte, augenscheinlich und hörbar nach Essen verlangte.
„Wie kommst du nach Hause? Sollen wir dein Rad bei mir hinten rein laden?“
„Passt nicht. Mach dir keine Sorgen. Ich schaff die fünfundzwanzig Kilometer in weniger als einer Stunde“, lachte er.
„Also treffen wir uns bei dir?“
„So machen wir es“, erwiderte Frank.
Er war tatsächlich in rekordverdächtigen fünfundvierzig Minuten an seinem Haus in Öhningen angekommen.
Er wäre wahrscheinlich noch schneller gewesen, hätte ihn nicht unverschämterweise eine schwarze Mercedes-Limousine mit Stuttgarter Kennzeichen zu einer Vollbremsung gezwungen, als dessen Fahrer meinte, drei Autos auf einmal überholen zu müssen, und Frank auf der Gegenfahrbahn dabei fast von der Straße drängte. Dass er diese Limousine bald in einem anderen Zusammenhang wiedersehen würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
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