„Sie wird von einem Stalker bedroht. Bitte bring sie in Sicherheit.“
„ Ja, ja, eure treue Dienerin.“
Schlafwandlerisch lenkte ich das Auto um den Brunnen herum, zur Straße hinaus und zum zweiten Mal durch den spärlichen Nachtverkehr. Gut immerhin, dass Amelie und John im Kommissariat die Nachtschicht absaßen.
Der Fahrstuhl des Nobelhotels brachte mich aus der Tiefgarage direkt in den fünften Stock. Eine Steilvorlage für herumschleichende Verrückte, zugegeben.
„ Lilia, spute dich, er ist auf dem Weg.“
An Sarahs Zimmertür klopfend, rief ich ihren Namen plus den Hier-ist-die-Polizei-Spruch. Sie öffnete einen Spaltbreit, warf einen verschwommenen Blick auf meinen Ausweis und torkelte dann zu einem Sessel.
„ Heiliger Strohsack!“ Kurz und knapp verkündete ich: „Sarah, ich bringe dich zu mir nach Hause. Die Polizei wird dem Stalker hier im Zimmer eine Falle stellen.“
„Die glauben mir ja nicht, dass der mich umbringen wird.“
„Mir schon. Meine Kollegen müssten jeden Moment eintreffen.“
Das vereinbarte Klopfzeichen ertönte. Rasch ließ ich meine Kollegen hinein. „Der Stalker bewegt sich zu Fuß in Richtung Hotel, wir Zwei haben kaum mehr fünf Minuten, um zu verschwinden.“
Der Schauspielerin, ausstaffiert mit Pyjama und Einweg-Hotellatschen, hängte ich ihren Wollmantel über und half ihr notgedrungen zupackend hinaus. Im Türrahmen drehte ich mich nochmals halb um. „Er hat Tränengas und Würgeschnur in seiner linken, ein Klappmesser in der rechten Jackentasche.“
John reckte den Daumen hoch. Aber Sarah holte geräuschvoll tief Luft und fasste sich dramatisch ans Herz. Vor Begeisterung hätte ich auf einem Nagelkissen hüpfen mögen.
Von unterwegs musste schleunigst die Gästewohnung in meinem Haus hergerichtet werden. Seit meinem Einzug hatte ich sie mangels Verwendung ignoriert. Volle magische Konzentration, bis ich Sternchen über die Fahrbahn flimmern sah. Nur gut, dass die Schauspielerin im Halbrausch dämmerte.
„ Apropos, was soll sie ausgerechnet in meinem Haus? An Hotels herrscht in Berlin wahrlich kein Mangel“, grummelte ich missbilligend in die Sphäre.
„ Sarah betäubt ihre Angst mit Alkohol und Tabletten. Sie ist einsam, unglücklich und verstört.“
Unter dem Mitteilungsstrich steuerte eine ehemals lebenslustige, talentierte Frau von gerade einmal 30 Jahren ihr Leben mit Vollgas gegen die Betonwand.
„ Ist euch klar, dass Elben bei mir herumturnen und ich so gut wie nie daheim bin? Wie um alles in der Welt stellt ihr euch das vor?“, wetterte ich nur noch halbsäuerlich.
„ Sarah wird dir für die Stille unendlich dankbar sein“, schmeichelten die Sternelben.
Eine echt schwache Leistung.
„ Ist die Stalker-Verschnüraktion von Amelie und John glatt gelaufen?“
„ Ja. Aber du kannst Sarahs Zimmer erst heute früh räumen.“
„ Wenn ich das schon höre, ‚heute früh‘!“
Mit nur mehr halb offenen Augen parkte ich den Wagen direkt vor meinem Hauseingang.
Nachdem mein Gast irgendwie ins Bett verfrachtet war, flöteten sie: „Danke, Lilia!“
„ Ja, ja! Wie wäre es stattdessen mit einem netten Schlaflied für meine verbleibenden zwei Stunden?“
Ihr sphärisches Schlaflied musste ultrakurz ausgefallen sein. Ein veritabler Albtraum nutzte seine Chance:
Schwarze Monster umzingeln mich, ich kämpfe um mein Leben. Die Lichtenergie versiegt schneller, als ich sie zu töten vermag. Ein schattenhafter Mann erscheint wie aus dem Nichts, er wütet unter den brüllenden Dämonen. Als er mich hochhebt, wache ich auf.
Merkwürdigerweise saß ich aufrecht im Bett, das Nachthemd klebte nass an meinem zitternden Körper. Fiese Stiche jagten durch mein Herz. Dass ich den Traumkampf mit wilden Schreien begleitet hatte, wusste ich in dem Moment nicht.
Die aber hatten Elin alarmiert. „Geh schnell duschen, Lilia.“ Der angestrengte Versuch, ihren tief besorgten Blick zu verbergen, war zwecklos.
Unter der dampfend heißen Brause fragte ich mich, ob der Traum nur Nonsens oder eine Vorahnung bedeutete. „Schattenhafter Mann, woran erinnert mich das? ‚Alexis redet nicht mit uns‘. Genau, der schottische Lord!“
Nach dem Frühstück quetschte ich Leya aus, kaum dass die Elbe erschienen war .
„ Das haben die Sternschwestern gesagt?“
„ Wörtlich.“
„ Und jetzt soll ich mal nachforschen, was es mit dem Lord of Lightninghouse auf sich hat?“
Ich bettelte mit klimpernden Wimpern.
„ Du sehnst dich nach deinesgleichen“, stellte sie fest.
„ Manchmal ja“, gab ich zu.
„ Kein Wunder“, kommentierte die Elbe, „aber an dein Wohlergehen verschwenden unsere Lichtschwestern keinen Gedanken.“
Die frühmorgendliche Arbeitsliste für Katja endete mit einem kleinen Knaller: „Heute dürft ihr ohne mich schuften, habe anderweitige Aufgaben!!!“
Danach rief ich Sarahs vier Koffer, die Amelie netterweise gepackt hatte, in die Gästewohnung. Sie schlief noch tief, mit einem Lächeln auf ihren Lippen. Möglicherweise erwies sich die Schauspielerin in nüchternem Zustand doch als genießbar.
In der Tat tauchte zwei Stunden später ein schüchternes Gesicht um die Küchenecke auf.
Frisch geduscht, in Jeans und Bluse, stieg ihr Sympathiewert um ein Scheibchen. „Hallo, ich habe leider deinen Namen vergessen.“
„Ich bin Lilia. Komm, setz dich, dein Frühstück wartet.“
„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.“
„Schon gut, jetzt wohnst du zunächst einmal bei mir.“
Sie machte große Augen. „Einfach so?“
„ Ja, weil du da oben mächtige Fürsprecherinnen hast“, dachte ich angenervt, versicherte aber laut: „Kein Problem, fühl dich wie zuhause.“
Ihrer Seele entströmte ein stinkender Fluss. Bühnenreife Intrigen, Missgunst unter Kollegen, hinterhältige Pseudo-Freunde und vor allem der Stalker trieben sie aus dem Leben.
Ich beschloss, meine Widerspenstigkeit aufzugeben. „Sag deine Termine für die nächsten Tage ab. Die Story von dem versuchten Überfall und der Festnahme des Stalkers rast wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Niemand wird dir Vorwürfe machen.“
„Sie haben ihn erwischt?“
„Allerdings, und er wird für Jahre hinter Gittern schmoren.“
Tränen der Erleichterung flossen unter langen Wimpern hervor, dankbar drückte Sarah meine Hand.
Zufällig trafen Leya und ich am frühen Abend erneut aufeinander. Sie wollte Elin zur allnächtlichen Jagd abholen.
Süffisant bemerkte die Elbe: „Tja, wie es aussieht, gebärdet sich dein schottisches Gegenstück noch dickköpfiger als du.“
Ich bekam Elefantenohren. „Und weiter?“
Genüsslich erzählte Leya die Geschichte: „Alexis entstammt einer langen Mischlinie. Seit annähernd tausend Jahren wacht seine Familie in dem Land – oder sollte das tun. Deshalb halten sich dort keine Elben auf.“
„ Hat der es gut“, seufzte ich dazwischen.
„ Sei still. Jedenfalls ignoriert Mylord das Oberkommando unserer Sternschwestern. Er betrachtet sie als bloße Bittstellerinnen. Selbst an die Menschen in seinem Land verschwendet er längst keinen Gedanken mehr. Dahinter verbirgt sich ein tragisches Ereignis, denn er verlor seine große Liebe. Das Leben seiner jungen Gattin auf dem Kindbett zu retten, war die einzige Bitte, die er jemals an die Sternelben richtete. Aber sie konnten der Menschenfrau selbstredend nicht helfen. Seitdem wüten Zorn und Verbitterung in seiner Seele, die Verbindung ist gekappt.“
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