Eberhard Schiel
Herszel Grynszpan
Ein Phantom der Geschichte
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Inhaltsverzeichnis
Titel Eberhard Schiel Herszel Grynszpan Ein Phantom der Geschichte Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Kapitel: Das Attentat
2. Kapitel: Das Opfer
3. Kapitel: Der Tod Ernst vom Raths
4. Kapitel: Der Attentäter
5. Kapitel: Charaktereigenschaften Herszel Grynszpans
6. Kapitel: Die Reaktion der Weltpresse
7. Kapitel: Die Kristallnacht in Hannover
8. Kapitel: Die Grynszpans vor Gericht
9. Kapitel: Herszel Grynszpan in Untersuchungshaft
10. Kapitel: Die Frage nach den Hintermännern
11. Kapitel: Das Zwischenspiel
12. Kapitel: Die Entführung des Attentäters
13. Kapitel: Grynszpan in Deutschland
14. Kapitel: Der Kriminalfall
15. Kapitel: Der homosexuelle Komplex
16. Kapitel: Das Tatmotiv
17. Kapitel: Das Phantom der Geschichte
18. Kapitel: Epilog
19. Kapitel: Anhang
20. Kapitel: Dankeschön
21. Kapitel: Quellennachweis
Impressum neobooks
Es ist eigentlich kaum zu erklären, warum sich ausgerechnet im unfreundlichsten Monat des Jahres, dem November, die Regisseure der politischen Weltbühne wiederholt in Szene gesetzt haben und für revolutionäre Umwälzungen oder Gewaltakte sorgten. Am Morgen des 7. November 1938 dachte in der französischen Metropole wohl niemand an ein Ereignis, dass für Hunderttausende von Menschen zum Verhängnis werden sollte.
Dabei fing alles so harmlos an. Im Rundfunk singt der “Spatz von Paris” seinen neuesten Gassenhauer “C èst lui mon coeur a choisi”. Radio Paris meldet im Wetterbericht mäßige Winde bei wolkenverhangenem Himmel. Stellenweise ist Nebel angesagt, gelegentliche Niederschläge, meist als Regen, bei Temperaturen von verträglichen 12-14 Grad. Gegen 8 Uhr sind viele Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Ich stelle mir vor, worüber man sich in der Pariser Metro unterhalten haben könnte. Mit Sicherheit über den Sport vom Wochenende, schließlich fällt der 7. November auf einen Montag. In der 1. Division der französischen Fußball-Liga gewinnt St. Etienne gegen Marseille mit 1:0 und übernimmt die Tabellenführung. In Algier verteidigt Weltergewichtler Koudri seinen Titel durch Abbruch-Sieg in der 7. Runde gegen Bianchini und bleibt somit Champion seines Landes. Für reichlichen Gesprächsstoff dürfte auch der Weltrekord-Versuch dreier englischer Piloten gesorgt haben. Sie wollen den bisherigen Rekord im Langstreckenflug, den die russischen Flieger Gromow, Dalinin und Tschumanow halten, überbieten. Ihre Maschine ist mit 250/kmh von Ismalia (Ägypten) nach Port Darwin (Australien) unterwegs. Wer sich nichts aus Sport macht, schwärmt vielleicht eher für den seit 14 Wochen laufenden Film “Der Ganove”, gezeigt im Kinopalast Savoy, mit Danielle Darrieux in der Hauptrolle, oder für den nicht ganz jugendfreien Kracher “Die Regimentsbraut” im Ambassador. Und wie ich die Pariser kenne, nehmen sie in der Metro auch die L `Humanite` zur Hand. Wer leichte Unterhaltung mag, wird darin sicher den Fortsetzungs-Roman über den Grafen von Monte Christo lesen. Die politisch interessierten Fahrgäste hingegen finden diese Schlagzeile: “Faschistische Vandalen der Bande um La Roque und Doriot plünderten die Geschäftsstelle der KP Frankreichs.” Am gleichen Wochenende bejubeln die Sozialdemokraten Leon Blums leidenschaftlich vorgetragene Rede anlässlich der außenpolitischen Debatte im Nationalrat. Was gibt es noch? In Spanien geht der Bürgerkrieg weiter. Eine große Spendenaktion unter den französischen Linken ist angelaufen. Hitlers anmaßende Rede in Weimar stößt dagegen in einigen Tageszeitungen, so auch in der Le Soir, auf heftige Kritik. In der L` Humanite` entdeckt der aufmerksame Leser indes eine kleine Karikatur, die oben links gleich neben dem Namen der Zeitung abgedruckt ist. Man sieht drei mysteriöse Gestalten. Eine davon trägt eine Kapuze. Sie stehen devot vor einem offensichtlich sehr einflussreichen Mann und erwarten seinen Befehl. Darunter der Text: “Und nun, äh? Wann steht das Palais Bourbon in Flammen?”( Dieses Gebäude ist der Sitz der Französischen Nationalversammlung, mit dem Reichstag in Berlin vergleichbar). Welch eine prophetische Gabe des Zeichners. Das Palais Bourbon wird zwar nicht in Flammen aufgehen, aber dafür steigt in der Station “Madelaine” ein junger Mann im hellen Trenchcoat zu. Der Bursche ist bewaffnet. In der linken Tasche des Jacketts steckt ein Trommelrevolver mit fünf Schuss Munition. Niemand ahnt, welchen Zündstoff für die Weltpolitik dieser unscheinbare Fahrgast mit sich herumträgt. Er steigt nach wenigen Minuten an der Station “Solferino” aus. Es ist jetzt exakt 9.20 Uhr. Noch zehn Minuten Zeit, bis sich die schwere Pforte vor dem Palais Beauharnais öffnet. Hier, in der Rue de Lille 78 ,macht unser überaus ruhig wirkende Jüngling halt, trifft auf die Frau des Pförtners Mathes, die ihren Mann in der Einlassloge vertreten muss, weil dieser sich nach dem eben erfolgten Hof fegen gerade umzieht. Der Besucher erklärt gelassen, er habe ein wichtiges Dokument an einen “Sekretär” zu übergeben. Frau Mathes denkt sich nichts dabei. Sie zeigt dem angeblichen Boten hilfsbereit die Eingangstür zum diensttuenden Amtsgehilfen Nagorka. Bei letzterem hat sich jeder fremde Besucher, der einen Sachbearbeiter sprechen möchte, schriftlich anzumelden. Auf einem entsprechenden Vordruck ist der volle Name, die Staatsangehörigkeit und der Besuchszweck anzugeben. Nach dem Ausfüllen des Formulars erfolgt durch den Amtsgehilfen die Anmeldung des Besuchers beim zuständigen Sachbearbeiter. Im Ermessen des Beamten liegt es nun, ob er noch ergänzende Angaben zur Person und die Vorlegung von Ausweispapieren anzufordern gedenkt oder nicht. Erst jetzt darf man als Gast in Begleitung eines Amtsgehilfen die Büroräume der Deutschen Botschaft betreten. So schreibt es das Verfahren offiziell vor. Warum ausgerechnet am 7. November 1938 mit eben jenem geschilderten Besucher eine Ausnahme gemacht wurde, gehört zu den vielen ungeklärten Fragen, die uns noch heute beschäftigen. Im vorliegenden Fall wiederholt der Jüngling gegenüber dem Amtsgehilfen nur sein Anliegen, nennt seinen Namen, Herszel Grynszpan, und als Nagorka das vermeintliche Dokument zur Weiterleitung an sich nehmen will, verweigert Grynszpan die Herausgabe mit dem Hinweis, es handle sich um ein wichtiges Papier, das er auf gar keinen Fall in fremde Hände geben könne, wobei man ohnehin darüber auch noch einige Worte im Beisein des “Sekretärs” anmerken müsse. Nagorka kapituliert. Er verständigt den zu jenem Zeitpunkt einzigen anwesenden Beamten höheren Ranges, den Legationsrat Ernst vom Rath, fragt ihn, ob er bereit sei Herszel Grynszpan zu empfangen. Es sei noch einmal wiederholt: Der Besucher hatte kein Formular ausgefüllt. Bei vom Rath spielt dieser Umstand offenbar an diesem Tag ausnahmsweise keine Rolle. So nimmt das Schicksal dann seinen Lauf. Der kleine Attentäter, er misst ganze 1,54 m, wie spätere Untersuchungen ergeben sollten, gelangt durch eine Seitentür in das Büro des “Sekretärs”. Es liegt am Ende eines langen Korridors im äußersten Flügel des Palais Beauharnais. Hier steht nun Herszel Grynspan in dem 3x4 m großen Raum. An der Wand, gleich rechts neben der Eingangstür, hängt das Bild des Führers. Ernst vom Rath sitzt mit dem Rücken zum Eintretenden am Fenster, gerade eine deutsche Zeitung studierend. Er macht mit seinem Stuhl eine Drehung, um seinem Gast ins Gesicht sehen zu können.
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