Wolf-Rainer Seemann
Mit blossen Händen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Wolf-Rainer Seemann Mit blossen Händen Dieses ebook wurde erstellt bei
Mit bloßen Händen Mit bloßen Händen Politthriller
Intro
Fordo, dreißig Jahre später
Absturz
Initiation
Nelly
Finten
Transsib Rossija
Bombenstimmung
Morton
Ausgeklinkt
Wiedersehen
Sohn zweier Väter
Erledigt!
Nachwort
Impressum neobooks
Politthriller
Ein Ort in Süddeutschland, 6. Juni 1979
Vorsichtig löste Colonel Zach die letzte der vier Sicherungsschrauben der gewaltigen Atombombe. Da! Die Bombe war frei und konnte jederzeit abgeworfen werden.
„Passen Sie auf, um Gottes Willen, passen Sie auf! Abwurfschacht öffnen, Private Feldkamp!“, rief Zach.
Behutsam umfassten die beiden sechzehnjährigen Jungs die schwere Maschine und zogen ächzend den kaputten VW-Motor aus seiner Halterung. Dann setzten sie ihn auf einen Holzbock und lehnten sich keuchend gegen das Fahrzeug.
„Schau, kommt da nicht deine Wichsvorlage?“, grinste Wolfgang Zach.
Wolfgang Zach und Harry Feldkamp starrten auf ein gleichaltriges Mädchen, das im kürzesten Minirock, den sie je gesehen hatten, in einiger Entfernung von ihnen stehen blieb.
„Was du da sagst!“, schnaubte Harry.
„Hey Pergola, komm mal her!“, rief Wolfgang und winkte ihr zu.
„Bist du verrückt? Die kommt wirklich!“, flüsterte Harry mit knallrotem Kopf.
Pergola näherte sich ihnen, als schwebe sie auf einer Haschischwolke. Sie sah so anders aus als die Mädchen hier. Im Süden Badens gab es so gut wie keine weißblonden Mädchen. Pergolas Eltern stammten aus Ostpreußen, vielleicht kam das Blond ja von dort.
Pergola hielt eine geöffnete Cola-Flasche in der linken Hand. Zum Trinken hob sie diese langsam hoch, bis sie in ihrem Gesichtsfeld auftauchte. Dann nahm sie ihre rechte Hand zu Hilfe und maß mit Daumen und Zeigefinger den Abstand zwischen Flaschenöffnung und ihrem sagenhaften Schmollmund. Dieser Abstandshalter verschmälerte sich scherenartig, bis die Flaschenöffnung an ihren Lippen andockte. Ohne jenen Abstandshalter wäre die Flaschenöffnung überall, nur nicht auf ihren Lippen gelandet. Als sie die Flasche abgesetzt hatte, konnte man im Gegenlicht der Sonne einen zarten, feuchten Flaum um ihren Mund herum erkennen.
„Großes Kino!“, flüsterte Harry.
„Sag mal, ist Pergola nicht so was wie Trevira, was zum Anziehen?“, fragte Wolfgang das Mädchen.
„Bist du blöd? Pergola ist ein Dach über der Terrasse, das man rüberkurbeln tut. Was Vornehmes, so.“
„Passt zu dir, der Name.“
„Wieso?“
„Neben dir steht jede im Schatten.“
„Ach?“
„Pass auf, er fällt!“, schrie Harry und versuchte erfolglos, den aufgebockten Motor festzuhalten, der soeben zur Seite kippte und krachend zu Boden stürzte.
Der Eisenblock riss Wolfgang zu Boden. Fassungslos starrte er auf den blutigen Matsch dort, wo vormals seine linke kleine Zehe war. Er umfasste mit beiden Händen seinen Unterschenkel und stierte atemlos auf seinen Fuß. Harry tropfte der Speichel aus dem Mund und Pergola hatte beide Hände vor den Mund geschlagen.
„Mein Gott, Wolfgang!“, ächzte Harry.
„Los, hol jemanden!“, schrie Wolfgang.
„Wen?“
Harry schossen die Tränen in die Augen, als er seinen Freund so vor sich liegen sah.
„Hey, ich bin der Verletze, nicht du!“, blaffte Wolfgang. „Hör auf zu flennen und hol einfach irgendjemanden!“, schrie er dann panisch.
Harry winkte Pergola herbei. Seine Lippen bebten. „Setz dich zu ihm, bitte!“ Dies waren die ersten Worte, die Harry je an Pergola gerichtet hatte. Dann rannte er davon.
Wolfgang legte seinen Kopf auf Pergolas Schoß, der das unendlich peinlich war. Wie verhält man sich mit so was Fremden im Schoß?
„Ah! Das tut gut …“, seufzte Wolfgang, der mit den Tränen kämpfen musste. Noch überlagerte der Stress den Schmerz. Aber am liebsten hätte er einfach losgeheult. Nicht wegen des Schmerzes, sondern wegen des Verlusts eines guten Kumpels am Fuß. Doch vor einem Mädchen weinen, das ging ja gar nicht …
Fordo, dreißig Jahre später
Im Juni 2010 beschließt der Weltsicherheitsrat eine weitere Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran. Unmittelbar nach diesem Beschluss stellt der israelische Ministerpräsident Netanjahu eine akute nukleare Bedrohung Israels durch den Iran fest. Er weist den israelischen Militärapparat an, Pläne für einen vernichtenden Militärschlag gegen das iranische Atompotenzial zu erstellen.
Es ist der 18. Januar 2012 kurz vor acht Uhr. Es dürfte ein geruhsamer Tag in der Abteilung für Proliferation und Waffenhandel des BND werden. Die Abteilungsleiterin Nelly van Eid läuft auf roten High Heels durch den unterirdischen Gang zum Aufzug. Die Wände werfen das energische Klack Klack ihrer Abätze zurück und bestärken sie in der Gewissheit, dass sie den Tag in den Griff bekommen wird.
Als sie ihre Abteilung betritt, winkt Nikodem ihr aufgeregt zu. Nikodem ist ihr Stellvertreter, die beiden mögen sich nicht. Sie sitzt auf seinem Stuhl und er gilt als Kollateralschaden der Frauenquote.
„Die Amerikaner, Frau van Eid!“ Er verweigert ihr beharrlich den Titel Chefin .
Die Amerikaner! Jetzt wird es doch ein Scheißtag, denkt sie und legt ihre Stirn in fragende Falten. Sie weiß, sie sollte das unterlassen. Wenn man 36 Jahre alt ist, bügelt die Tagescreme Gesichtsfalten nicht mehr so einfach weg.
„Larry Newman, NSA Baltimore“, beantwortet Nikodem ihr Mienenspiel.
Um acht Uhr morgens auf Englisch zu schalten, fällt den meisten Deutschen schwer. Nelly van Eid stürmt in ihr Büro und hebt den roten Hörer ab. Ausgerechnet die NSA! Die hören einen ab, wenn man nur an sie denkt.
„Nelly?“, fragt Newman. „Listen, wir haben bei euch was gutzumachen. Unsere Freunde vom Sinai werden in wenigen Minuten die unterirdischen Atomanlagen bei Fordo sprengen. Interessiert?“
Sprengen? Atomanlagen? Fordo? Nelly van Eid muss sich sammeln.
Niemand im BND ist so dreist, ein amerikanisches Angebot abzulehnen. Nikodem hat bereits sämtliche Monitore angeschaltet. Auf den beiden mittleren werden Wolken übertragen. In der Mitte senkt sich langsam die Spitze eines Flugkörpers ins Bild. Eine andere Kameraeinstellung zeigt die Region der Übertragung: die östlichen Ausläufer des Zagrosgebirges, südlich der heiligen Stadt Ghom, und immer größer werdend das Wüstennest Fordo.
***
Am frühen Morgen desselben 18. Januar fährt der Chef des Isfahan Forschungs- und Produktionszentrums für Kernbrennstoff (NFRPC) General Hassan Mokaddam die gut ausgebaute Autostraße von Isfahan in Richtung Süden. Er biegt etwa 20 Kilometer südlich der heiligen Stadt Ghom in eine nicht ausgeschilderte Straße ab. Diese endet in einer herzförmigen Schleife, die zwei Tunneleingänge miteinander verbindet und in einem Bogen wieder zum Zubringer zurückführt. Neben ihm sitzt ein etwa zwei Meter großer Mann Ende vierzig, er trägt einen Kaftan. Trotz seiner Kleidung ist er unschwer als Mitteleuropäer zu erkennen. Selbst der General auf dem Fahrersitz rückt ein wenig von ihm ab. Der Mann mit den eng aneinanderliegenden Raubtieraugen ist ihm unheimlich. Wolfgang Zach ist Waffenhändler und der einzige, der mit der großen Kugel umgehen kann. Anders als sein Name sagt, ist Zach Schiit – als Katholik wäre ihm niemals das Vertrauen entgegengebracht worden, das ein Mann mit seinen Ambitionen benötigt. Und Religion spielt für Gott ohnehin keine Rolle. Das war schon immer Zachs Meinung. Anders als sein Berufsbild erwarten lässt, ist er hochangesehen: Er hat als zwanzigjähriger Spion den Iran vor Saddam Hussein gerettet.
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