Volker kam etwa eine halbe Stunde später. Die beiden Männer begrüßten sich, Volker schob seinen Stuhl zwischen den von Henno und Steffi, um neben ihr sitzen zu können, und nahm dankbar eine Tasse Kaffee von Frau Beck entgegen. Aber die leichte Unterhaltung war ins Stocken geraten.
„Ich habe noch einiges an Stauraum im Auto“, erklärte Volker schließlich. „Wollen wir deine Sachen auch gleich noch einpacken? Für Henno wäre es ja angenehmer, wenn alles im Kofferraum Platz hat.“
„Wir fahren morgen um sieben los“, wandte er sich dann an diesen. „Der Einfachheit halber übernachte ich auch hier.“ Er lächelte Frau Beck zu. „Vielen Dank, dass Sie so viel Verständnis haben.“
„Na ja“, lachte sie. „Du übernachtest hier ja nicht das erste Mal.“
Steffi spürte Hennos Blick auf sich und merkte, wie sie errötete.
„Ich weiß nicht, was das jetzt zur Sache tut“, versetzte sie ärgerlich. „Wenn wir morgen so früh los müssen, ist das doch die beste Lösung. Ich hoffe, Mutti, die Arbeit wird dir nicht zu viel.“
„Ach was, deine Gäste sind mir genauso willkommen wie Vatis Gäste. So, jetzt will ich aber mal anfangen mit den Salaten für heute Abend.“
Steffi erhob sich ebenfalls, um ihr zu helfen.
„Ihr könnt ja mal die Route von morgen durchgehen“, meinte sie an die beiden gewandt und war froh, dass sie einen Grund hatte, sie allein zu lassen.
Frau Beck hatte schon angefangen verschiedene Salatsorten aus dem Kühlschrank zu legen. Steffi holte Schneidebretter, Messer und Schüsseln heraus. Eine Weile arbeiteten sie schweigend, dann meinte Frau Beck plötzlich:
„Was ist das für ein reizender junger Mann! Aber Volker scheint sich nicht sehr gut mit ihm zu verstehen.“
Steffi unterbrach ihre Arbeit und musterte sie fragend. Doch ihre Mutter schien keine Antwort zu erwarten, und so fuhr sie verbissen in ihrer Beschäftigung fort.
Als später ihr Vater kam, schmissen er und Volker den Grill an, während Henno in die Küche kam und den Frauen dann half, den Tisch zu decken.
Beim Essen fanden Herr Beck und Henno sehr schnell einen Gesprächsstoff. Steffis Vater war sehr interessiert am Studium heute, und Henno erzählte sehr fesselnd. Irgendwann zeigte er auf das Haus.
„Sie haben hier wirklich einen Traum. Haben Sie es selbst entworfen?“
Herr Beck nickte.
„Ja, wie Sie richtig erkannt haben, habe ich mir einen Traum erfüllt. Früher wohnten wir im gleichen Haus, in dem ich mein Büro hatte, aber diese räumliche Entfernung sorgt für mehr Entspannung.“ Er lächelte verschmitzt. „Anfänglich habe ich gehofft, meine Tochter würde in meine Fußstapfen treten, aber das war halt nichts. Und jetzt hat sie sich in einen Mediziner verguckt - also auch da keine Chance auf einen Nachfolger.“
Hennos Blick traf den von Steffi und er lächelte amüsiert.
„Ich glaube, Ihre Tochter weiß auf jeden Fall, was gut für sie ist“, gab er dann zur Antwort.
„Und letztlich haben Sie mehr davon, wenn sie ihren richtigen Weg findet. Mein Vater war Cellist im Sinfonieorchester. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn er das Gleiche von mir erwartet hätte.“
„Ich weiß fast nichts über ihn“, dachte Steffi verwundert. „Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass er aus einer Musikerfamilie stammt! Aber eigentlich passt das zu ihm.“
Herr Beck lachte schallend.
„Da haben Sie Recht, junger Mann. Aber was für ein Glück hat doch Volkers Vater, dass das Herz seines Sohnes auch für die Kindermedizin schlägt. Das erleichtert im Leben einiges.“
Schließlich waren alle müde und zogen sich nach gemeinsamem Aufräumen zurück. Henno verabschiedete sich höflich und ging die Treppe hoch. Die anderen Schlafzimmer lagen im Erdgeschoss.
Steffis Koffer stand gepackt in ihrem Zimmer, weil sie keine Lust gehabt hatte ihn schon zum R4 zu tragen. Rasch schob sie ihn beiseite und schlüpfte in ihr Bett. Volker ließ sich nicht viel Zeit ihr zu folgen.
Zärtlich strich er über ihre Brust und am liebsten hätte sie Müdigkeit vorgeschützt. Aber sie wagte es nicht aus Angst, seinen Argwohn zu wecken. So gab sie sich ihm hin. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich sogar vorstellen, jemand anders würde sie so innig lieben.
Am nächsten Morgen brachen sie auf nach einem kräftigen Frühstück, welches ihnen Frau Beck genauso liebevoll hingerichtet hatte wie drei opulente Lunchpakete.
Sie kamen gut voran, legten auf Rastplätzen zwei kurze Pausen ein, um sich zu stärken und erreichten gegen 15.00 Uhr den Hafen von Calais. Es war sonnig, aber nicht zu heiß und vor allem nicht sehr windig.
Steffi blieb am Auto, während Volker und Henno sich nach Möglichkeiten für die Überfahrt erkundigen wollten. Zwar hatte Birgit ihnen die Fahrt mit der Hovercraft-Fähre vorgeschlagen, aber sie wollten nun doch noch einmal einen Zeit- und Preisvergleich machen.
Volker kam nach einer Viertelstunde zurück.
„Mit der Fähre haben wir Pech“, meinte er, „die ist gerade erst ausgelaufen. Aber das Luftkissenboot kommt bald an. Es wird beim Einlaufen ausgeladen und lässt die Passagiere aussteigen, dann legt es sofort wieder ab. Ich denke, wir nutzen das.“
Steffi nickte zustimmend und schaute suchend hinter ihn.
„Wo ist Henno denn abgeblieben?“ wollte sie wissen.
„Der sieht sich noch ein bisschen um. Er wird hoffentlich pünktlich hier sein. Ich glaube, ich sehe da schon was auf dem Wasser, was sich hierher bewegt. Dann müssen wir uns mit dem Auto richtig einordnen.“
Tatsächlich näherte sich ein Wasserfahrzeug dem Hafen, das schnell größer wurde. Fasziniert beobachtete Steffi sein Kommen, bis es auf den Strand zu springen schien und dort sein Luftkissen in sich zusammen fiel.
„Komm, steig ein“, drängte Volker und setzte sich hinters Steuer.
„Aber Henno…“, wollte sie einwenden, doch Volker winkte unwirsch ab.
„Der wird uns schon finden. Er weiß ja, dass wir mit dem Luftkissenboot fahren.“
Steffi sah, wie sich eine Luke öffnete und die ersten Autos herausfuhren. Noch einmal ließ sie suchend den Blick umherstreifen, bevor sie sich auf dem Beifahrersitz niederließ, damit Volker sich hinter den bereits Wartenden einreihen konnte.
Mit mulmigem Gefühl beobachtete sie, wie immer mehr Autos aus dem Boot auf den Strand und dann weg fuhren. Bald würde sich die Schlange Richtung Boot in Bewegung setzen, aber Henno war nirgends zu sehen.
Gerade wollte sie Volker bitten, aus der Reihe zu fahren und sich hinten anzustellen, als sie ihn entdeckte. Er schlenderte mit einer jungen attraktiven Frau auf die Autoschlange zu und unterhielt sich eingehend mit ihr. Steffi konnte geradezu spüren, wie er seinen Charme spielen ließ.
Auch Volker hatte ihn entdeckt und sagte mit einem leicht verächtlichen Unterton:
„Da kommt er ja.“
„Wer ist denn diese Frau?“ entfuhr es Steffi.
„Keine Ahnung. Mit der kam er vorhin ins Gespräch, und das muss sehr wichtig gewesen sein!“
Inzwischen waren die beiden fast am Auto. Steffi musterte fassungslos die schwarzhaarige Schönheit, die mit ihm neben dem Auto stehen blieb. Henno lächelte sie liebenswürdig an und öffnete schwungvoll die Beifahrertür.
„Das ist Claire Marie“, stellte er vor. „Die junge Dame möchte übersetzen, hat aber nicht genug Kleingeld. Können wir ihr für die Überfahrt den Platz neben mir auf dem Rücksitz überlassen? Uns kostet es nichts, und ihr ist damit geholfen.“
Steffi wechselte einen kurzen Blick mit Volker, der nur die Schultern zuckte.
„Von mir aus“, brummte er.
Henno lachte. „Habe ich dir nicht gesagt, dass Volker ein ganz feiner Kerl ist? Also komm. Steig ein.“
Claire Marie bedankte sich artig mit einem reizenden französischen Akzent und ließ sich von Henno die Tür hinter Volker öffnen. Sie warf ihren Rucksack auf den Boden und stieg ein. Er ließ sich hinter Steffi neben ihr nieder und führte sofort die Unterhaltung mit ihr fort. Es war fast, als wären nur er und sie da.
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