„Zeit fürs Mittagessen.“
„Ach du Schreck, habe ich noch gar nicht bemerkt“, seufzte Frank und verdrehte seine Augen.
Sie gingen gemeinsam in die Kantine, wo ihnen schon von Weitem der Duft von gebratenem Fleisch, besonders bei Frank, in die Nase stieg. Dort trafen die drei auf Walter Riegelgraf sowie Adelbert Herzog, die bereits mit dem Verzehr ihrer Maultaschen beschäftigt waren.
„Mahlzeit die Herren“, sagte Richard und blickte zu dem Rechtsmediziner auf den Teller.
„Schmeckt´s“, fragte er nach.
„Bis du gekommen bist, hat´s geschmeckt. Jetzt nicht mehr. Aber ich bin ja zum Glück schon fertig“, gab dieser lakonisch zurück. Damit lieferte er Richard natürlich eine Steilvorlage, die dieser dankend aufnahm, um sie sicher wie einen Elfmeter im Fußball zu verwandeln.
Es folgte ein erster verbaler Schlagabtausch, der letztlich jedoch zugunsten von Walter Riegelgraf ausging. Frank saß derweil etwas lustlos über seinen Spaghetti, da das sonstige Essensangebot heute nicht seinen Vorstellungen, respektive hohen Erwartungen, entsprach.
„Hast du schon was rausgefunden?“, fragte er Adelbert Herzog, während er sich mühte, die Spaghetti halbwegs unbeschadet in den Mund zu bekommen.
„Wenn die Kollegen den Computer bald mal vorbeibringen würden, wäre dies sicher hilfreich. Ansonsten nichts Neues. Keine Einbruchsspuren oder dergleichen. Ich gehe davon aus, er kannte seinen Mörder. Was dann schon mal auf eine Beziehungstat hindeutet.“
„Was ist mit dem Toten?“, wollte Richard von Walter Riegelgraf wissen.
„Das willst du nicht beim Essen hören. Am besten ihr kommt nachher zu mir in die Rechtsmedizin. Ein bisschen Bewegung tut dir auch ganz gut.“
Er blickte zu Richards Bauch, dann auf seinen Teller.
„Kein Problem. Läufst du mit oder wirst du gefahren?“, frotzelte Richard.
„Selbstverständlich laufe ich mit. Was denkst du von mir?“
Die Rechtsmedizin von Walter Riegelgraf befand sich Kellergeschoß des Katharinenhospitals. Zu Fuß war man bei strammer Laufweise in etwas weniger als zwanzig Minuten dort. Walter Riegelgraf nutzte diese Zeit meist für einen Spaziergang, um dem, wie er es immer nannte, Geruch des Todes zu entkommen.
Nachdem Frank, letztlich vom Hunger getrieben, die Spaghetti vertilgt hatte, liefen sie gemeinsam Richtung Katharinenhospital. Manfred war bei Adelbert Herzog geblieben, um sich von ihm auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Außerdem gab es ihm immer noch ein kleines Verdauerle, in Form eines selbstgebrannten Obstlers, wie er es nannte. Jener brannte in seiner Freizeit den ein oder anderen Schnaps, hochoffiziell und legal, wie er stets betonte. Dies war im gesamten Präsidium bekannt, den meisten davon war die Legalität der Herstellung egal, und wurde allseits in Anspruch genommen.
In der Rechtsmedizin, im Kellerbereich des angesehenen Katharinenhospitals, strömte ihnen bereits der Geruch der Pathologie in die Nase. Yvonne die flippige Assistentin von Walter Riegelgraf reinigte gerade das Obduktionsbesteck, als er mit Frank und Richard kam.
„Wir haben Besuch.“
Yvonne drehte sich um, schaute freundlich zu den dreien hinüber und grüßte sie mit schwingenden Scheren, Skalpellen, die sie gerade zur Reinigung in die dafür vorgesehene Spülmaschine legte.
„Er liegt da drüben. Ich wollte ihn gerade wegräumen“, sagte sie, wie beiläufig.
Der tote Kai Uwe Metzinger lag auf dem Edelstahltisch und war mit einem weißen Laken zugedeckt.
„Um es vorwegzunehmen“, begann Walter Riegelgraf, „Es war kein Selbstmord. Da hat jemand eine Mordswut auf ihn gehabt, um das mal vorsichtig auszudrücken.“
Die beiden Kommissare wurden neugierig.
„Erklär mal näher“, sagte Frank.
Sie standen alle drei, am Kopfende um den Edelstahltisch, auf dem der Tote lag. Walter zog das weiße Laken bis zur Hälfte zurück. Beim Anblick der Hämatome und Blutergüsse, die auf dem Oberkörper von Kai Uwe Metzinger zu sehen waren, musste Richard unwillkürlich durch die Zähne pfeifen.
„Mein lieber Mann. Da hat wirklich einer Wut gehabt“, stellte er fest.
„Hat er die Blessuren alle vor seinem Tod bekommen?“, wollte Frank wissen.
„Ja, definitiv. Er hat eine Nierenprellung, zwei gebrochene Rippen, multiple Quetschungen am ganzen Körper, eine lädierte Nase, ein gebrochenes Jochbein sowie eine Schädelfraktur. Dass die nicht tödlich gewesen ist, hat mich sehr gewundert. Der muss einen ziemlichen harten Schädel gehabt haben. Was letztlich tödlich war, war entgegen meiner ersten oberflächlichen Einschätzung, ein Stich mit dem Messer direkt ins Herz.“ Er zeigte mit dem Finger auf die Wunde zwischen der vierten und fünften Rippe.
„Was für ein Messer?“, erkundigte sich Richard. Er wusste, bei Tötungsdelikten mit dem Messer war meist ein emotionaler Hintergrund gegeben, denn anders als beim Schusswaffengebrauch kam man hier dem Opfer sehr nahe.
„Küchenmesser. Aber kein handelsübliches.“ Walter Riegelgraf wusste, worauf Richard anspielte.
„Die Einstichstelle ist sehr sauber. Fast wie mit einem Skalpell. Nur größer. Wenn ich nicht ganz falsch liege, und so etwas tue ich fast nie“, stellte er nicht ohne Stolz fest, „tippe ich auf ein sogenanntes Damaszener Messer. Diese Klingen sind mehrfach gehärtet, stabil und mindestens so scharf wie ein Skalpell.“
„Die Mordwaffe war also ein Küchenmesser“, stellte Frank fest.
„Davon gehe ich aus. Wahrscheinlich eins vom Opfer selbst. Wer bringt denn schon so ein Messer mit“, sinnierte Walter Riegelgraf.
„Das heißt aber auch, der Täter hatte die Tat so nicht unbedingt geplant“, folgerte Richard.
„Den Verletzungen nach nicht. Ich persönlich vermute, er hat ihn vorher gefoltert, um an irgendwelche Informationen zu kommen. Als er die dann bekam oder auch nicht, hat er ihn umgebracht. Das rauszufinden, ist eure Aufgabe. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen. Ach, noch etwas ihr zwei. Ich weiß nicht, ob es für euch wichtig ist. Aber die Verletzungen stammen nicht vom selben Tag, die sind mindestens zwölf Stunden älter.“ Er sah auf seine Uhr und stellte fest, es war für ihn an der Zeit Feierabend zu machen.
Er war noch am Leben, nachdem man ihn malträtiert hatte, dachte Frank, der diese Information in seinem Hinterkopf abspeicherte.
Sie verabschiedeten sich, um wieder nach draußen zu gehen, wo sie, nach der gespenstischen Ruhe in der Abgeschiedenheit der Pathologie, der laute Straßenlärm der Kriegsbergstraße wie der sinnbildliche Schlag ins Gesicht traf.
„Was meinst du?“, wollte Richard wissen, als sie den Weg zum Präsidium zurückgingen. Sie hatten sich entschieden, über den Schlossplatz zu laufen, um dort vorm Königsbau, noch einen Kaffee zu trinken und das schöne Wetter zu genießen.
„Ich meine, wir sollten im näheren Umfeld des Opfers suchen. Die Tochter und die Ex-Frau waren über den Tod von ihm nicht unbedingt traurig. Wahrscheinlich erben sie jetzt sein ganzes Vermögen. Was nicht wenig sein dürfte. Also wäre ein Motiv schon mal vorhanden.“
„Wir müssen schauen ob, sie ein Alibi haben.“
„Selbst wenn sie eins haben, muss dies ja nicht zwangsläufig heißen, dass sie nichts mit dem Mord zu tun haben. Könnte auch ein Auftragsmord gewesen sein“, meinte Frank.
„Was ist mit seiner Kundendatei? Da wären ebenfalls potenzielle Verdächtige drauf.“
„Ja, zum Beispiel Engler“, stellte Frank süffisant fest, „Wenn er wiederkommt, frage ich ihn gleich nach seinem Alibi.“
„Was mich stört, ist dieses Messer. Ich vermute eine Tat mit emotionalem Hintergrund. Also würde meiner Meinung nach schon einiges für Mutter oder Tochter sprechen.“
„Oder beide. Aber du vergisst die anderen Verletzungen. Die können sie ihm nicht beigebracht haben. Um jemanden die Rippen oder die Nase zu brechen, brauchst du Kraft. Die beiden waren recht zierliche Personen. Ich glaube, dass es ein Mann war.“
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