„ Und seit wann läuft das so?“, wollte ich wissen.
„ Das Drama liegt rund 150 Jahre zurück.“
Ich musste mich verhört haben! „Du meinst sicher 15 Jahre.“
„ Nein, Lilia, der Lord geht auf die 200 zu.“
„ Ab – ab – aber…“
„ Kleines, nicht nur in Elbenaugen bist du noch ein Baby.“ Mit diesem Hammer verduftete Leya.
Endlich glitten ein paar Puzzleteile ineinander.
Höchst zufrieden kümmerte ich mich um das Abendessen und lockte Sarah aus ihrer Gästehöhle, in die sie sich regelrecht verliebt hatte.
Nach unserer gemeinsamen Mahlzeit bot sie sogar an, die Küche aufzuräumen. Energisch lotste ich meinen Gast stattdessen ins Wohnzimmer vor den Kamin. Auf gar keinen Fall durfte Sarah auch nur den Schimmer einer Ahnung von magischen Umtrieben à la Waschen, Putzen, Einkaufen bekommen. „Du kannst dir nehmen und im Haus tun, wonach dir der Kopf steht. Ab morgen früh werde ich ohnehin meistens unterwegs sein.“
Die Schauspielerin schlich sich binnen weniger Tage tief in mein Herz. Allen Ernstes bot sie mir eine beträchtliche Summe für meine Gastfreundschaft an. Schamlos lenkte ich solch seltene Großzügigkeit zu der ewig klammen Musikschule um.
Schwieriger gestaltete sich die Aufgabe, ihr frischen Mut für die Außenwelt einzuflößen. Die Sternelben suchten für Sarah derweil einen Gefährten. Er sollte möglichst Geborgenheit, Sinn für die Schauspielerei und ein breites Rückgrat aufbieten.
Mit viel Überredungskunst lockte ich die Schauspielerin auf höhere Anweisung nach gut einer Woche aus ihrem Kokon. Gemeinsam besuchten wir eine Lesung des Bestsellerautors Michael Wert im Haus der Kulturen. Hinterher folgte ein vielversprechend dreisamer Abend in der angesagten Bar des Maritim. Zum gelungenen Schluss strahlte Sarah über meine Einladung des Autors für ein Dinner am nächsten Abend.
„ Also ich spiele bei ihrem Dinner dann die Anstandsdame, oder wie?“, lästerte ich leicht angebläut bei meinem anschließenden, tiefnächtlichen Tankbesuch in Santa Christiana.
„ Nein, Lilia, du wirst zu einem dringenden Fall gerufen.“
„ Aber ihr seid ja überhaupt nicht durchtrieben.“
Die Sternelben amüsierten sich prächtig, nur um im nächsten Augenblick reichlich widerwärtige Polizeiarbeit in meinem Kopf abzukippen.
Kurz darauf schloss ich die Kirche ab und atmete tief die pralle Frühlingsluft ein. „Die erste laue Nacht des Jahres. Wie kann die irgendein Mensch mit Grausamkeiten verbringen?“
Das menschliche Böse tobte sich im faden Kunstlicht eines muffigen Bürogebäudes im Wedding aus.
Die bullige Vorarbeiterin, Marke ‚behaarte Zähne‘, der nächtlichen Putzkolonne drangsalierte ihre persönlichen Arbeitssklaven vorzugsweise mit einem abgebrochenen Besenstil. „Los, ihr Penner, das geht schneller! Und du da, geh verdammt noch mal sparsam mit dem Reiniger um. Oder glaubst du etwa, ich will hinterher noch Geld in den Eimer schmeißen?“ Wutschnaubend versetzte sie der Neuen einen Schlag auf den Arm.
Meine herbei gerufenen Streifenkollegen beobachteten live an den Bildschirmen in der Pförtnerloge die widerwärtige Szene. Sie beschlagnahmten die Aufzeichnungen sämtlicher Überwachungskameras und stürmten los.
Ich raste zum nächsten Brandherd, müde die Morgendämmerung herbeisehnend.
Am folgenden Abend läutete der Herr Schriftsteller, treffsicher beladen mit Lilien für mich und Rosen für Sarah, pünktlichst zum Rendezvous.
Den Wintergarten hatte ich zuvor liebevoll umgestaltet. Ein ovaler Tisch, wunderschön dekoriert, lud bei romantischem Kerzenschein, schweren Blütendüften und eiskaltem Champagner zu einer langen Nacht.
So deplatziert ich mich fühlte und ungeduldig auf das Vibrieren meines Handys wartete, so gründlich ignorierten mich die zwei Turteltauben.
Nach der Vorspeise genossen sie das opulente französische Dîner endlich ohne meine Wenigkeit. Sarah wünschte ich von Herzen alles Glück dieser Erde.
Draußen verlief die Nacht, wen überraschte es noch, weit weniger harmonisch – hinterher servierte die kurze Bettzeit den gnadenlosen Overkill:
„Alexis, lass mich gehen“, flüstere ich mit letzter Kraft.
„Bleib bei mir. Bitte, Lilia!“
Schwärze. Licht. Schwärze. Licht. Schwärze.
„ A us welch süßen Träumen tauchst du denn auf? Du bist ja kaum wach zu kriegen“, scherzte Leya frühmorgens.
Benommen legte ich eine Hand auf mein stichelndes Herz und murmelte: „Gerade wollte ich unbedingt sterben.“
Wortlos schloss die Elbe mich in ihre Arme, geschwind ihre Besorgnis verhüllend.
Träume hin oder her, unerbittlich stand unser Training im Park an.
Als ich die Haustür öffnete, erwartete uns davor eine dicke, dunkelgraue Nebelsuppe. Ohne hirnreiche Vorwarnung klebten meine nackten Füße auf den Flurfliesen fest.
„ Mach voran“, drängelte die Elbe hinter mir.
Doch ich wich zurück, schlug die Tür zu und rang schwer atmend nach Luft. „Leya, hüte dich vor dem Nebel! Er richtet über Leben und Tod.“
So verwirrt wie vergeblich schaute sie mir in die Augen.
Oft ist in der klassischen Literatur von blinden Sehern zu lesen. Einem Sinnbild für wahre Erkenntnis mit den inneren, ewig wachsamen Augen.
Verbissen befahlen wir schließlich die zähen Schwaden in die Höhe. Unsere Unterrichtsstunde geriet zu keinem Glanzstück, jede von uns kämpfte hauptsächlich mit ihren eigenen Gedanken.
„Okay Leute, ab heute sind wir wieder vollzählig. Begrüßt bitte Raul in unserem Klub“, eröffnete Katja total erleichtert die morgendliche Teambesprechung.
Das beifällige Tische klopfen fiel länger als üblich aus.
„Genehmigst du uns mehr Urlaub?“, bohrte John nach.
„Worauf du dich verlassen kannst. Leider erwartet uns vorher noch ein dicker Hammer.“ Katja blickte dramatisch in die Runde. „Ein Praktikant vom Bundeskriminalamt – für eine volle Woche.“
Das Stöhnen und Maulen in der Runde nahm kein Ende.
„Gleiches Prozedere wie bei unserem letzten Gast“, merkte sie an, womit die Stimmung leicht nach oben drehte.
Zwar hatte ich leider die Schote wegen Sarah verpasst, kannte mittlerweile jedoch etliche Versionen über das Besuchsfiasko eines restlos verwirrten Kollegen aus dem Brandenburgischen.
„Und wann beglückt uns dieser Praktikant?“, fragte Amelie.
„Montag. Und nun zum Tagesbuffet à la Lilia.“ Mit dieser kuriosen Bezeichnung landete Katja einen echten Brüller.
Übrigens war Raul ein alter Bekannter von Katja und zwei oder drei anderen des Teams. Dadurch erschien mein Crashkurs überflüssig. Dennoch beäugte er mich zwischendurch neugierig.
Nach der Besprechung kürzte ich seine distanzierte Umkreisung ab. „Möchtest du Fragen loswerden?“
„Theoretisch bin ich ja über dich im Bilde.“ Raul zögerte leicht verlegen. „Aber Katja wollte oder konnte nicht mit der Sprache herausrücken, warum und wie genau du anders bist.“
„ Ah, ein gründelnder Mensch, beste Voraussetzung.“ Laut gab ich zurück: „Dann lass uns zuerst eine kleine Spritztour unternehmen.“ Unbedacht erwartete ich ein lockeres Heimspiel, ähnlich dem bei Rachel.
Seine Kollegen erfuhren niemals, was dann in Santa Christiana geschah.
Bereits unterwegs hatte ich hartnäckig die Einstellung meines neuen Kollegen zu „übernatürlichen“ Phänomenen herausgekitzelt. Scheinbar gab er sich locker. Ziemlich dilettantisch, veranlassten mich weder Rauls angespannte Körpersignale noch sein ausströmendes Unbehagen zu angemessener Behutsamkeit. Stattdessen bekam Raul in Santa Christiana eine eiskalte Lichtdusche verpasst, die ihn in Ohnmacht fallen ließ. Die Sternelben brummten mir dafür einen Supertadel ins Denkorgan. Nebenbei verklickerten sie mir auch noch, dass es sich bei dem avisierten „Praktikanten“ für das Kommissariat in Wahrheit um einen gestandenen BKA-Mitarbeiter handeln würde. Er sollte gründliche Aufklärung über meine Machenschaften betreiben.
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