Nach einem straffen Arbeitspensum traf Antonia mit geringfügiger Verspätung im Fitnesscenter ein. Ihre Freundinnen kämpften bereits an den schweißtreibenden Geräten. Nach diesem anstrengenden Tag verspürte sie wenig Lust auf ein ausdauerndes Training. Deshalb begnügte sie sich mit dem Fahrradergometer. Das blieb den anderen nicht verborgen.
„Was ist los mit dir, Toni?“, wollte Elke nach dem Duschen bei einem Drink wissen. „Heute scheinst du nicht in Bestform zu sein. Hast du dich noch nicht von deiner Party erholt? Wahrscheinlich ist dein ganzer freier Sonntag für die Aufräumaktion draufgegangen. Wir hätten eben doch kommen und dir helfen sollen.“
„Ihr hättet gar nichts zu tun gehabt“, sagte sie mit geheimnisvollem Lächeln. „Als ich am Morgen nach der Party erwacht bin, war alles aufgeräumt, das Geschirr gespült, und mir wurde das Frühstück am Bett serviert. Da hättet ihr nur gestört.“
„Wobei?“, fragte Franziska gespannt. „Deine unverhoffte Haushaltshilfe war doch nicht etwa männlich?“
„Unbeschreiblich männlich.“
Verblüfft schauten die Freundinnen einander an. Insgeheim ging jede von ihnen sämtliche Gäste auf einen infrage kommenden Kandidaten durch.
„Leo!“, ahnte Elke. „Sag bloß, du hast den Gärtner vernascht!“
„Ich kann nicht leugnen, dass es zwischen uns ziemlich heiß hergegangen ist.“
„Das habe ich doch schon vor Wochen vorausgesehen“, kommentierte ihre Schwester. „Erst hat er deinen Garten auf Vordermann gebracht – und nun auch noch dein Liebesleben. Wie konnte das einem Mann in seinem Alter gelingen? Für gewisse Spielchen bevorzugst du doch sonst eher Jungdynamiker.“
„Tja ...“, seufzte Antonia nur und zuckte die Schultern.
„Du bist in ihn verliebt!“, folgerte Elke. „Gib es zu, Toni! Dieser Ausbund an Männlichkeit hat dir mit seinen wunderschönen braunen Augen den Kopf verdreht.“
„So was soll vorkommen“, meinte Antonia. „Habe ich jedenfalls gehört.“
„Das ist ja nicht zu fassen.“ Franziska konnte es immer noch nicht so recht glauben. „Hat es dich tatsächlich endlich erwischt? Bist du wirklich in ihn verliebt?“
„Das passiert einem wohl, wenn man am wenigsten damit rechnet“, meinte ihre Schwester nachdenklich. „Leo ist so ganz anders als die Männer, die ich kenne: sehr sensibel und verletzbar, unglaublich hilfsbereit und pragmatisch. Einerseits ist er ein kluger, humorvoller Mann mit einem gesunden Selbstbewusstsein. Andererseits ist er manchmal so unsicher wie ein kleiner Junge.“
„Außerdem hast du vergessen zu erwähnen, was für ein großartiger Liebhaber er ist“, fügte Elke hinzu. „Oder hält er etwa nicht, was seine sexy Erscheinung verspricht?“
„Falls du Details erwartest, muss ich dich enttäuschen. Über unseren sensationellen Sex spreche ich grundsätzlich nicht.“
„Wusste ich es doch!“, triumphierte Elke, bevor sie sich an Franziska wandte. „Sieht es bei dir genauso fantastisch aus? „
„Zuerst konnte ich nicht so recht damit umgehen, dass Pit und ich auch beruflich miteinander zu tun haben.“ Mit schelmischem Lächeln zwinkerte sie der Freundin zu. „Inzwischen genieße ich es.“
„Wunderbar!“, rief Elke begeistert aus. „Wenn sich nun noch eure Mutter dazu entschließen könnte, einen ihrer zahlreichen Verehrer zu erhören, hätte ich auf einen Schlag drei Konkurrentinnen weniger auf dem Beziehungsmarkt.“
Erst gegen Mitternacht bog Antonia in ihre Grundstückseinfahrt ein. Seltsamerweise verspürte sie eine leise Enttäuschung darüber, dass das Haus in völligem Dunkel lag. Es wäre schön gewesen, hätte Leo auf sie gewartet. Antonia wunderte sich über sich selbst, wie schnell sie sich nach diesen wenigen gemeinsamen Tagen bereits an seine Anwesenheit gewöhnt hatte. Als unabhängigkeitsliebende Frau empfand es beinah schon als unheimlich, wie oft ihre Gedanken tagsüber zu Leo schweiften. Bisher war es noch keinem Mann gelungen, sie innerhalb so kurzer Zeit total für sich einzunehmen.
Nachdenklich betrat sie das Haus. Quincy lag in seinem Körbchen in der Diele. Beim Anblick seines Frauchens wedelte der Hund zwar freudig mit dem Schwanz, kam ihr aber nicht wie sonst entgegen. Lächelnd ging sie bei ihm in die Hocke.
„Leo hat wohl einen langen Abendspaziergang mit dir gemacht“, sagte sie und kraulte ihm den Kopf. „Ich bin auch müde. Schlaf weiter, Quincy.“
In ihrem Schlafzimmer stellte sie die Sporttasche ab und trat ans Fenster. Schräg gegenüber auf dem Nachbargrundstück sah sie noch Lichtschein hinter einer Scheibe im Obergeschoss. Rasch zog Antonia ihr Handy hervor und griff auf Leos Nummer zu. Nach dem zweiten Läuten meldete er sich.
„Hallo, du Nachtschwärmerin.“
„Woher weißt du, dass ich es bin?“
„Mein Handy hat ein Display. - Wie war dein Tag?“
„So anstrengend, dass ich heute trotz der zahlreichen kulinarischen Sünden der letzten Wochen nur noch fähig war, mich auf das Fahrradergometer zu schwingen. Sollte ich mein Training künftig weiter so vernachlässigen, werde ich dank deiner Kochkünste noch dick und rund.“
„Ich liebe dich trotzdem.“
„Stehst du etwa auf Frauen, die vom Kalorienzählen so wenig Ahnung haben wie eine Nacktschnecke vom Tabledance?“
„Ich stehe auf dich. Dabei sind Äußerlichkeiten nebensächlich. Oder würde es dich etwa stören, wenn ich im Laufe der Jahre einen stattlichen Bauch bekäme?“
„Im Laufe der Jahre?“, wiederholte sie scheinbar verwundert. „Das klingt nach einem weitreichenden Konzept. Weihst du mich in deine Pläne ein?“
„Nur Geduld. Wenn die Zeit dafür reif ist, erzähle ich dir von meinen Hoffnungen und Träumen.“
„Darauf bin ich schon sehr gespannt“, sagte sie, obwohl sie seine Gedanken erahnte. „Wie hast du denn deinen Abend gestaltet?“
„Zuerst bin ich mit Quincy durch den Wald gelaufen. Später habe ich lange mit meinem Vater telefoniert.“
„Geht es ihm gut?“
„Ausgezeichnet. – Obwohl er bei seiner Traumfrau nicht so recht vorankommt.“
„Woran liegt es? Ist sie nicht interessiert?“
„Nach seiner Beschreibung ist sie nicht nur eine attraktive, sondern auch eine selbstbewusste Frau, die genau weiß, was sie will. Er hat von ihr geschwärmt wie ein Teenager. Sie ist wohl eine richtige Lady, in der aber auch ein Lausbub steckt.“
„Klingt sympathisch. Oder hat er ein Problem damit?“
„Nein, ihr vielseitiges Wesen hat ihn verzaubert, aber er traut sich nicht, ihr seine Gefühle zu gestehen.“
„Ist dein Vater so schüchtern?“
„Im Gegenteil: Normalerweise fliegen ihm die Herzen seiner Mitmenschen nur so zu. Irgendwie hat er in den Jahren des Alleinseins wohl verlernt, seine Gefühle auszudrücken. Außerdem hat er Angst vor Zurückweisung. Er fürchtet, die Dame zu verscheuchen, wenn er mehr als den Wunsch nach Freundschaft durchblicken lässt.“
„Was hast du ihm geraten?“
„Das Risiko einzugehen“, entgegnete er prompt. „Außerdem habe ich ihm vorgeschlagen, die Dame auf sein Landgut einzuladen. Solange sie im Hotel wohnt, bietet sich kaum die Möglichkeit, ungestört mit ihr zu sein. Stimmt sie aber zu, einige Ferientage auf dem Lande zu verbringen, ergibt sich vielleicht die Gelegenheit, einander näherzukommen. Dabei muss man ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.“
„So schnell wie wir beide werden sie sich bestimmt nicht die Kleider vom Leib reißen“, sagte Antonia vergnügt. „Du warst ganz schön in Fahrt.“
„Nur ich?“
„Du hattest mich in Flammen gesetzt. Was hast du erwartet?“
„So viel leidenschaftliches Feuer mit Sicherheit nicht.“
„Überfordert dich das?“
„Nee ...“, lachte er. „Ich finde es großartig zwischen uns. – In jeder Hinsicht.“
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