Arne ging das Thema Ehe nicht aus dem Kopf. „Sag mal, du erfahrene Kollegin, hast du in deiner langen Ehe auch nur die üblichen Probleme wie die Frau Walter? Welche könnten das denn sein? Ich frage natürlich aus rein beruflicher Neugier“, fügte er nach einem Seitenblick auf Ritas gerunzelte Stirn hinzu. „Beruflich… solltest du dich beim Urteil über fremde Ehen lieber an einen Fachmann wenden, oder eine Fachfrau. Und was meine eigene betrifft, das geht eben nur mich etwas an.“
Arne besänftigte seine Nachbarin. „Ich will dir ja keine Indiskretionen entlocken, schon aus männlicher Höflichkeit.“ „Soso, du bist das also, der höfliche Mann. Der ist übrigens international zur Fahndung ausgeschrieben, bisher erfolglos. Wie lange bist du verheiratet? Fünf Jahre?“
„Acht.“
„Donnerwetter. Den Spruch mit den sieben Jahren lass ich jetzt mal weg, aber lass dir eines sagen.“ Hintergründig lächelnd blickte Rita ihren Chef an. „Niemand ist vor Überraschungen sicher.“
„Oh, danke, dass du mich von deiner riesigen Erfahrung zehren lässt.“
„Schon gut. Aber im Ernst. Erzähl mir bitte nicht, dass es in deiner Ehe keinerlei Probleme gibt. Wie groß die wirklich sind, welche Konsequenzen sie haben, merkst du erst dann, wenn sie überwunden sind, oder auch nicht.“
Unmerklich war Rita nun doch in den mütterlich-belehrenden Tonfall geglitten, der von ihrem Mann immer mit wortlosem Lächeln beantwortet und dadurch schließlich ausgemerzt worden war. Aber nicht alle Ehepartner wären zu einer solchen Konzentration auf das Wesentliche, auf den festen Stamm einer Beziehung fähig, die so manchen kleinen „Querast“, wie sie es nannte, verdorren ließ.
„Dann kapituliere ich als Ehe-Grünschnabel und sehe der weiteren Entwicklung gelassen entgegen.“ „Meinst du jetzt deine Ehe oder die Ermittlung?“ Arne schaute nach rechts, begann mit einem leisen Lächeln, das dann mit dem von Rita zusammen in ein lautstarkes Lachen mündete.
In die Überzeugung von seiner fachlichen Überlegenheit mischten sich hin und wieder solche Momente einer zunehmenden Vertrautheit mit Rita Mesing.
Sie könnte meine Mutter sein , dachte Arne, dem ihre Souveränität imponierte. Ein anderes Wort fiel ihm nicht ein.
Und attraktiv ist sie immer noch, stellte er überrascht fest.
Noch vor dem Mittag waren sie zurück in Wolgast.
Arne brachte die Zahnbürste für die DNA-Analyse selbst ins Labor. Ihm lagen schon fordernde Worte über die Dringlichkeit der Untersuchung auf den Lippen, als er merkte, wer Dienst hatte und er ein anderes Vorgehen wählte.
„Sag mal, Cornelia, kannst du dir die Freude eines bestimmten Kriminalhauptkommissars vorstellen, wenn er noch heute ein Ergebnis in der Hand hat? Oder noch besser, die Freude einer liebenden Ehefrau, wenn sie erfährt, dass das Blut im Auto ihres Mannes nicht von ihm selbst stammt?“
Dem Wort „liebend“ gab Bock eine leicht spöttische Färbung, die die Laborantin wohlwollend zur Kenntnis nahm, sich aber in diesem Fall über die Ursache täuschte.
Cornelia Machnit, verheiratet und noch kinderlos, reagierte erfahrungsgemäß sehr empfänglich für Schmeicheleien und war für Arne schon oft die Rettung in höchster Zeitnot. Sie lächelte charmant zurück. „Weißt Du eigentlich schon, wie und wann du alle meine guten Taten für dich wieder gutmachen kannst? Hast Glück, dass mein Auftragsbuch heute fast leer ist.“
„Wollen wir deine Frage unter uns oder zusammen mit unseren Ehepartnern ausdiskutieren?“
Arne kniff in Erwartung einer Antwort die Augen zusammen und zog die Mundwinkel leicht nach außen.
Cornelias Antwort war überraschend ernsthaft. „Das kann aber dauern, denn mein Mann ist seit voriger Woche für einige Zeit auf Dienstreise. Ohne Wochenendurlaub.“ Bei diesen Worten blickte sie sich erst um und dann Arne direkt in die Augen.
Der konnte es gar nicht fassen. Sollte sich hier eine neue Dimension eröffnen? Für Arne war es bisher nie mehr als ein Flirt.
„Wir sollten diese Situation auf jeden Fall im Auge behalten. So wie jetzt gerade.“ Arne spürte, wie er dabei war, die Kontrolle über sich zu verlieren. Und nicht nur er.
Cornelia errötete unmerklich und schwenkte zurück.
„Verschwinde jetzt, sonst schaffe ich es nicht in der von dir gewünschten unmöglich kurzen Frist“, versuchte sie mit einem verlegenen Lächeln den Abgang, ohne Arne vor den Kopf zu stoßen.
Nach dem Verlassen des Labors blieb Arne einige Sekunden stehen. Der Wortwechsel mit der Laborchefin hob seine Stimmung noch mehr.
Bei der begrenzten Auswahl in der Dienststelle war die attraktive und kluge junge Frau schon längere Zeit das willkommene Ziel seines männlichen Übermuts. Ihre heutige Reaktion bedeutete eine neue Qualität.
Mit etwas Wehmut dachte er an seine eigene Ehe, und an die sieben Jahre, auf die Rita Mesing angespielt und die er eigentlich glücklich überstanden hatte. Probleme gab es nicht erst seit ihrem Umzug an die Küste. Seine anfängliche grenzenlose Vertrautheit mit Kerstin war dabei, einem anderen Zustand zu weichen, einer Mischung aus Gewohnheit, zunehmender Selbstorientiertheit und Verwaltung der beiden Kinder. Der Lehrerberuf gab seiner Frau etwas mehr Möglichkeit zur flexiblen Tagesgestaltung als ihm. Daraus ergab sich aber oft eine Drei-zu-eins-Situation im Alltag – gegen ihn. Arne nahm sich vor, bewusst an der Erhaltung seiner Ehe zu arbeiten. In den wenigen Momenten, in denen er über die Konsequenzen einer Trennung nachdachte, wurde ihm sofort klar, dass er dann den Kontakt zu seinen Kindern verlieren würde. So oder so.
Und das schloss er für sich kategorisch aus.
Aber er konnte ja nichts dafür, dass er ein attraktiver Mann war. Die jüngsten Erfahrungen mit seiner Wirkung auf Frauen machten ihn insgesamt noch selbstsicherer.
Der Gedanke, dass seine eigene Frau sich ebenso verhalten könnte wie er selbst, kam ihm jedoch nicht.
Zurück im Büro sah sich Arne den Stapel mit Fotos aus dem Arbeitszimmer des Bürgermeisters an. Unter den vielen Bildern von offiziellen Terminen war auch eines mit genau der Symbolik von der Wandgrafik. Nur, dass es auf diesem Foto ein Tattoo auf einem menschlichen Oberarm darstellte. Jetzt wusste Arne, wo er das Symbol gesehen hatte: auf dem Körper der Toten. Ein Blick auf den Obduktionsbericht gab ihm Gewissheit. Noch ehe er über die Tragweite dieser Tatsache nachdenken konnte, öffnete sich nach einem kurzen Klopfen die Tür. Polizeidirektor Hartmut Westphal betrat das Zimmer und kam gleich zur Sache. „Schon wieder ein Vermisster. Und wieder eine Person des öffentlichen Lebens. Sehen Sie dort Zusammenhänge?“
Arne Bock hatte sich schnell gefasst. „Bis jetzt gibt es dafür keine Anhaltspunkte, auch wenn ich das, im Gegensatz zu meinen Mitstreitern, nicht grundsätzlich ausschließen kann.“
„Wir brauchen Ergebnisse, Bock.“
„Aha, kam also schon ein Hinweis von oben?“
„Wenn hier jahrelang so gut wie nichts passiert außer Diebstahl und Körperverletzung im Suff, dann können zwei, nein drei solcher Ereignisse in kurzem Abstand schon mal nachdenklich machen. Deshalb nehmen Sie das bitte nicht auf die leichte Schulter.“
„Jawoll, Herr Direktor.“ Arne erschrak selbst über die respektlose Formulierung und versuchte sofort, den Fehler gerade zu biegen. Solche Vertraulichkeit hatte er sich bisher gegenüber seinem Chef nicht herausgenommen.
„Nein im Ernst, wir haben das natürlich im Blick. Und beim aktuellen Fall sind wir mitten in der Situationsanalyse.“
Westphal blickte seinen Ermittler prüfend an, zögerte, schüttelte dann den Kopf.
„Also keinerlei Ergebnisse.“ Arne bestätigte die Einschätzung wortlos, die Bedeutung des Fotos mussten sie erst noch genau besprechen.
„Nein, ich erinnere Sie jetzt nicht an die anstehende Polizeireform. Da geht es um Standorte und um Personal.“
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