Der Doktor stellte nichts Beunruhigendes fest: Erschöpfung, Verdacht auf Alters-Diabetes, müsse man prüfen, könnte die Folge einer einseitigen Ernährung sein (Kohlenhydrate? Zuviel Kuchen und Pizza? Nudeln?), Calcium-Mangel, viel Milch trinken (Brrr!), Wassergymnastik, Kneipp, Pilates (!!!) empfohlen, nicht verordnet (ha!). Schwimmen, jeden Tag zweimal eine halbe Stunde (langweilig). Viel Bewegung! Aber langsam anfangen, auf dem Tappeiner Weg. Nicht gleich zuviel! Sisi-Promenade.
Nochmal davon gekommen! dachte sich Velmond. Alles halb so schlimm. Er würde ja nun „bekocht“, also nicht mehr Junggesellenkost und Nahrungsaufnahme im Kantinentempo. Der Nachmittag war frei von Anwendungen, also wieder auf die Promenade. Und mal hineinschnuppern ins alte, ehrwürdige Kurhaus mit seiner heilsamen Stille. Hier wurde nur betont leise gesprochen, geflüstert, gewispert! Er erschrak, als ihm dieses Wort einfiel; denn Wispern, das war ja seine spezielle Methode, um einen Tatort zum Reden zu bringen, ihn wispern lassen. Nun befand er sich sozusagen im Tempel des Wisperns. Tafeln waren aufgestellt und verwiesen auf diverse Veranstaltungen, Vorträge mit äußerst gesunden Bio-Themen, über Positives Denken. Dazwischen eine, die sehr geheimnisvoll klang: „qFQ - Meet“. Im 1. Stock. qFQ und Meet ohne ing? Er gab sich gelangweilt, als er vor der großen offenen Tür entlang flanierte, ein bisschen neugierig hineinlugte. Da standen Flipcharts und Pinwände mit vielen bunten Kärtchen. Es war wohl gerade Kaffeepause oder man war zu spät zum Mittagessen gegangen. Allmählich trafen wieder einige Herren ein, aber nicht in feinem Tuch mit weißem Hemd und Krawatte, sondern im Freizeit-Look, Casual Wear nannte man das wohl. Es wurde lebhaft geschwätzt, ganz anders als unten im Foyer. Da, auf einmal steuerte ein älterer Herr auf ihn zu:
„Herr Dr. Marquardt, nicht wahr? Anzengruber, Sie erinnern sich, Baden-Badener-Gespräche! Ja, das ist aber nett, dass Sie es doch noch einrichten konnten an unserem Treffen teilzunehmen ... hatten Sie eine gute Anreise? Ach, Sie haben noch nicht viel verpasst. Heute morgen ging es ja nur um die Gesetzeslage, Frauenquote, wieviel Prozent bis wann, in welchen Führungsrängen ...“
Lothar Velmond zuckte zusammen. Sollte er den Irrtum aufklären? Ich bin nicht der, den Sie meinen? Oder das Spiel mitmachen? Frauenquote? FQ? Eine Manager-Konferenz über die Frauenquote? Blitzschnell entschloss er sich, das Spiel mitzumachen.
„Ach wissen Sie, Herr Dr. Anzengruber, am liebsten wäre mir, Sie würden kein großes Aufhebens von mir machen. Ich bin sozusagen inkognito hier. Ich habe ja auch in meinem Alter nicht mehr viel beizutragen. Frauenquote - da habe ich wohl nichts mehr mit am Hut. Ich setze mich ganz ruhig hinten hin.“
„Mehr oder minder sind wir hier alle inkognito. Niemand und schon gar nicht die Presse soll wissen, dass wir uns hier treffen, um Strategien auszudenken, wie wir diese Frauenquote aushebeln können. Wir tarnen uns absichtlich als Touristen. Einige unter falschem Namen. Keine Namensschilder. Keine Entourage. Keine Limousinen. Keine Krawatten. So wie Sie, Dr. Marquardt, mal wieder toprichtig, leger. Aber jetzt müssen wir rein!“
Im Saal scharten sich wohl an die dreißig als Touristen verkleidete Manager um drei Pinwände mit vielen, vielen bunten Kärtchen, rechteckig, kreisrund, wolkenförmig, manche mit vielen, manche mit sehr wenigen bunten Punkten beklebt.
„ Also, meine Herren, darf ich nochmal zusammenfassen, auch für die, die leider erst jetzt zu uns stoßen konnten“, begann ein ziemlich beleibter Mann in mittlerem Alter, eine Narbe an der rechten Wange, ehemaliger Corps-Student? „Mit der Nor-Effkuh hat alles angefangen, die niemand richtig hinterfragt hat, aber für uns viel Potenzial birgt. Ich darf daran erinnern: Die Norweger haben die Frauen elegant in die Aufsichtsräte geschoben. Die tagen ja nur ein paarmal im Jahr. Da können sie zwischendurch ihre Familienpflichten erfüllen und reden nicht in die operative Arbeit hinein. Interessanter Ansatz für uns: Je höher wir die Frauen nach oben schieben, desto weniger pfuschen sie uns unten rein. (Gelächter) Hinzu kam die von der US-Börse aufoktroyierte US-Effkuh. Nun sprang Brüssel an. Nor-Effkuh, sie erinnern sich, waren 30 Prozent, US waren 40, also forderte Brüssel ebenfalls die 40 Effkuh. So, als ob das nicht ohnehin schon weit übertrieben war, schwappte das über nach Berlin! Wir müssen ja immer die Musterschüler der ganzen Welt sein! Hier verbündete sich die Frau Dr. Sabine von der Lauer mit der Grinsefrau Roth, der Ministerin Schnarri und natürlich mit der Oberfeministin Weißer. Na klar - 50 Prozent müssten es sein! Nein, 50 Prozent nicht genug, es müssen 51 Prozent sein, aller Führungskräfte, nicht nur Vorstand, Majorisierung als Ziel! Endlich! Endlich Schwanz ab! Schließlich einigte man sich auf 50 komma fünf.“
Ansteigendes Gemurmel, einige Zwischenrufe und Fragen gipfelten in der Forderung, man solle endlich kleine Gruppen bilden, die erarbeiten sollen, mit welchen Strategien man einigermaßen erfolgversprechend gegensteuern könnte. Es erhob sich ein anderer, ziemlich schlanker Mann mit amerikanischem Akzent:
„ Nein, I think, sorry, ich meine, wir mussen nicht gegen steuern, but if you can’t beat them, join them. Sagen wir immer. Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbunde dich mit ihnen, um das von innen korrumpieren! Wir könnten zum Beispiel noch viel weitergehende Forderungen stellen!“
„ Richtig!“ sagte der erste Sprecher. „Jetzt kommt nämlich unser kleines q ins Spiel! Genau, wie es unser Mister Bronfield vorgeschlagen hat. Wir fordern die qualifizierte Frauenquote, nicht die einfache! und zwar ungefähr so: Von den Frauen müssen soundsoviele katholisch, evangelisch, jüdisch oder Muslima sein, dem DGB angehören, dem Arbeitgeberflügel. Qualifiziert heißt auch paritätisch. Natürlich müssen auch alle Parteien vertreten sein. Es gibt ein Punktesystem, und jetzt wird’s richtig kompliziert, weil es den Börsenwert steigert oder senkt, zu Steueraufschlägen oder Vergünstigungen führt. Für eine Frau mit Migrationshintergrund gibt es fünf Sonderpunkte, für eine Langzeitarbeitslose drei Sonderpunkte, für eine Vegetarierin oder Veganer-Biofrau zwei Punkte, die übrigen Qualifikationen je einen Punkt. 10 Punkte müssen zu soundsoviel steuerlicher Vergünstigung führen, fordern wir. Vorgeschrieben ist, wie Sie ja alle wissen, ab Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern eine Frauenquote-Beauftragte.“
Allgemeines Gelächter. Viel Zustimmung! „So hebeln wir das System aus! Macht es kompliziert, aber so, dass niemand widersprechen kann. Wer will denn was gegen eine Muslima im Vorstand oder Aufsichtsrat haben? Oder eine langzeitarbeitslose Akademikerin, die nach ihrem Doktor „summa cum laude“ bisher Taxi fahren musste?“
Nun bildeten sich Gruppen von Befürwortern und Gegnern dieses Vorschlags.
Ein anderer, außerordentlich gepflegt aussehender Mann in sichtbar teurem, noch nie vorher getragenen Touristen-Outfit meinte:
„ Wenn schon Frauen im Vorstand und wo auch immer, wie sollten sie sein, damit wir auch unsere Freude daran haben? Irgendwie, Schiller oder Mörike oder so einer von diesen sogenannten Romantikern hat doch gesagt ‚Ehret die Frauen, sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben!’ Das muss doch unsere Maxime sein; denn wir können gegen die Frauenquote eigentlich gar nichts mehr machen. Also ich bilde jetzt eine Gruppe, wir gehen hinten in die linke Ecke am Fenster, und dann schreiben wir mal wieder Kärtchen, welche Eigenschaften denn eine Frau haben sollte, die wir gern im Vorstand oder anderen Gremien gern neben uns sitzen haben würden. Daran können Sie sich dann bei Ihren Entscheidungen orientieren. Wollen sie so eine strubbelige, kurzhaarige mit Schlagring-ähnlicher Armbanduhr und Schaftstiefeln bis zum Arsch? Wollen Sie so eine mit ?ner evangelischen Glaubenszwiebel? Oder was junges, lernbegieriges, mit ?nem hübschen Busen?
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