„Mercy beaucoup!“, flüsterte sie, woraufhin er mit den Augen zwinkerte. Henry war ein Charmeur, auch in seinem Alter noch und verstand es die Frauen um den Finger zu wickeln.
Dann mischte er sich unter die Menge.
James lief mit einem blank polierten Silbertablett hin und her und versorgte die Gäste mit Getränken und kleinen Snacks. Er verstand es sich möglichst unauffällig zu bewegen wie es sich nun einmal für einen guten Butler gehörte und hätte man später einen der Gäste gefragt, wer genau sie mit Sekt und Orangensaft, kleinen Törtchen und Lachsröllchen versorgt hatte, so ließe sich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass niemand von ihnen James auch nur annähernd gut hätte beschreiben können. Verlangte man einmal nicht seiner Dienste, verschwand er unauffällig, tauchte aber immer zur rechten Zeit wieder auf, wenn jemand nicht wusste, wo er sein leeres Glas abstellen sollte. Mr Smith hatte sich wieder in ein Baumwollhemd gezwängt und trug dazu eine etwas seltsame orangene Fliege. Er machte sich an dem Plattenspieler in der Ecke des Salons zu schaffen und wippte schmunzelnd mit den Fußballen im Takt der Musik auf und ab.
Im Laufe des Abends verschwanden auch die letzten Hemmungen, man wurde immer ausgelassener und es zeigte sich, dass Henry hervorragend mit Kindern umgehen konnte. Er hatte den ein oder anderen Taschenspielertrick auf Lager, mit dem er alle zum Lachen brachte und er ließ es sich auch nicht nehmen eine der Masken aufzusetzen, die Juliette gekauft hatte. So spazierte er also als Clown getarnt durch das Black Rose und erschreckte die Kinder.
Der Einzige, der sich die ganze Zeit über nicht einmal blicken ließ, war John Adams. Er hatte sich in sein Arbeitszimmer verkrochen und blätterte sein letztes Werk über Constable Crane fieberhaft durch, als suche er etwas ganz bestimmtes. Vielleicht das Mittel gegen seine immer schlechter werdende Laune, gegen die gähnende Leere, die sich in seinem Inneren breit machte oder gegen die Angst, die ihn manchmal schlagartig überfiel. Dann drehte er sich immer erschrocken um, als erwartete er den alten und treuen Gärtner mit der Harke hinter sich stehen zu sehen.
Crane wandte sich um zum Gehen. Ein wahnsinniger Aufschrei, eine blitzschnelle Bewegung seitens des Gärtners und ehe Constable Crane auch nur mit der Wimper zucken konnte, war er einem verrückten alten Mann zum Opfer gefallen.
Es war schätzungsweise kurz vor Mitternacht, als Sam, ein zehnjähriger Junge mit einem Indianerschmuck auf dem Kopf, in Adams Arbeitszimmer stieß, auf der Suche nach einem guten Versteck.
„Hoppla!“, war das Erste, was der kleine Indianerhäuptling ausrief, als er Adams am Schreibtisch zusammengesunken vorfand. Adams hob müde den Kopf und schielte Sam mit blutunterlaufenen Augen an. Doch er schien ihn gar nicht richtig wahrzunehmen, vielmehr schaute er durch ihn hindurch auf die offene Tür.
„Ich weiß wer du bist“, krächzte Adams, „du willst mich vertreiben, weil ich dich durchschaut habe.“ Zitternd hob Adams seine rechte Hand und deutete auf Sam. Der Junge wich merklich zurück.
„Äh, tut mir leid. Ich dachte, dass Zimmer wäre leer“, sagte Sam schnell und rannte auch schon hinaus. Er war der Letzte, der John Adams lebend sah.
John Abberline holte sich eines der Messer aus der Küche, vor denen die Köchin ihn immer gewarnt hatte als er noch klein war.
„Fass die niemals an mein Junge“, hatte sie stets gesagt, „die säbeln dir so die Hand ab.“
Das hatte ihn fasziniert, aber er hatte trotzdem nie eines in die Hände bekommen. Bis heute. Jetzt fuhr er mit dem Daumen sanft über die Klinge, die so glatt poliert war, dass sich sein Gesicht darin spiegelte. Er war blass, aber nicht aus Furcht. Er hatte keine Angst. Was er vorhatte, war sein gutes Recht.
Das Black Rose lag still und einsam auf dem kleinen Hügel. Ein stolzes Anwesen, das erhaben auf alle hinunterblickte, die sich ihm näherten. Langsam schritt er durch den großen Garten hinter dem Haus und sog den schweren Duft der Blumen ein. Es war immer noch warm, ein perfekter Sommerabend. Der Weg führte ihn hinunter zu dem kleinen Wald unter den Birken entlang, die im Wind leise rauschten, als flüsterten sie ihm zu, ja, als würden sie ihn noch zusätzlich ermutigen. Er lächelte. Ein kaltes hartes Lächeln. Seine Hand schloss sich fester um das Messer. Er hatte keine Eile, denn er wusste, dass William und Marion die ganze Nacht in der alten Hütte am See bleiben würden. Das wusste er, denn er war ihnen einmal gefolgt und hatte sie beobachtet und belauscht und er hatte sich zusammenreißen müssen, um nicht vor Wut laut loszuschreien. Und heute Nacht waren die beiden wieder dort, wo sie sich heimlich liebten. Wie konnten sie nur so dumm sein zu glauben, dass niemand sie dort entdecken würde. Er hatte sie entdeckt und würde diese Spielereien ein für alle Mal beenden. William war sein kleiner Bruder, aber was kümmerte ihn das Alter. Das Einzige was zählte, war das Blut. Das Blut der Abberlines, das William beschmutzte, indem er sich Marion hingab. John hasste das alberne Lachen dieses dummen Mädchens und ihre einfältigen Kommentare, immer wenn sie ihm zufällig begegnete. Sie war vielleicht nicht das hübscheste Ding in Südengland und auch nicht das klügste, aber im Dorf war sie beliebt, weil sie so voller Lebensfreude war. John fand es erbärmlich.
Langsam kam die Hütte in Sicht. Ein Licht flackerte hinter den Vorhängen, die sie zugezogen hatten. Er hörte ein Lachen. Unbeschwert war es, nichtsahnend. Dann tauchte William hinter der Hütte hervor mit den Armen voll Kaminholz. Marion streckte den Kopf durch die Tür. Ihre roten Locken fielen sanft um ihr sommersprossiges Gesicht. William ließ das Holz fallen und nahm sie in die Arme. Er küsste sie, auf die Stirn, auf den Mund. Sanft schob sie ihn von sich und deutete auf das Holz. Doch er ließ nicht von ihr ab.
Was für eine Schande!
Vorsichtig schlich er sich näher heran. Er stand jetzt direkt gegenüber der Hütte, versteckt hinter einer Tanne und konnte durch die offene Tür in den kleinen Raum sehen. Sein Herz pochte immer schneller. Das war die Aufregung, die Heiterkeit, die ihn durchströmte.
William trug jetzt schließlich das Holz hinein und machte sich am Kamin zu schaffen. Wie unvorsichtig von ihnen, ein Feuer anzuzünden. Der Rauch hatte sie verraten.
Schritt für Schritt näherte er sich der Hütte. William kehrte ihm immer noch den Rücken zu. Marion konnte er nicht sehen. Sie musste irgendwo an der Seite stehen. Vielleicht hatte sie es sich auch schon auf dem Bett bequem gemacht. Diese Vorstellung vergrößerte seine Wut noch mehr und er beschleunigte seine Schritte. In der Ferne flatterte eine Eule auf. Sie begann ihren nächtlichen Raubzug, genau wie er. Dann stand er in der Tür und immer noch bemerkte ihn niemand.
„Das Holz ist wohl feucht. Letzte Nacht hat’s geregnet, aber das habt ihr sicherlich nicht mitbekommen“, stieß er hervor. Seine Stimme war ruhig und leise, kaum mehr als ein Flüstern, aber William drehte sich erschrocken um und Marion sprang vom Bett hoch, auf dem sie gesessen hatte. Er hatte also Recht gehabt.
William war aschfahl geworden.
„Was willst du hier Bruder? Du hast hier nichts zu suchen. Verschwinde wieder!“
„Ich glaube ich sollte nirgendwo sonst auf der Welt sein als hier. Genau hier in diesem Moment.“ Er trat einen Schritt in den Raum hinein. William hatte sich von seinem Schrecken erholt und verzog nun spöttisch das Gesicht.
„Verschwinde! Na los, kriech in dein Bett zurück und lass uns in Ruhe! Was denkst du eigentlich wer du bist? Ich sag dir was du bist: ein arroganter kleiner Mistkerl, der denkt er sei der Herr der Welt. Das bist du!“
William bemerkte das Messer nicht und Marion starrte immer nur zwischen den beiden Brüdern hin und her.
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