Maxi Hill
Mensch auf eigene Gefahr
Eine authentische Geschichte über Menschlichkeit und deren Gefahren in dieser Zeit.
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Maxi Hill Mensch auf eigene Gefahr Eine authentische Geschichte über Menschlichkeit und deren Gefahren in dieser Zeit. Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog Prolog * D ie wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen. Auszug: Arthur Schopenhauer Aphorismen zur Lebensweisheit *
Die Fremde
Das Interview
Zwei Jahre zuvor
Farid
Sheyla
Ein dummer Fauxpas
Nur ein Telefonat
Heimat
Das Projekt
Warum Sheyla?
Die Crux mit der Sprache
Die Macht der Worte
Das wahre Leben
Die Macht der Straße
Die Wut kommt näher
Ein Für und ein Wider
Mut zum Aufbegehren?
Richtige Konsequenzen?
Ein Bericht in der Zeitung
Maxi Hill
Impressum neobooks
*
D ie wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.
Auszug: Arthur Schopenhauer
Aphorismen zur Lebensweisheit
*
An jenem Tag, an dem Isa-Kathrin Benson widerwillig zur Tür geht, als die Klingel schellt, beginnt das Ende einer Zeit, der sie nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat, als jeder andere Mensch auch.
Sie sollte nicht gehen. Eine junge Kultur-Journalistin sitzt in ihrem Wohnzimmer. Sie ist gekommen im Auftrag der Redaktion, um mit ihr ein Interview zu machen. Blutjung ist sie, hat hellblondes kurzgeschnittenes Haar, und ein Hauch von Babyspeck polstert ihr Gesicht.
Draußen an der Tür hätte es Isa vorgezogen, fernab der gierigen Augen, die sie hinter den Türspionen im großen Mietshaus vermutet, die Angelegenheit zu regeln. Was heißt regeln? Regeln kann Isa nichts. Aber nun steht Sheyla vor ihr. Aufgelöst. Außer sich. Flehend, ebenso laut wie wortlos.
Was sieht sie, wenn sie die Fremde ansieht, von der sie lange Zeit nicht viel mehr wusste als ihren Namen? Sheyla klingt für europäische Ohren orientalisch.
Die Frau sieht nicht aus wie eine, die den Schleier um die Lenden gebunden trägt und mit den Hüften schwingt, bis der Bauchspeck vibriert. Sie ist keine aus Tausend und einer Nacht. Sie trägt einen grünen Parka und eine graue Hose, wie sie auch Europäerinnen tragen. Darunter eine Molton-Bluse, rot mit schwarzen Karos. Nur das Kopftuch verrät etwas von ihrer Herkunft. Die Art wie sie es trägt, zeigt ihre Gesinnung, ihren Glauben.
Kein Streicheln der Schultern beruhigt ihre Erregung; kein Zureden. Isa wusste nie, ob Sheyla ihre Worte je wirklich verstanden hatte wenn sie nickte und dabei lächelte. Sie glaubt es zumindest nicht. Heute lächelt Sheyla nicht einmal.
»Du bist allein? Wo ist Khalid?« Die Frage ist jetzt absurd, aber sie fällt Isa als rettender Strohhalm ein. Jede Mutter wird wieder vernünftig, wenn es um eines ihrer Kinder geht, zumal um das jüngste. Nichts dergleichen.
Sheyla dreht ihren Kopf hin und her, zieht die Augenbrauen zusammen und beginnt zu weinen. Dabei zerrt sie ratlos an Isas Ärmel, dass die wertvolle Wolle ihres Pullovers zu reißen droht. Die Szenerie ist ganz so, wie Gary, Isas Mann, es einst prophezeit hat: »Du kannst nicht die halbe Welt retten. Wenn du dich einmal mit denen einlässt, kriegst du sie nie wieder los.«
Es ist ein Spruch aus einer Zeit, die Isas Leben geprägt hat und die dennoch für sie nur eine kurze Episode auf der Sonnenseite der Welt war — der geologischen. Schon damals in Afrika hatte sie dieser Spruch wütend gemacht. Er widersprach dem, warum sie damals dort waren, wohin man sie geschickt hatte. Es gab einen nie enden wollenden Krieg auf roter Erde, so wie es noch immer Kriege in der Welt gibt. Gäbe es keine, müsste man über humanitäre Hilfe nicht so oft nachdenken.
Hier, im Frieden und Sheyla betreffend, kam noch ein Satz von Gary dazu: »Die Frau hat es faustdick hinter den Ohren!«
Auch wenn sie seine rein intuitive Art mitunter verurteilt, sie kennt ihn nicht anders. Gary ist in dieser Zeit nicht der einzige, der so spricht. Leider kennt auch er nur schwarz und weiß, missachtet alle Nuancen. Es gäbe totsicher viel mehr Empathie unter den Menschen, hätte die Flut der Fremden das Land nicht so vehement überschwemmt. Noch vor drei Jahren nahmen die Leute viel mehr Anteil an jedem Schicksal, das unverschuldet in Not geriet. Nur manchmal kam es ihr vor, als habe einer zu wenig Herz. Jeder Mensch wird mit einem Herzen geboren, aber wie es schlägt, bestimmt der Verlauf seines Lebens. Ihr Leben hat sie Not erfahren lassen, hat sie fühlen lassen, wie es ist, wenn man ganz unten steht, oder abseits…
Seit vielen Jahren glaubt auch sie nicht mehr an den Spruch ihrer Mutter, der einst zu ihrer kindlichen Devise wurde: »Jeder Mensch ist gut, man muss ihn nur gut sein lassen.« Die Zeit lehrte sie: Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen.
Seit Jahrzehnten bemüht sie sich genau darum, aber wer kann schon alles verstehen?
Die vielen Fremden kommen nicht, weil sie den Kriegen fliehen. Wer erwartet das? Die Welt — das alte Europa an der Spitze — hat manche Völker klein gehalten. Wen wundert es, wenn ein paar von ihnen einen Teil vom Wohlstand in Europa abhaben wollen.
Warum sollte Sheyla schlecht sein? Nur weil sie mal wieder im unpassenden Moment Hilfe braucht? Sie kennt bei Sheyla nur den unpassenden Moment, aber gibt es je einen passenden?
Isa nimmt die junge Frau hart am Arm und zieht sie tiefer in die Wohnung hinein, die nach dem Wunsch ihres Mannes frei von dubiosen Fremden bleiben sollte. Hastig schließt sie die Tür hinter sich und versucht sich vorzustellen, was passiert sein könnte.
Sie wartet, sammelt sich, holt Luft. Noch ehe sie ein Wort findet, dreht sich Sheyla um, steif wie eine Marionette. Ihre Schultern sind verkrampft, die Augen zittern. Ihre Arme umschlingen den eigenen Körper. Worte findet sie noch immer nicht. Stattdessen wirft sie sich Sekunden später an Isas Hals und weint, dass es einen Stein erweichen würde. Die Worte, die sie dabei herauspresst, sind neu. Keine einzige deutsche Vokabel kommt klar über die bebenden Lippen. Wie kann Isa sicher sein, dass alles mit wachem Verstand aus dem verwirrten Munde kommt. Sie packt Sheyla fester bei den Schultern, spricht aber zu ihrem Gast im Wohnzimmer, der ihr heute sehr wichtig ist: »Vermutlich gibt es wieder Stress mit dem Freund. Vermutlich begreift sie langsam, von ihm nur benutzt worden zu sein. Da kann man schon mal die Nerven verlieren.«
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