1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Gwynn macht die beiden miteinander bekannt. „Das ist Duncan McKell“, sagt sie, und auf ihre Freundin zeigend: „Darf ich vorstellen, Duncan? Sandra Pearson.“
Duncan lächelt höflich, verjüngt die Begrüßung jedoch auf ein kurzes Händeschütteln, weist mit der Linken zu einer Tür neben der Rezeption und sagt: „Folgen Sie mir.“
„Viel Glück“, sagt Gwynn und entfernt sich in eine andere Richtung.
Über einen hellen Marmorboden gehen Sandra und Duncan auf die dunkle Holztür zu. Duncan dreht am Messingknopf, und schon befinden sie sich in einem getäfelten Kaminzimmer, in dem es herrlich warm ist. Im Kamin prasselt ein Feuer, und Sandra und Duncan nehmen in den Sesseln davor Platz.
„Sie suchen einen Job“, sagt Duncan, als könne er Gedanken lesen.
„Das ist richtig“, erwidert Sandra. „Ich habe in Bristol Restaurantfachfrau gelernt. Gwynneth sagte, Sie könnten vielleicht jemanden gebrauchen?“
„Haben Sie Zeugnisse dabei?“
„Leider nein. Ich war lange Zeit in Berlin und bin gerade erst wieder zurückgekommen.“
Duncan runzelt die Stirn.
Sandra nimmt einen tiefen Atemzug. Die anfänglich positive Einschätzung seiner Person bröckelt.
„Was haben Sie in Berlin gemacht?“, fragt er, während er sich zurücklehnt und die Beine lässig übereinanderlegt.
Sandra meint zu erkennen, dass er eine Abwehrhaltung einnimmt und sinniert, wie sie die Situation retten könnte. Um den heißen Brei reden? Das hat sie bei Jessica nun lange genug getan. Davon hat sie die Nase so was von voll. Klaren Wein einschenken? Ihm sagen: ‚Dies und jenes und alles und nichts und gleichzeitig ein Kind großgezogen?‘ Doch bevor sie sich weitere Optionen ausdenken kann, gerät sie in Zugzwang.
„Und?“ Duncan sitzt da, hat die Hände ums hochgelegte Knie gefaltet und lässt seine Daumen umeinanderkreisen.
Sandras Sympathie für ihn löst sich gerade in Wohlgefallen auf. Sie beugt sich ein wenig vor. „Gwynn sagt, dass sie dringend jemanden brauchen. Ich bin auf der Suche nach einem Job. Was ist Ihnen wichtiger: Die freie Stelle zu besetzen, damit die Arbeit erledigt wird, oder irgendwelche Zeugnisse zu lesen, die sowieso niemals objektiv sind. Und dann auch noch in Deutsch! Wie gesagt, ich habe eine entsprechende Ausbildung und reiche Ihnen dieses Zeugnis gerne nach. Mehr habe ich nicht. Was ist das denn für eine Stelle, die sie besetzen müssen?“
Duncan erhebt sich und geht auf Sandra zu. Er reicht ihr die Hand und hilft ihr aus dem Sessel. Gemächlich geht er auf die Tür zu.
Sandra folgt ihm. ‚Das war’s‘, denkt sie. ‚Dieses wortkarge Arschloch hat meine Schwäche erkannt. Wieso auch nicht, so, wie ich aussehe. Abgemagert, blass, die Haare zerzaust und glanzlos. Wer soll mir schon etwas zutrauen?‘
Er öffnet die Tür, lässt Sandra in die Halle treten und geht dann neben ihr her. Doch anstatt sie zum Ausgang zu dirigieren, führt er sie zum Aufzug. Sie betreten ihn, Duncan drückt auf -1, und dann geht es lautlos nach unten. Der Korb aus Mahagoniholz und Spiegeln hält mit einem kaum spürbaren Ruck und verkündet seine Ankunft mit einem leisen ‚Bing‘. Sanft öffnet sich die Lifttür und gibt den Blick auf einen langen Flur frei, der sich nach links und rechts ausdehnt. ‚Willkommen in unserem Spa-Bereich‘, sagt ein Schild. Wieder lässt Duncan Sandra den Vortritt. Mit einem unmissverständlichen Handzeichen lenkt er sie nach links. Sie steuern geradewegs auf eine Bade- und Saunalandschaft zu. Obwohl sie noch einige Yards davon entfernt sind, kann Sandra schon die wohltuende Wirkung auf die Sinne spüren. Dieser Bereich hier unten hat Atmosphäre. Hat sie jemals eine Sauna besucht? Hat sie jemals in solch einem Bad geschwommen oder Anwendungen für Körper, Geist und Seele empfangen? Nein, noch nie. Bisher kannte sie Spa-Bereiche nur von Bildern.
Während Sandra gerade die Zeit vergisst, öffnet Duncan eine Glastür. Sie betreten ein Schwimmbad, das durch blau scheinendes Wasser, viel Sonnenlicht und Düfte besticht.
„Lassen Sie sich nicht von den Leuten stören, die da gerade schwimmen“, sagt Duncan. „Für einen ersten Eindruck reicht der kleine Einblick sicher aus. Gefällt es Ihnen?“
Sandra nickt heftig, während sie mit den Tränen kämpft. Sie ist überwältigt von einem Gefühlgemisch aus Freude, Wellness, Gesundheit und Fitness.
Duncan scheint es nicht zu bemerken. „Gehen wir weiter“, sagt er. Durch die Glastür finden sie zurück in den Gang, lassen den Lift rechts liegen und betreten den Saunabereich. „Ich kann Ihnen heute nicht so viel zeigen“, gesteht er. „Das Spa ist gerade gut besucht, wie Sie sehen. Aber Sie sollten wissen, dass es hier unter anderem fünf verschiedene Saunen gibt: Eine finnische Trockensauna mit Temperaturen von 85°, eine Biosauna mit 65°, eine Rotlichtkabine, ein Dampfbad und eine Salzgrotte. Dazu haben wir großzügig ausgestattete Ruheflächen.“ Weiße Tücher auf Liegen und zahlreiche Badelatschen bestätigen die Betriebsamkeit des Wellnesstempels.
„Und da wäre auch noch die Massageabteilung. Darf ich bitten?“
Sie gehen zurück in den Flur, der auf der Seite, die den Lifts gegenüberliegt, mehrere Türen aufweist. Duncan weist mit der Hand darauf und sagt: „Das sind die Räume für die Anwendungen. Nicht nur Massagen. Wir haben zum Beispiel auch Hot Stones, Lymphdrainage, und sogar Schröpfen im Programm.“ Er klopft an eine der Türen, die gerade nicht als ‚besetzt‘ markiert ist. Als niemand sich rührt, öffnet er. „Das ist ein solcher Behandlungsraum.“
Etwas Derartiges hat Sandra noch nie gesehen. Würde die Ausstattung fehlen, dann könnte man ihn für einen Schuppen auf einem alten Bauernhof halten. Die Wände sind unverputzt, es lachen ihr nackte gelbe Steine entgegen. Ein kleiner Kamin umrahmt eine altertümlich anmutende elektrische Kreation, die ein echtes Feuer simuliert und ein wenig Wärme spendet. Der Rest der angenehmen Temperatur in diesem Raum kommt vom hell gefliesten Fußboden. Auf einem Sims über dem Kamin stehen Church Candles, und an den Wänden hängen Geräte wie Spaten, Harken, Heugabeln. Das kleine Fenster wird von zwei Fackeln spaliert, und daneben ragt ein schmales Regal aus Bambus in die Höhe, das kleinen bunten Tüchern, Seifen und Ölen ein Zuhause bietet. Mitten in diesem Raum steht eine komfortable graue Massageliege, die offenbar hydraulisch in der Höhe verstellt werden kann und so bequem aussieht, dass Sandra sich am liebsten gleich drauflegen würde.
„In der Reinigung für den Spa-Bereich herrscht gerade Unterbesetzung“, sagt Duncan. „Mit einer Stelle, die zu Ihrer Profession passt, kann ich leider nicht dienen. Aber wenn Sie sich mit einer Putzstelle in diesem Bereich nicht erniedrigt fühlen…“
„Ganz und gar nicht!“ Sandra schnieft, und Duncan reicht ihr ein Taschentuch.
„Lassen Sie uns zurück in mein Büro gehen.“
Das Feuer im Kamin prasselt immer noch, als sie sich in ihre Sessel setzen. Diesmal beugt Duncan sich vor und legt die Fingerspitzen aneinander. „Nun?“
„Gerne“, sagt Sandra, während sie sich die Augen trocknet. „Aber da ist noch was, das Sie wissen sollten.“
„Ich höre!“
„Es wäre nur vorübergehend.“
„Ein Jahr?“
„Eher weniger.“ Sandra bricht in Tränen aus.
Duncan scheint nicht zu wissen, wie er darauf reagieren soll. „Was ist mit Ihnen? Kann ich etwas für sie tun?“, fragt er nach einer endlos scheinenden Zeit.
Sie hebt die Schultern. „Ich weiß nicht, wie lange ich für Sie arbeiten kann“, bringt sie mühsam hervor.
„Ich verstehe nicht.“
„Nur solange eben, bis ich – bis ich – sterbe.“
Duncan atmet tief ein, antwortet aber nicht. Er legt die Zeigefinger aneinander und hält sie ans Kinn.
„Ich habe Krebs und vielleicht nur noch ein paar Monate zu leben.“ So langsam erholt sie sich wieder. „Ich habe hier kein Zuhause, keine Einkünfte, stattdessen eine achtjährige Tochter, die ihre Mutter nicht mehr lange sehen wird, aber fest daran glaubt, dass alles gut wird. Wenn ich bei Ihnen arbeiten würde, könnte ich sie in diesem Glauben bestärken. Es geht mir gar nicht ums Geldverdienen, Mr. McKell. Mir ist wichtig, dass Jessica sich so wohlfühlt wie irgend möglich, bevor es zu Ende ist mit uns beiden. Vielleicht wäre es möglich, dass sie mir Kost und Logis und ein kleines Taschengeld zur Verfügung stellen – für Jessica und mich – anstatt eines Gehalts? Was meinen Sie, wäre das möglich?“
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