1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Gabriele tat sich schwer damit, war eifersüchtig gewesen. Nur zu gut konnte sie sich an dieses nagende Gefühl erinnern. Jetzt hatte sie Pia wieder für sich allein. Er war weg, weg für immer. Jemand hatte ihn ermordet. Erschossen! Wer hatte das getan? Die letzten Wochen dachte sie permanent darüber nach und kam zu keiner Antwort. Sie wusste nicht, was ihr Mann so alles getrieben hatte, wenn er außer Haus war. Und er war oft abwesend gewesen. Gab es jemanden, der ihn so gehasst hat?
Er besaß ja eine Art, die die Leute vor den Kopf stieß. War er bei jemand zu weit gegangen? Sie wusste es nicht, sie war sich auch nicht sicher, ob sie es wissen wollte. Fritz war tot. Er würde nie wieder ins Haus kommen in seiner lauten, polternden Art, würde nie wieder ihr Aussehen kritisieren, nie wieder den Garten so herrichten, als würde er eine Wasserwaage an die Beete halten und sich nie wieder in die Erziehung von Pia einmischen. „Du bist zu weich mit dem Kind, Gaby, du packst es in Watte, was soll denn mal aus ihr werden?” Worte, die sie nie wieder hören müsste. Aus, vorbei! Endgültig.
Sie hatte sich bemüht, so etwas wie Trauer zu empfinden, aber außer der beunruhigenden Frage, wer ihren Mann erschossen haben könnte, wollte sich einfach kein Bedauern über den Verlust einstellen. Nein, Gabriele Olischewski trauerte nicht um ihren Mann. Jetzt stand sie auf und ging ins Bad. Ihre Eltern schauten fragend hinter ihr her. Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, hatte sie ein kleines Fläschchen in der Hand. Sie setzte sich neben ihren Vater an den Wohnzimmertisch und begann sich ihre Nägel in einer leuchtend roten Farbe zu lackieren.
„Und?” Karla schaute in ihre Unterlagen. „Gefällt es Ihnen in ihrer Pension?”, fragte sie, ohne ihn dabei anzusehen.
Zacharias Weinfeld nickte: „Ja, es ist ganz nett. Ich hab sogar ein eigenes Bad!” Jetzt starrte sie ihn mit blitzenden Augen an: „Was glauben Sie? Das wir hier auf dem Lande noch Hotelzimmer haben, wo die Toilette auf dem Gang ist?” Sie wirkte gereizt.
„Entschuldigung!”, sagte er schnell.
„Schon gut!” Karla atmete tief durch. „Nein, wissen Sie, es regte mich ganz einfach wahnsinnig auf, welches Bild Städter so vom Landleben haben. Wahrscheinlich liegt das an diesen bekloppten Krimiserien im Fernsehen, in denen die Landbevölkerung immer als ein Haufen griesgrämig reinblickender, Gummistiefeln tragender Vollidioten dargestellt wird, die sich jeden Abend in einer heruntergekommenen Gaststätte treffen, in der noch das Mobiliar aus den Sechzigern steht, und die wahlweise Dorfkrug oder Zum Hirschen heißen.“ Sie raufte sich die Haare und atmete erneut hörbar tief ein und aus.
Zacharias lächelte.
Er konnte ihren Ärger und ihre Anspannung gut verstehen.
Kein Wunder, dachte er, es kommt ja hier nicht alle Tage vor, dass man gleich zwei ungeklärte Mordfälle auf dem Tisch hat. Von seinem Platz aus versuchte er, sie unauffällig zu beobachten. Er hatte gehört, dass sie zehn Jahre älter ist als er, also 42!
Sie war nicht unattraktiv, das musste er zugeben. Vielleicht nicht sein Typ, aber er konnte sich durchaus vorstellen, dass sie bei einigen Männern gut ankam. Sie war groß, üppig und hatte, auch das war ihm aufgefallen, wunderschöne Augen, die jetzt aufgeregt funkelten.
Er versuchte sich wieder auf die Akten zu konzentrieren. Gleich würden sie den Neffen der ermordeten Carola Schmidt bringen. Ein 25-jähriges Bürschchen, der schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Ein paar Einbrüche, Drogendelikte, das Übliche halt, und chronische Geldnot. Nachbarn von Frau Schmidt haben ihn in letzter Zeit immer öfter bei ihr gesehen. Oft war er nur kurz da gewesen, schwatzte seiner alten Tante Geld ab und suchte dann schnell das Weite. Manchmal hatte die Tante auch nicht die Tür geöffnet, glaubte wahrscheinlich, ihr Neffe würde dann mit einem Schulterzucken wieder gehen. Aber das funktionierte meistens nicht, wie verschiedene Nachbarn berichteten. Ihr Neffe Tobias pflegte in diesem Fall gegen die Wohnungstür zu trommeln, wohl wissend, dass die Tante ihm lieber Geld gab, als Aufsehen bei den Nachbarn zu erregen.
Karla sah in bereits. Zwei uniformierte Beamte hatten ihn im Schlepptau. Er war sehr groß, mindestens ein Meter neunzig, von dürrer Gestalt, schlaksig und hatte schwarz gefärbte Haare, die sich sicher über etwas Wasser und Shampoo gefreut hätten. Zacharias Weinfeld wies ihn beim Hereinkommen an, sich auf den für ihn bereitgestellten Stuhl zu setzten, was Tobias Schmidt widerwillig und Kaugummi kauend befolgte.
„Er ist doch auf Drogen überprüft worden?” Zacharias wandte sich an die beiden Uniformierten. „ Nicht, dass wir seine Aussage hier wiederholen müssen!” Die beiden Beamten nickten: „Ja, da ist alles in Ordnung. Er scheint heute mal nicht zu gedröhnt zu sein! Aber wir bleiben zur Sicherheit vor der Tür. Man weiß ja nie!” Zacharias Weinfeld schloss die Tür und sofort stieg ihm der abgestandene Geruch in die Nase, der von Tobias Schmidt ausging, und der sich in dem kleinen Raum bei geschlossener Tür ziemlich schnell auszubreiten schien. Ein Geruch, der sich zwischen ungewaschener Kleidung, Tabak und Körperausdünstungen bewegte. Er nahm neben Karla Albrecht Platz, direkt gegenüber von Tobias, so dass beide ihn gut im Blick hatten. Zacharias hatte schon öfter mit diesem Klientel zu tun gehabt und so legte er sich meistens vorher in Gedanken eine Strategie zurecht, welche Fragen er wie stellen wollte.
„Ihr Scheißbullen, was wollt ihr jetzt schon wieder von mir. Was soll das? Ich hab nichts mit dem Tot der Alten zu tun. Lasst mich hier raus, ich hab noch was vor!”, schrie Tobias aus Leibeskräften und machte so alle Befragungspläne von Zacharias zunichte. Er sprang mit einem Satz von seinem Stuhl und griff mit seinen langen, dürren Händen über den Tisch. Die beiden Polizeibeamten, die vor der Tür standen, stürmten herein, packten ihn an der Schulter und drückten ihn mit Gewalt wieder in seinen Stuhl zurück. „Jetzt geben Sie erst einmal Ruhe!” Zacharias schäumte vor Wut. „Sie bleiben exakt auf diesem Stuhl sitzen und werden uns ausführlich, hören Sie, ausführlich, unsere Fragen beantworten. Eher kommen Sie hier nicht raus. Verstanden? Und nehmen Sie ihr Kaugummi aus dem Mund!” Er gab Tobias ein Stück Papier, in das er sein Kaugummi reinspuckte, wobei er Karla und Zacharias provozierend anstarrte.
„Wann waren Sie das letzte Mal bei Ihrer Tante? Genaue Angaben bitte!” „Mann, das weiß ich doch jetzt nicht mehr. Irgendwann letzte Woche. Da war sie aber nicht da. Jedenfalls hat keiner aufgemacht. Jetzt weiß ich warum!” Tobias kratzte sich am Kopf: „Ihr könnt doch nicht wirklich denken, ich hätte meine Tante kaltgemacht. Wie blöd seid ihr eigentlich? Sie hat mir oft Geld gegeben, Mann. So eine bring ich doch nicht um!”
Zacharias wurde so langsam immer ungehaltener. „Passen Sie bloß auf, was Sie sagen!” Er war aufgesprungen und hatte sich drohend vor dem jungen Mann aufgebaut.
Karla machte eine beschwichtigende Handbewegung in seine Richtung. Bisher hatte sie noch kein Wort gesagt.
„Was haben Sie denn noch vor?”, fragte sie Tobias freundlich und ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen. Ihre Stimme war leise, so dass er sich, ohne es anscheinend zu bemerken, in ihre Richtung beugte.
„Wie?” Tobias Schmidt reagierte verwirrt. „Habt ihr jetzt eure Methode geändert? Ist jetzt der nette Bulle dran? Wie, was hab ich noch vor? Was soll das?”
„Na, ja, Sie sagten doch eben, dass Sie heute noch etwas vorhaben. Um was handelt es sich dabei?” Karlas Augen fixierten ihn sekundenlang und nahmen eine undefinierbare Farbe an. „Ich meine, Sie müssen uns doch sagen können, was!”
Tobias sah verdutzt zu ihr herüber: „Ein paar Kumpels treffen, ein paar Geschäfte, alles klar?” Er klang jetzt etwas kleinlauter.
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