Wieder am Flughafen von Alta angelangt, marschierte ich zum Postschalter und erstand ein Päckchen. Darin verstaute ich Schmuck und Münzen, selbstverständlich abzüglich Amulett. Adressiert an das Historische Museum in Bergen, waren die wertvollen Stücke in Windeseile aus der Welt geschafft.
Da mein Rückflug erst um 19 Uhr 20 starten würde, gab ich meinem Magen nach, der knurrend Füllbedarf anmahnte. Auf der Suche nach einem Imbiss in den fensterlosen, spärlich ausgeleuchteten Korridoren des Gebäudes nahm, zur Krönung des Tages, ein herumlungernder Dämon meine Lichtspur auf. Sein Gestank verriet ihn noch rechtzeitig.
Mit Ach und Krach lockte ich den Stinkstiefel erst mal in eine verlassene Herrentoilette. Er sah eher wie ein alter, halb verhungerter Lumpensammler aus – bis auf die Peitsche in seiner Hand. Auf jeden Fall agierte der Dämon echt lahm im Vergleich mit seiner Berliner Verwandtschaft. Voll illuminierte Halbelben kannte er schon mal überhaupt nicht. Andernfalls wäre ihm klar gewesen, dass er bereits mit einem Bein in der Hölle stand. Statt geiferndem Angriff servierte er mir einen Ekelhauch. Ich revanchierte mich mit einem gezielten Lichtpfeil dorthin, wo menschliche Wesen ihr Herz haben. Der Rest war Sterben. „Wobei“ , sinnierte ich, „kann man solch einen Auflösungsvorgang tatsächlich als Sterben bezeichnen? Das würde mich mal interessieren.“
Leya reinigte mein stolzes Mitbringsel, ein ovales Amulett, besetzt mit geschliffenen Amethysten. Dabei schüttelte sie ungehalten den Kopf. Übrigens verwandelte sich Leya mehr und mehr zurück in eine Elbe, zum Beispiel, indem sie sich lautes Sprechen abgewöhnte. Nun stöhnte sie: „Welchen Unterschied soll das beim Sterben für die Seelen machen, woraus ihre Hülle besteht und ob die dann schnell oder langsam versickert? Auf was für Fragen du ständig kommst.“
„ Ich hätte da direkt noch eine. Und zwar, wie wir die Amulette zu den verstreuten Elben befördern wollen.“
„ Papperlapapp, ungelegte Eier lassen sich nicht ausbrüten“, wischte sie die Frage weg.
Leya hatte also keinen Schimmer!
Montag, der 1. April, bescherte Katjas Team im Berliner Kriminalkommissariat zwei Veränderungen. Axels angestammter Platz blieb leer. Enthusiastisch begann er sein neues Berufsleben beim BND. Gleichzeitig würde heute Rachel aus Hamburg, als Ersatz für den verunglückten Kai, ihren Start hinlegen.
John, dessen Zerstreutheit in den vergangenen Monaten vor allem seine Partnerin Jan die Wände rauf und runter katapultierte, sehnte Rachel kopflos herbei. Bereits eine halbe Stunde vor der Besprechung zappelte er, der sonst regelmäßig zu spät kam, wie ein Erstklässler bei der Einschulung auf seinem Stuhl herum.
Ich schnappte ihn mir. „John, möchtest du einen kostenlosen Tipp, wie du Rachel beeindrucken kannst?“
Seine Augen leuchteten fiebrig. „Das wäre?“
„Cool einen absolut perfekten Job hinlegen.“
„Sehr witzig, Lilia.“
„Ich meine es ernst. Rachel ist wissbegierig, sie steht aufs Dazulernen.“
„Eine Streberin“, schlussfolgerte er entgeistert.
„Sie nutzt ihren Kopf einfach zu dem Zweck, für den die Evolution ihn vorgesehen hat.“
John ließ seinen Kopf theatralisch auf die Tischplatte sacken. „Frauen sind echt anstrengend“, mokierte er sich.
Soweit emotional abgekühlt, verringerte sich die Gefahr, gleich am ersten Tag bei Rachel blamabel aufzuschlagen. Den Rest musste der Kerl schon selbst managen.
Danach knöpfte ich mir Katja in ihrem Büro vor. Sie lebte zwar seit Kurzem vereint mit ihrem Liebsten Konny, vernachlässigte darüber aber uncool ihren Chefjob. Drastisch formuliert, folgte auf das stampfende Arbeitspferd eine außersphärische Schwebekür der Glückseligen.
Katja saß verträumt hinter ihrem Schreibtisch. Eine Hand stand mitsamt Kaffeetasse reglos in der Luft.
„Darf ich dich auf Wolke 7 kurz stören?“
„Aber nicht so laut, bitte.“
„Funkspruch von Lilia an die Chefermittlerin: SOS im Teambereich.“
Erschreckt knallte sie ihre Tasse auf den Tisch. „Was jetzt?“
„Genau, beam dich schleunigst hinunter in die Wirren des Alltags. Erstens: Wo bleibt der Ersatz für Axel?“
„Der fängt erst morgen an, muss wohl wegen vergessener Übergabe nachsitzen.“
„Zweitens, genehmige Jan und Thomas schnellstmöglich Urlaub.“
„Stopp mal, das ist momentan wirklich total ausgeschlossen.“
Mit dem Arm wedelte ich ihren Einwand weg. „Das Team muss ohnehin neu aufgeteilt werden, Rachel kommt zu mir und Amelie zu John.“
„Du hast doch alles schön im Griff, also lass mich noch ein paar Minuten weiterträumen.“
Mit ausgestrecktem Zeigefinger wild vor ihrer Nase herumfuchtelnd, polterte ich: „Das Team erhält übermorgen ungebetenen Besuch, genehmigt von ganz oben. Wir reden beim Abendessen darüber.“
„Schei…!“
„Erfasst!“
Im Laufe der Monate wanderten die Erfolgsstories des Teams bis hinauf in die Politik. Begleitet von schmetternden Brusttönen, verbreiteten imaginäre Lorbeerkränze sowohl den Radius der Krönungsbalz, als auch den des Neidfunks. Böse Zungen unterstellten dem Berliner Innensenator geschönte Statistiken. Gewitztere Naturen versuchten, Spione ins Kommissariat einzuschleusen. Die Sternelben warnten mich vor letzteren frühzeitig. Allein, mit dem versetzten Schock hoffte ich Katja wieder in die Spur eigener Denkvorgänge zu befördern. Denn ihre bequeme Abhängigkeit von mir barg immense Gefahren.
Etliches wäre denkbar gewesen, nur nicht, dass Rachel mir gegenüber Schüchternheit an den Tag legte. Nach der morgendlichen Teambesprechung mit ihr allein im Sitzungsraum beabsichtigte ich einen Crashkurs.
„Rachel, welche Schlüsse hast du aus deinem Besuch bei uns im Dezember gezogen?“
„Alles hier hängt an dir, sonst wäre an dem Team kaum etwas Besonderes. Aber was du bist, darauf fand ich keine Antwort.“
„Hast du darüber spekuliert?“
„Na ja, schon.“ Es war ihr peinlich zu sagen, vielleicht sei ich eine Hellseherin, zumal sie selbst dies für die falsche Lösung hielt. Rachel rang sich durch und schoss ihre Alternativlösung ab: „Also ehrlich, die Geschichten vom Racheengel klingen eher weniger menschlich.“
„ Ein Hoch auf kluge Köpfe!“ Laut verkündete ich: „Ausgezeichnet, dann werde ich dir mal meine Ahnengalerie zeigen.“
Mit bis zum Pony hochgezogenen Augenbrauen folgte mir die junge Kommissarin stumm durch das Gebäude und auf den Parkplatz.
Wir fuhren nach Santa Christiana, der lichtmagischen Kirche. Dort verhielt sich Rachel angesichts meiner phantastischen Geschichte beeindruckend tapfer. Gleichzeitig wurde mir bei dem Gedanken an Axels Nachfolger ganz anders. Der würde am nächsten Tag ahnungslos wie ein Neugeborenes seinen Dienst antreten.
Doch vorerst verbrachten Rachel und ich den restlichen Tag mit Innendienst, so dass sie mich ausgiebig löchern konnte.
„Darf Konny mitkommen?“, wollte Katja wissen, als wir abends im Kommissariat aufbrachen.
„Nein, wir zwei Hübschen haben äußerst Wichtiges vor.“
Sie zog einen Flunsch.
„Deinen Süßen wird schon eine Falafelbude vor dem Hungertod bewahren“, frotzelte ich auf dem Weg zum Auto.
„Bist du sauer auf mich?“
Den Kopf schüttelnd stellte ich meiner Freundin eine Denkaufgabe. „Was würde geschehen, wenn ich, sagen wir mal, für eine Woche verschwände?“
Ihre hin und her flitzenden Augen glichen denen eines gejagten Tieres, ihre Atmung beschleunigte sich. „Ich wäre aufgeschmissen!“
Schweigend fuhren wir vor das Gartenhaus.
In der Küche stocherte jede von uns lustlos in ihrer Gemüse-Lasagne herum.
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