Besänftigend versuchte ich auf die Frau einzuwirken: „Wer ist denn dann dieser Männe? Der Racker Ottkans?“ - „Racker, nur Racker. Mein Pudel natürlich. Aber das habe ich ihrer Kollegin doch am Telefon schon alles gesagt? Hört mir denn niemand zu?“
Ich nahm einen tiefen Schluck warmen, süßen Wassers.
Jetzt wanderte ich durch das mittägliche Rheydt auf der Suche nach ‚Männe‘, dem zwölfjährigen Pudel mit Namen ‚Racker‘. Frieda Ottkans war gestern zusammen mit ihrem Hund einkaufen gewesen. Zuhause dann bemerkte sie, dass zwar alle Einkaufstaschen vollzählig vorhanden waren, der Hund aber verschwunden. Andersherum wäre es ihr lieber gewesen.
Hatte jemand den zwölfjährigen Pudel entführt? Gestohlen? Die Polizei zeigte sich wenig interessiert. Hunde verschwanden in Rheydt alle Tage. Warum so viel Aufhebens darum, im Tierheim gab es doch genug davon!
Ich klapperte nach und nach die Geschäfte ab, die Frieda gestern besucht hatte. Zumindest die, die sie mir nach einigem Nachdenken nennen konnte. In einer Drogerie erinnerte man sich an die alte Dame: „Ja, so eine komische Alte.“ Die junge Verkäuferin mit der pinkfarbenen Strumpfhose unter dem zerrissenen Rock kaute seelenruhig auf irgendetwas herum. Ich wartete darauf, dass sie gleich einen Strahl Kautabaks in die Ecke spucken würde. „Die kommt immer am gleichen Tag in der Woche hierhin. Dann bindet die ihren komischen Köter ...“
„Ein Pudel“, erläuterte ich.
„Ja, sag ich doch. Also, die bindet den da draußen fest und dann kauft sie ein. Sie dürfen ja auch keinen Hund hier mit reinbringen. Ist verboten. Wegen der Drogeriewaren - und so.“
Ich nickte. „Und dann?“ - „Dann isse wieder gegangen. Nach dem Bezahlen. Da achten wir schon drauf, dass die Leute alle bez...“ - „Und der Hund?“
Die Verkäuferin sah mich merkwürdig an: „Der war doch draußen. Der musste nicht bezahlen, weil der hat ja nich‘ einkauft. Aber ich hab‘ doch schon gesagt, dass der nich‘ hier rein darf!“ Jetzt schüttelte sie den Kopf, genauso wie Frieda Ottkans.
„Nein, ich meine: Was war mit dem Hund weiter?“ - „Den hat sie mitgenommen, wie immer. Sie fragen aber auch komische Sachen.“
In all den Geschäften konnte man sich entweder an Frieda Ottkans nicht erinnern, oder - wenn doch - so gab es keine Auffälligkeiten. Ich war der Verzweiflung nahe. Wie sich nach längerem Fragen und Herumrätseln ergeben hatte, fehlte Frieda auch die Hundeleine. Für mich ein Indiz dafür, dass ihr Pudel gestohlen oder von ihr einfach vergessen worden war. Aber wo steckte der Köter?
Meine letzte Station wurde ein kleiner Kiosk am Rand der Einkaufsstraße. Ich machte mir wenig Hoffnung, denn in das kleine Geschäft konnte ich von außen nicht hineinsehen. Also galt dies mit Sicherheit auch in umgekehrter Richtung - von innen nach außen. Man würde somit in Bezug auf einen Hund vor der Tür nicht viel sagen können. ‚Reine Zeitverschwendung‘, dachte ich mir. Trotzdem siegte mein Pflichtgefühl.
„Guten Tag, was kann ich für sie tun?“
Der Laden war leer, lediglich der Inhaber oder Angestellte stand hinter einem schmuddeligen Tresen und sortierte gedankenverloren ein paar Zeitungen. In einem Mundwinkel steckte eine dicke Zigarre, die einen fürchterlichen Gestank verbreitete. Zigarre Marke ‚Kameldung‘, kam mir in den Sinn und ich musste lächeln.
„Hallo, was kann ich für sie tun? Und was grinsen sie so dämlich?“ - „Ich, also guten Tag. Ich suche einen Hund.“
Der Mann sah sich demonstrativ in seinem Büdchen um und lachte mich dann an: „Sorry, aber Hunde sind leider aus. Den letzten habe ich heute Früh verkauft.“
Aha, schlagartig wurde mir alles klar: Frieda hatte gestern ihren Hund hier vor dem Kiosk vergessen. Und wie der Mann es ja selber sagte: er war so dreist gewesen, das Tier heute früh zu verkaufen. Drohend ging ich auf ihn zu. „An wen?“
Grinsend blickte er auf: „An wen?“
Wollte der sich jetzt über mich lustig machen? Mich nachäffen?
Lässig schnappte ich mir den Mann am Hemdkragen und zog ihn zu mir heran. Dabei wäre die stinkende Zigarre fast gegen meine Nase gekommen.
„Jetzt hör‘ mir einmal gut zu: Ich will wissen an wen du den Hund verkauft hast! Und zwar dalli. Oder soll ich dir einmal zeigen, was ich mit Hundedieben anzufangen weiß?“ Dann ließ ich den Kerl abrupt los, so dass er rückwärts gegen ein Regal taumelte. Einige Flaschen fielen scheppernd zu Boden und ein unangenehmer Alkoholgeruch breitete sich aus.
„Ich, ich weiß gar nicht, wovon sie reden“, stammelte der Kioskbesitzer kleinlaut. Oder der Angestellte. Was wusste ich ...
„Sie sagten doch gerade, dass sie den Hund heute früh verkauften. Ich bin nämlich auf der Suche nach einem verschwundenen Pudel und so wie es aussieht, am Ziel meiner Nachforschungen.“
Jetzt lachte der Mann auch noch! „Sie meinen den Pudel von der Ottkans? Natürlich verkaufe ich hier keine Hunde. Das war ein Scherz, weil sie so dumm gefragt haben. Die Ottkans bindet ihren Pudel doch immer draußen an, obwohl sie den mit reinbringen dürfte. Aber der verträgt den Zigarrenrauch nicht - sagt sie. Also muss der Hund draußen bleiben. Und jetzt ist die Töle verschwunden? Davon weiß ich nichts.“
Ich sah den Mann forschend an. „Sind sie der Kioskbesitzer oder ein Angestellter?“ - „Ich weiß zwar nicht, was das nun zur Sache helfen soll, aber: ich bin der Besitzer.“
Aha, das wäre geklärt. Der Besitzer. Nun gut.
„War‘s das jetzt? Oder wollen sie noch etwas kaufen? Außer Hunde natürlich. Und die zwei Flaschen hier, die müssen sie mir bezahlen.“ Der Mann bückte sich mühsam und förderte zwei zerbrochene Flaschenhälse hervor. „Macht achtzehn Euro.“ Dann reichte er mir die Scherben über den Tresen.
„Seien sie froh, wenn ich sie nicht anzeige. Wegen Körperverletzung!“
Ich suchte einen zwanzig Euro-Schein aus meinem Portemonnaie. „Der Rest ist für sie. Tut mir Leid ...“ Eine lasche Entschuldigung.
Gerade als ich die Kiosktür öffnen wollte, sprach der Inhaber mich noch einmal an: „Wenn der Köter weg ist, haben sie es dann schon einmal im Tierheim versucht?“
Ich schüttelte den Kopf. Hier ging es nicht darum, einfach einen neuen Hund zu besorgen. „Frau Ottkans sucht keinen neuen Hund, sie wi...“ Er unterbrach mich: „Das meinte ich auch nicht. Aber entlaufene Hunde werden oftmals zum Tierheim gebracht. Rufen sie doch einfach mal dort an.“
Gedankenverloren verließ ich den kleinen Laden. Das war natürlich auch eine Möglichkeit. Wo sollte ich denn sonst noch suchen? Einzig eine Nachfrage bei der Polizei blieb mir jetzt noch. Also warum dann nicht ebenfalls beim Tierheim anrufen? Die entsprechende Rufnummer konnte ich dank des Internets schnell herausbekommen. Länger dauerte es allerdings, bis sich beim Tierheim jemand meldete. „Sie rufen außerhalb unserer Anrufzeiten an“, klärte mich eine barsche Stimme auf. Na, das fing ja gut an.
„Entschuldigen sie, aber woher soll ich wissen, wann sie ihre Anrufzeiten haben? Dann müssen sie einen Anrufbeantworter anschalten.“ - „Haben wir normalerweise auch.“ - „Und ab wann darf ich dann bei ihnen anrufen?“ - „Ab zwölf Uhr.“ Ich schaute auf meine Uhr. Fünf Minuten vor zwölf. „Gut, dann rufe ich sie in fünf Minuten wieder an.“
Ich wollte das Gespräch schon beenden, da lenkte die Dame am anderen Ende doch noch ein: „Also, worum geht es denn?“ - „Ich suche einen Hund.“ Eine kurze Pause entstand. „Davon haben wir hier mehr als genug. Kommen sie doch einfach einmal vorbei und suchen sie sich einen aus.“
„Nein, nein“, beeilte ich mich zu erklären. „Ich bin auf der Suche nach einem entlaufenen Hund. Ein Pudel. Wurde bei ihnen zufällig solch ein Tier abgegeben?“
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