Steffi schaute verlegen in ihr Glas.
„Volker ist da ganz eigen“, meinte sie nach einer Weile. „Er versteht sich so gut mit der Clique, vor allem mit Konrad, und dieser Kontakt ist ihm ungeheuer wichtig.“
„Dafür habe ich durchaus Verständnis, aber ihr seid ja nicht mit dieser Gruppe verheiratet. Du bist übrigens auch nicht mit Volker verheiratet. Du solltest mal ein ernstes Wort mit ihm reden. Er kann dir nicht vorschreiben, mit wem du zusammen sein darfst. Oder ist unsere Freundschaft dir inzwischen gleichgültig?“
Steffi fühlte sich plötzlich unwohl. Birgit hatte Recht, sie ließ sich zu viel von Volker vorschreiben, was ihre gemeinsame Zeit anbelangte. Dabei konnte sie sich gar nicht mehr erinnern, wann das angefangen hatte, aber inzwischen ließ sie zu, dass er die Pläne machte und sie sich anschloss. Irgendwo tief in ihr saß eine Angst vor Auseinandersetzungen, doch diese führte sie in eine Abhängigkeit, die sie früher schon gegenüber ihrer Mutter empfunden hatte. Jetzt hatte Volker ganz schleichend diese Rolle übernommen. Entschlossen setzte sie sich auf.
„Ich werde mit Volker reden. Wenn ihm etwas an mir liegt, muss er auch unsere Freundschaft akzeptieren!“
„Verstehe mich bitte nicht falsch. Wir wollen keineswegs ständig mit euch zusammen glucken, aber ich halte es schon für wichtig, dass unsere Partner sich einigermaßen verstehen. Sonst werden wir uns nämlich auf Dauer auch auseinanderleben.“
„Mmh“, brummte Steffi und nahm sich vor, gleich beim nächsten Zusammensein mit Volker für Klarheit zu sorgen. Hätte sie doch nur ein bisschen mehr von Birgits Selbstbewusstsein! Die schob nie etwas auf die lange Bank und sagte stets sofort, wenn ihr etwas nicht passte.
Zwar brachte sie sich dadurch auch ab und zu in Schwierigkeiten, doch sie kam meist zu ihrem Recht. Sie dagegen war des Öfteren von Selbstzweifeln geplagt.
„Ich habe einen Vorschlag“, fuhr Birgit jetzt fort. „Nächste Woche ist Uni-Ball. Wir könnten doch gemeinsam dort hin gehen.“
„Gleich morgen, wenn er kommt, werde ich das regeln“, versprach Steffi.
Als Volker am nächsten Abend kam, nahm er sie wie immer fest in die Arme und drückte ihr den obligatorischen Kuss auf den Mund.
„Ich habe grad Konrad getroffen. Die treffen sich bei dem tollen Wetter gleich auf dem Waldgrillplatz. Da sollten wir auch hinkommen.“
Steffi machte sich los und setzte sich erst einmal auf ihren Schreibtischstuhl.
„Ich muss mit dir sprechen.“
„So ernst? Ist irgendwas nicht in Ordnung?“
Sie wies auf den nächsten Stuhl.
„Bitte setz dich. Es ist schon etwas, wofür wir ein bisschen Zeit brauchen.“
Volker runzelte die Stirn, schob aber den Stuhl so, dass er ihr gegenüber sitzen konnte.
„Hast du Konrad schon zugesagt?“ wollte sie wissen.
„Natürlich. Oder musst du noch arbeiten?“
Steffi seufzte.
„Etwas anderes fällt dir nicht ein? Ich könnte doch auch etwas anderes vorhaben!“
„Wie? Hast du etwas anderes vor?“ fragte er erstaunt zurück.
„Heute Abend nicht“, versetzte sie ärgerlich, „Aber es stört mich, dass du so oft etwas ausmachst ohne mich vorher zu fragen. Für dich ist es inzwischen ganz selbstverständlich, dass ich mich auf deine Pläne einlasse. Aber vielleicht habe ich ja auch mal auf etwas anderes Lust!“
„Was ist denn heute los mit dir? Ist dir irgendeine Laus über die Leber gelaufen?“
Diese Ignoranz brachte sie fast zur Weißglut.
„Volker, ich versuche dir gerade klar zu machen, dass du Dinge ausmachst, ohne vorher mit mir darüber zu reden! Du übergehst mich einfach und denkst, du kannst für uns beide entscheiden. Das stört mich gewaltig. Ich habe auch Interessen!“
„Ist doch gut, wir können darüber reden. Was willst du?“
„Also pass auf: Ich tue dir den Gefallen und gehe heute Abend mit. Aber nächste Woche will ich auf den Uni-Ball, und zwar mit Birgit, Henno – und dir!“
Er schwieg einen Moment und schaute sie zweifelnd an. Dann zuckte er die Schultern.
„Na ja, warum nicht? Dann machen wir das, wenn dir so viel daran liegt.“
Steffi wusste nicht, ob sie sich über diese Reaktion freuen oder ärgern sollte. Schließlich beschloss sie einfach sie als Zusage zu werten und nicht nachzuhaken.
„Das wäre also geklärt“, versetzte sie kühl. „Ich muss sagen, es ist mir schon wichtig, dass wir auch mit Birgit öfter etwas unternehmen. In diesem Semester kam es bisher ein wenig zu kurz.“
„Birgit geht ihre eigenen Wege, wenn ich dich daran erinnern darf. Sie nimmt auf andere keine Rücksicht, wenn es um ihre Interessen geht.“
„So siehst du das also!“ brauste Steffi auf. „Aber vielleicht würde ich viel lieber Birgits Weg einschlagen, nehme aber immer nur Rücksicht auf deine Interessen!“
Jetzt schwieg er und schaute sie verletzt an.
„Ich hatte bisher nie das Gefühl, dass wir mit dem, was wir unternehmen, gegen deine Interessen handle“, stieß er schließlich hervor. „Wir treffen uns doch ausschließlich mit deinen Freunden, die ich inzwischen so schätzen gelernt habe, dass ich sie auch als meine Freunde betrachte. Ist das nicht eine hervorragende Basis für unsere Beziehung?“
„Für mich ist nach wie vor die Freundschaft mit Birgit das Wichtigste, und das gerät immer mehr in den Hintergrund.“
„Okay, okay! Entschuldige, wenn ich das zu wenig berücksichtigt habe. Es war nicht meine Absicht, eure Freundschaft in Gefahr zu bringen.“
„Das ist jetzt auch übertrieben“, lenkte Steffi rasch ein, „Was ich verlange ist einfach eine größere Ausgewogenheit in unseren Unternehmungen. Auf keinen Fall möchte ich die Treffen mit unserer Clique aufgeben.“
Volker erhob sich, ging zu ihr hin und zog sie vom Stuhl hoch. Er schloss sie in die Arme und küsste sie ungestüm. Völlig perplex ließ sie es über sich ergehen, auch als er sie Richtung Bett drängte, sich mit ihr fallen ließ und ihr ins Ohr flüsterte: „Und ich möchte auf keinen Fall dich aufgeben.“
Eine Woche später fand der Uni-Ball statt. Steffi hatte sich extra ein neues Kleid dafür gekauft und auch dieses Mal ergriff sie eine seltsame Erregung, wenn sie daran dachte, dass sie Henno treffen würde. Aber als Birgit zu ihr hereinschneite in ihrem uralten kleinen Schwarzen, das sie schon beim Abi-Ball getragen hatte und darin einfach wieder umwerfend aussah, fühlte sie sich schlagartig ernüchtert.
„Lass uns starten“, sagte sie bemüht heiter.
Birgit musterte sie anerkennend.
„Ein neues Kleid? Das ist super geschnitten, betont genau das, was es soll. Du siehst prima aus!“
Diese Worte munterten sie wieder auf. Sie schnappte ihr Täschchen und öffnete schwungvoll die Tür.
„Also dann! Ich hoffe, unsere beiden Herren vertragen sich heute. Manchmal kann Volker wirklich stur sein.“
„Ach was, Volker ist nicht stur. Und Henno hat mir versprochen, sich ganz auf ihn einzustellen. Es wäre doch gelacht, wenn sich die zwei nicht wenigstens ein bisschen anfreunden könnten. Das sind sie uns beiden doch schuldig, oder?“
Steffi fuhr mit ihrem Polo zuerst zu Henno, der bereits am Anfang der Luisenstraße auf sie wartete. Er öffnete zunächst die Beifahrertür. Birgit stieg aus und es folgte ein leidenschaftlicher Kuss, ehe Birgit den Vordersitz zurückschlug und auf den Rücksitz kletterte. Bevor Henno sich neben sie zwängte, ging er noch einmal ums Auto und öffnete die Fahrertür.
„Ich freue mich so, dich wieder einmal zu sehen, Steffi“, erklärte er und strahlte sie herzlich an. Ehe sie sich versah, hatte er sie umarmt und drückte ihr links und rechts einen Kuss auf die Wange. Ihr wurde siedend heiß und die Röte schoss ihr ins Gesicht. Doch zum Glück ging er ganz schnell zurück und kletterte auf Birgits Seite, wobei er die Fahrertür zuzog und den Sitz in die richtige Position kippte.
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