In diesem Moment war sie dankbar, dass Volker sie nicht in solche Konflikte stürzte und von allen gemocht wurde. Und auf gar keinen Fall sollte Birgit je erfahren, dass sie ebenfalls zu denen gehörte, die sie um Henno beneideten.
Diese schob sie zurück und lächelte ein bisschen wehmütig.
„Ach, Steffi, du bist und bleibst eine hoffnungslose Romantikerin. Ich hoffe, du wirst nie enttäuscht!“
Bis zum 30. waren es nur knapp zwei Wochen. Steffi sah Birgit in dieser Zeit nur selten, und dann meist auch nur kurz. Viele Nächte verbrachte sie nicht in ihrem Zimmer. Dafür war Volker ein häufiger Gast bei Steffi. Er schleppte sie mit Vorliebe in die Studiosusklause, wo meist ein Großteil der Clique anwesend war. Auch Babs war regelmäßig da und wirkte burschikos wie immer. Allerdings hatte Steffi das Gefühl, sie suche sich immer einen Platz möglichst weit weg von ihr. Zu einem weiteren Gespräch kam es nicht mehr zwischen ihnen.
Dass Birgit sich die ganze Zeit nicht sehen ließ, wurde anfänglich noch kommentiert, doch mit der Zeit war es keine Bemerkung mehr wert. Steffi war froh darüber, dass sie nicht mehr auf das Thema angesprochen wurde, doch so richtig wohl fühlte sie sich nicht dabei. Mit Erstaunen verfolgte sie dagegen, wie Volker zunehmend unentbehrlich zu sein schien in dieser Gruppe, wie er inmitten ihrer Freunde regelrecht auflebte und ein äußerst interessanter Mitunterhalter war. Die Gespräche selbst fand sie eher flach, es wurde halt herumgealbert und das Leben von seiner leichten Seite beleuchtet.
Je näher der letzte Apriltag kam, desto kribbeliger wurde sie. Sie schalt sich selbst eine alberne Kuh. Was war denn schon dabei, sich einige Bilder anzuschauen? Doch es half nichts. Die Tatsache, dass sie Henno wieder sehen würde, machte sie nervös.
Am Abend davor kam sie mit Volker aus der Studiosusklause, als Birgit gerade mit einer Menge Büchern bepackt aus dem alten BMW stieg. Henno hatte sie nach Hause gebracht, fuhr aber gleich weiter. Im Vorbeifahren hob er kurz die Hand zum Gruß. Gemeinsam gingen sie ins Haus.
„Ich habe mich noch mit Lesestoff aus der Uni-Bibliothek eingedeckt“, meinte Birgit. „Morgen früh muss ich dringend was für mein Sportseminar tun.“
Bevor sie in ihrem eigenen Zimmer verschwand, vergewisserte sie sich noch einmal:
„Das klappt doch morgen bei euch?“
„Natürlich“, beeilte Steffi sich sagen. „Wir freuen uns auch schon.“
„Gut. Dann hätte ich noch eine Bitte. Kann ich mit euch fahren? Olaf braucht das Auto morgen dringend, weil er noch einiges vorbereiten muss, und Henno will ihm dabei helfen. Deshalb wäre es ungeschickt, wenn er mich auch noch abholen müsste.“
„Das ist doch selbstverständlich. Dann kannst du uns den Weg weisen.“
„Alles klar. Ich wünsche euch eine Gute Nacht!“
Volker folgte Steffi in ihr Zimmer.
„Ich bin gespannt, was uns da so geboten wird“, meinte er und streckte sich auf ihrem Bett aus. „Allerdings glaube ich, mit diesem Mischprogramm tun wir genau das Richtige. Zuerst die Muse, dann der Spaß.“
Steffi wollte darauf nichts erwidern. Sie zog sich langsam aus und kuschelte sich in seinen Arm. Doch so sehr sie sich auch dagegen wehrte – ihre Gedanken waren schon wieder bei jemand anderem.
Am nächsten Morgen schliefen sie richtig aus und frühstückten dann gemeinsam. Anschließend fuhr Volker zu seinem Zimmer, da er ebenfalls noch einiges aufarbeiten wollte.
„So um drei Uhr bin ich wieder bei dir, mein Schatz. Ich bringe ein paar Stückchen Kuchen mit vom Bäcker. Dann können wir noch gemütlich Kaffee trinken. Birgit kann sicher auch eine Stärkung gebrauchen, bevor es losgeht.“
Steffi umarmte ihn und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
„Ich werde ihr Bescheid geben. Toll, dass du an so etwas denkst.“
Als er weg war, klopfte sie bei Birgit an. Sie saß tatsächlich am Schreibtisch und war voll konzentriert.
„Ich wollte dich nicht stören. Aber gegen drei gibt`s Kaffee und Kuchen. Magst du dann rüber kommen?“
„Oh, danke für die Einladung. Bis dahin raucht mir bestimmt der Kopf. Ich komme gerne.“
Steffi zog sich zurück und beschloss, ebenfalls ihre Unterlagen und Notizen der letzten Woche zu sichten. Doch irgendwie konnte sie sich nicht konzentrieren. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab und landeten zwangsläufig bei der Begegnung, die am Spätnachmittag unweigerlich stattfinden würde. Ihr Herz klopfte und sie fragte sich, ob sie sich überhaupt normal benehmen könnte. Was würde für ein Gespräch stattfinden? Ob es nur um die Kunst ginge? Hoffentlich würde sie ganz cool bleiben. Das Beste wäre sicherlich, nicht von Volkers Seite zu weichen und zu demonstrieren, wie glücklich sie mit ihm war. Und das war sie doch auch!
Schließlich ging sie zum Kleiderschrank und überlegte, was sie am sinnvollsten anziehen könnte. Nach einigen Versuchen entschied sie sich für ganz normale Jeans, dazu aber eine etwas elegantere Bluse, von der sie wusste, dass sie ihr sehr gut stand. Dann bürstete sie ihre Haare in Form und betonte mit Lidschatten und Wimperntusche ihre Augen.
So verging die Zeit wie im Flug. Als sie sich kritisch im Spiegel musterte, war sie eigentlich ganz zufrieden mit dem, was sie sah. Und da läutete es auch schon.
Volker war überrascht. „Wow, du siehst toll aus. Ich habe mich gar nicht besonders in Schale geworfen.“
Erfreut über das Kompliment nahm sie ihm zuerst den Kuchen ab und stellte ihn auf den Tisch, dann fiel sie ihm um den Hals.
„Ich hatte einfach Lust darauf, mich ein bisschen schick zu machen. Schließlich gehen wir nicht jeden Tag zu einer Vernissage.“
Da klopfte auch schon Birgit, vom Läuten und dem Kaffeeduft angelockt, und ihr fiel Steffis Outfit ebenfalls sofort auf.
Der anschließende Kaffeeklatsch war sehr ungezwungen. Steffi war zufrieden mit ihrem Aussehen, Birgit war mit ihrer Arbeit sehr gut vorangekommen und bei Volker hatte man sowieso den Eindruck, für ihn sei die Welt immer in Ordnung.
Um halb fünf brachen sie auf.
Am Baggersee war schon viel Trubel. Es war ein ziemlich buntes Völkchen, das sich hier versammelt hatte. Der Eingang der alten Scheune stand weit offen. Henno stand mit Olaf und Ella davor. Als er sie erblickte, eilte er mit großen Schritten auf sie zu und schloss zuerst Birgit stürmisch in die Arme, als habe er sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Über ihren Kopf hinweg fand er schließlich Steffis Blick und lächelte ihr zu. Er gab Birgit frei und nahm stattdessen sie in die Arme.
„Schön, dass ihr uns die Ehre gebt“, sagte er mit seiner sonoren Stimme und hauchte ihr links und rechts einen leichten Kuss auf die Backe. Steffi hatte das Gefühl zu verbrennen, so heiß war ihr plötzlich geworden. Allerdings dauerte dieser Moment nicht lange, er ließ sie sofort wieder los und schüttelte Volker kräftig die Hand.
„Ihr werdet bestimmt auf eure Kosten kommen“, versprach er. „Ich bin gespannt, ob ihr Olafs Werk erkennt.“
„Wie sollten wir?“ versetzte Volker. „Wir sind mit Olafs Stil ja nicht so vertraut.“
„Trotzdem müsste es euch auffallen“, Henno zwinkerte Steffi zu, „Es ist sehr eigen.“
Sie gingen zum Eingang und begrüßten Olaf und Ella.
„Geht am besten schon rein und sucht euch einen guten Platz“, schlug Olaf vor. „Das Vorprogramm ist auf jeden Fall auch hörens –und sehenswert.“ Damit gab er Ella einen liebevollen Kuss auf die Wange. Sie lächelte ihn ebenso liebvoll an.
„Nun, ich muss mich bereitmachen. Euch wünsche ich viel Spaß!“
Sie gingen gemeinsam hinein. Steffi war überrascht, wie groß diese Räumlichkeit war. An den Seiten hingen und standen Kunstwerke, sowohl Bilder als auch Plastiken.
Im Mittelteil des Raumes waren Klappstühle, vorn ein Podium aufgestellt, wo an einer Seite ein Rednerpult stand, auf der anderen Seite Musikinstrumente und Verstärker. Hier saßen einige junge Leute, zu denen Ella sich gesellte. Olaf steuerte auf die zweite Reihe zu, da sich in der ersten schon einige gesetzt hatte.
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