Das war kein Thema für diesen Tag. Das Jammern gehörte zu einer anderen Einstellung, zu einem anderen Universum.
Die Tastatur klapperte seit Stunden im Takt ihrer schnellen Finger bis sie die Wohnungstür klappen hörte, als Gary vom Dienst nach Hause kam. Erst in diesem Moment bemerkte sie, noch keinen Happen gegessen zu haben, und was geradezu sträflich war, keinen Tropfen getrunken.
Mitunter amüsierte ihren Mann, dass seine akribische Frau inzwischen auch mal ein zeitliches Chaos zulassen konnte, nie ein sichtbares. Freilich nur, sofern sie ein Manuskript fesselte. Eigentlich fesselte sie immer irgendein Stoff. Was er schon immer beherrschte, hat sie in den letzten Jahren dazugelernt, ohne es erlernen zu müssen: Prioritäten zu setzen. Das Leben hatte Isa neue Ranglisten geschrieben.
»Du sitzt doch nicht etwa seit heute Morgen dort! «
Das war ein handfester Vorwurf.
Sie schloss die Datei und klappte die Mappe zu, in der sie ihre Recherchematerialen aufbewahrte. Ohne ein Wort huschte sie zur Küche. Es war nur der heftigen Bewegung geschuldet, dass die Tür hinter ihr lauter als gewöhnlich zuschlug. Sie zuckte, aber der physikalische Zufall passte zu ihrem Gemüt.
»Isa! Was ist los mit dir?«, schrie Gary, der die Tür sofort wieder öffnete. Ihr wurde ganz komisch bei seinen lauten Worten. Als sie ihn anschaute, sah sie in ein Gesicht, das momentan nichts Liebenswertes hatte. Es spiegelte sogar einen Menschen, den sie niemals lieben könnte.
»Glaubst du ,ich weiß nicht, was mit dir los ist?«, brüllte sie beinahe zurück. »Du brauchst minutiös dein Essen auf dem Tisch. Und nun glaubst du , es bleibt an dir hängen, zu kochen. Das ich nicht lache!« Theatralisch schwenkte ihr Arm zum Arbeitszimmer. »Vergiss bitte nicht, dass ich zwei Jobs habe — mindestens. Ich manage nicht nur den Haushalt, damit mein gestresster Mann minutiös sobald er zur Tür hereinkommt, das warme Essen auf dem Tisch bekommt. Was willst du eigentlich…« Sie drehte sich abrupt weg und klapperte besonders laut mit den Tellern. Immerhin hatte sie seine Lieblingssuppe aufgetaut, die sie eigenhändig vorgekocht hatte.
Als er sich später zum Essen setzte, starrte er sie lange an, ehe er seine Worte zwischen vibrierenden Lippen herausstieß. »Stößt du auch andere Menschen so vor den Kopf, obwohl sie es gut meinen?«
»Wer wen vor den Kopf stößt, wollen wir gar nicht erörtern. «
Schweigend aßen sie, jeder mit seinem Groll in der Brust. Freilich hatte auch sie ihre Meinung auf zynische Weise ausgedrückt, aber im Kern hatte sie doch Recht.
Diesmal war eine Nichtigkeit eskaliert. Warum kühlte ein langes gemeinsames Leben die Liebe zweier Menschen ab? Weil der Zweck der Liebe seit langem erfüllt war?
Den Abend verbrachte Gary Benson allein vor dem Fernseher. Isa behagte es nicht, noch große Worte zu sagen. Früher hätten solche Szenen Tränen in ihre Augen getrieben. Für Kummer war ihre Zeit zu knapp. Trotzdem wusste sie, wie oft er ihr nur vortäuschte, noch zu ihr zu stehen. Dagegen sprachen leider genügend Beispiele.
Sie wollte sich den Tag nicht vollends verderben und schloss innerlich ab: Der ideale Mann— und das war ihre Altersweisheit — ist ebenso ein Gerücht, wie die vollkommene Ehe. Beides gab es nicht. Zu keiner Zeit.
Der Rechner arbeitet, der Mann samt Länderspiel war vergessen, die Story in Isas Kopf bekam gerade jene Brisanz, die der Zweck des Schreibens war…
Ihr Körper zuckte, als es an der Tür läutete. Wie spät es inzwischen war, hatte sie nicht bemerkt. Sie neigte dazu, den Frust des Tages in ihre Bücher zu übertragen. Diesmal nicht. Sie war erstaunlich ruhig geblieben, wohl, weil sie ein Quäntchen Schuld bei sich selbst gesehen hatte.
Das Läuten der Klingel verriet ihr, der Besucher stand nicht unten an der Haustür, sondern direkt vor der Wohnungstür. Wie spät es auch immer war, für gewöhnlich ging Isa nach dem Abendbrot nicht mehr an die Tür, überließ es Gary und seiner Gabe, eine Sache rasch zu beenden. Diesmal beeilte sie sich sogar, wollte Gary keinen Grund für seine schlechte Laune geben. Natürlich plagten sie Schuldgefühle, aber sie vermochte an ihrem Leben mit Gray nicht wirklich etwas zu ändern. Es blieb bei gelegentlichen Andeutungen, bei denen sie nur selten — und wenn, dann nur für sich im Stillen — einen Erfolg verbuchen konnte.
An der Tür gab der Spion nur ein verzerrtes Bild eines Menschen, einer Frau vermutlich, worauf das weiße Tuch schließen ließ. Es konnte keiner in das Haus hinein, der nicht einen Adressaten angab. Also durfte sie beruhigt öffnen.
Vor ihr stand die Frau im weißen Hidschab, der sie vor Wochen begegnet war. An diesem Abend lächelte sie nicht. Sie schien verzweifelt, worüber auch immer. Das blasse Gesicht war auf den Wangen feucht und es musste einen Grund dafür geben.
Isas Unterbewusstsein reagierte auf eine greifbare Tragödie, zugleich aber kamen ihr Garys Worte in den Sinn: »Wenn du dich erst mal mit einen von denen einlässt…«
Einen Moment lang standen sich zwei Frauen gegenüber, die miteinander nichts anfangen konnten. Isa verstand keine der Sprachen aus jener Welt, aus der die Frau kommen konnte. Die Frau sprach kaum Deutsch. Nur ein paar hilflose Brocken lösten sich von den zitternden Lippen. Zeitweise hatte sie den Eindruck, sie maßen sich gegenseitig, was vermutlich auch so war.
»Können Sie wieder nicht in Ihre Wohnung?«
Das feuchte Gesicht verneinte die Vermutung. Sie wolle zu Farid, aber er öffne nicht. Ob Isa die Brocken richtig deutete, war ihr längst nicht mehr klar. Mit Händen und merkwürdig akzentuierten Worten versuchte die Frau zu erklären, dass sie nicht hier wohne, aber schon seit Tagen ihren Freund nicht mehr erreiche. Auf dem Handy melde er sich nicht. Die Klingel sei abgestellt und es wisse auch sonst niemand, wo er sei. Also könne er nur in der Wohnung liegen. Hilflos. Krank oder sogar …Das Wort tot kam ebenso nicht über ihre Lippen, wie all die anderen Worte, die Isa nur aus den gestikulierten Bewegungen mutmaßen konnte.
Was war zu tun? Erst einmal grübelte sie darüber, warum die Frau nicht auch hier wohnte. Also wohnte Farid mit jenem anderen jungen Mann hier und sie hatte ihn vor Tagen nur falsch verstanden. Isch habe Freundin sollte wohl heißen: Ich habe einen Freund. Nicht selten gab es derart Probleme mit der Sprache.
Isa lächelte der Frau zu. Es gab nur diese zwei Möglichkeiten, wie man mit Menschen umging, die der Sprache nicht mächtig waren: Abkehr oder Mitleid. Sie entschied sich für letzteres, schluckte aber den mitleidigen Ton herunter und bemühte sich um einen banalen.
»Er wird mit seinem Freund unterwegs sein.«
Die Frau verstand sie offenbar besser als sie glaubte. Sie wehrte sofort ab und bat Isa, die Polizei zu rufen, weil etwas Schlimmes passiert sein musste.
Das war undenkbar. Ohne nachweislichen Grund würde kein Ordnungshüter kommen. Vielleicht aber wusste der Wachdienst Bescheid, wie man in diesen Fällen verfahren sollte. Also schloss sie die Tür ihrer Wohnung und bewegte die Frau, mit ihr zu kommen.
Das hieß keineswegs, die Frau würde aufhören zu weinen. Immerhin hatte sie nach Isas Hand geangelt, so, als wollte sie damit einen Dank ausdrücken.
Unten vor der Loge der Sicherheitsfirma blieb die Frau ängstlich zurück. Hinter der Glaswand, durch die die wechselnden Wachleute alles überblickten, was sich vor dem und im Hauseingang tummelte, saß heute der junge Herr Springer, mit dem Isa schon oft ein paar nette Worte gewechselt hatte, auch scherzende, die es für Isa nur selten gab.
Auch diesmal fiel sie nicht gleich mit der Tür ins Haus. Ein kleiner Smalltalk über das Fußball-Länderspiel, das Gary gerade schaute und das womöglich auch der Mann bisher geschaut hatte — wenn auch heimlich, weil während des Dienstes nicht gestattet. Erst dann erkundigte sie sich nach den Möglichkeiten.
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