Es gibt so wenige Gerechte in dieser Welt und so viele Blinde die sehend gemacht werden müssen.
Das war meine Aufgabe.
Ich erkannte sie klar.
Gemeinsam mit Johannes dem Täufer würde ich die „Blinden“ dieser Erde sehend machen und ihnen die Einmaligkeit und das Wunder der Schöpfung Gottes klar vor Augen führen.
Ich betete und meditierte. Ich war im Rausch.
Meine Körperkräfte schwanden, mein Verhalten wurde immer unvernünftiger. Ich war wie von Sinnen, in einer Ekstase der Erkenntnis und Bewusstseinserweiterung, und in dieser Phase kam es zu einem Riss.
Der Vorhang zerriss.
Plötzlich verdunkelte sich mein Geist.
Halluzinationen ergriffen mich und trieben mich beinahe in den Wahnsinn.
Ich war zu weit gegangen. Nun versuchte mich das Böse.
Mein Körper rächte sich grausam für die Vernachlässigung und die Auszehrung die ich ihm zugemutet hatte. Ich verlor immer häufiger die Besinnung. Ich war nicht mehr in der Lage mir Nahrung zu suchen und es gelang mir nicht mehr selbst das wenige Wasser welches ich täglich zu mir nahm zu sammeln. Ich phantasierte.
Plötzlich fühlte ich mich vom Teufel versucht.
War er es, der uns Menschen so scheinbar unfähig sein ließ mitmenschlich zu sein, und uns unachtsam mit Gottes Schöpfung umgehen ließ? Waren wir seine Geschöpfe? Ein Gegenentwurf des Lieblingsengels Gottes, als Rache für seine Verbannung aus der Nähe Gottes? War er etwa der große Verführer der Menschen?
Die Geschichte Ijjobs 20kam mir in den Sinn.
Ijjob lebte gottgefällig mit seiner Familie in guten Verhältnissen. Er achtete die Gesetze und Vorschriften Mosches, die dieser am Sinai von Gott selbst erhalten hatte, auch wenn diese Gesetze bereits die naturfeindlichen Aspekte aus den Erfahrungen der Wanderschaft durch die Wüste enthielten. Nun versuchte der Teufel Gott und hielt ihm vor, dass Ijjob ihn nur loben und preisen würde, weil es ihm gut ging. Gott bezweifelte diese Aussage, bekam aber doch Zweifel an der Rechtschaffenheit Ijjobs. Diese Schwäche nutzte der Teufel und verlangte von Gott den Beweis für Ijjobs Gottesliebe – denn, wem es gut geht, dem fällt es nicht schwer Gott zu achten, doch der, den das Elend zu verschlingen droht, wird mit Gott hadern.
Also versuchte Gott Ijjob und nahm ihm immer mehr.
Ijjob jedoch blieb standhaft und hielt unbeirrt an seinem Glauben an die Güte Gottes fest.
Gott selber war beschämt durch diese Treue, ließ sich vom Teufel jedoch immer wieder zu Zweifeln verführen und ging in seiner Erniedrigung und Demütigung Ijjobs so weit, dass er Ijjob beinahe sterben ließ. Erst kurz vor dem Ableben Ijjobs erkannte Gott das diabolische Spiel das der Teufel mit ihm gespielt hatte und er zürnte dem Teufel und verbannte ihn auf ewig von seiner Seite. So wurde aus Luzifer, dem Lieblingsengel Gottes, sein größter Widersacher.
Aus Scham über sein Verhalten dem treuen Ijjob gegenüber überschüttete Gott ihn als Entschädigung nun mit der doppelten und dreifachen Menge an Kindern, Besitz, Gütern und so weiter. Und Ijjob nahm alles an, dankte seinem Gott und versorgte es gut.
War Ijjob einer der wenigen Gerechten und Gottgefälligen, die der Versuchung widerstanden?
Gott verfluchte Luzifer für die Versuchungen. Er war in seinem Verhalten Ijjob gegenüber genauso unmenschlich gewesen, wie die schwachen Menschen auf Erden. War er vielleicht deshalb heute so nachsichtig mit uns? Aus Scham für seine eigene Verführbarkeit und Verfehlung?
Ein wahrhaft menschlicher Gott, der uns in dieser Geschichte entgegentritt.
Doch darf diese Geschichte keine Entschuldigung für unser Verhalten unseren Mitgeschöpfen gegenüber sein. Sie bietet keine Rechtfertigung für die tägliche Ausbeutung und Unterdrückung der Natur.
Aber die Geschichte zeigt uns deutlich die Macht und den Einfluss Luzifers auf unser Verhalten.
Wenn er selbst Gott blenden und in Versuchung führen konnte, dann ist es ihm sicher ein Leichtes auch uns schwache Menschen zu verführen.
Und genauso empfand ich nun meine Halluzinationen nach den Wochen der Auszehrung und Entbehrungen.
Eine wichtige Erkenntnis habe ich aus diesen letzten Tagen meines Aufenthaltes in der Wüste für den Rest meines Lebens gewonnen: Man darf dem Teufel nicht in die Hand arbeiten, in dem man sich willkürlich selber schwächt, wie auch immer diese Schwächung aussehen mag. Dann nämlich schlägt er erbarmungslos zu und wird von einem Besitz ergreifen.
Und noch etwas ist mir in diesen letzten Tagen klar geworden, der Teufel steckt in uns selbst. Er lebt in jedem von uns und wartet auf seine Gelegenheit.
Ich weiß dass sich all meine Eindrücke und Halluzinationen ausschließlich in meinem Kopf abspielten, und doch waren die Versuchungen so real.
Wäre ich nicht durch die Ankunft zweier Jünger des Johannes, die mich über Johannes Verhaftung unterrichten wollten, gerettet worden, so wäre ich wohl dort in der Wüste gestorben und damit der Versuchung durch den Teufel erlegen.
Ja, er hatte Macht über mich ergriffen. Er hielt mich in seiner Hand und er war es, der mich vernichten wollte.
All das Blendwerk das er mir bot.
In meiner Verwirrung glaubte ich die neben mir liegenden Steine seien Brot und voller Gier bis ich hinein. Laut dröhnte sein höhnisches Lachen in mir als meine Zähne auf die Steine schlugen.
Ich war wie betäubt und konnte mich nicht mehr gegen seine Versuchungen wehren.
Ich sah mich an einem Abgrund stehen und meine Sehnsucht war die der Erlösung durch Auslöschung.
All das Wunderbare der Schöpfung, das ich zu Beginn meines Fastens erlebt und empfunden hatte war wie ausgelöscht.
Ich wollte nur noch sterben und selber Hand an mich legen.
Der Teufel lachte und lachte und mir war, als zerspringe mein Schädel ob dieses Gelächters.
Und plötzlich schwebte ich über mir selbst. Ich sah mich unten liegen und ein helles Licht zog mich in seinen Bann. Ich war hier und dort, alles in einem Moment.
Ich sah den Tempel in Jerusalem und die Stätten meiner Kindheit in Alexandria.
Ich sah Sedûn meinen lieben Lehrer und ich sah meine Mutter und meine Geschwister.
Doch das Schönste was ich sah war Jehosaf, meinen Vater.
Er stand mit ausgebreiteten Armen im Glanz des Lichtes und ich wollte zu ihm. Ich rief nach ihm „Vater, Vater, Vaaater“.
Aber er entschwand meinem Blick, und ich wurde jäh in das Jetzt der Zeit zurückgeholt.
Zwei Jünger Johannes standen über mir und hatten mich ins Leben zurückgeholt.
Sie kümmerten sich rührend um mich und versorgten mich mit dem Notwendigsten.
Ich lebte!
Gott hatte mir Rettung geschickt in Gestalt dieser beiden Jünger.
Also sollte der Teufel mich noch nicht holen.
Also hatte Gott noch einen Plan, eine Aufgabe für mich.
Langsam genas ich unter der liebevollen Pflege Schimons und Judas.
Ich erzählte ihnen von meinen Erfahrungen, vom Genuss des Erlebnisses der vielen wunderbaren Tage in der Wüste und ich erzählte ihnen von den grausamen Versuchungen gegen Ende meines Fastens, erzählte, wie die Macht Luzifers mich ergriff.
Ich erzählte ihnen von der grausamen Verwirrung meines Geistes hervorgerufen durch die zu lange Enthaltsamkeit die Nahrungsaufnahme betreffend.
Ich erkannte, dass Fasten zwar zu einem rituellen Erweckungserlebnis führen kann, welches aber auch – besonders für schwache Menschen – sehr große Gefahren in sich birgt.
Ich hatte mich anfangs stark gefühlt, war in den Techniken der Meditation und Versenkung bewandert und, wie ich glaubte, auch in den Überlebenskünsten und wäre dennoch beinahe gescheitert. Nur durch großes Glück überlebte ich die Askese.
Wenn ich ausziehen würde den Menschen Gottes Reich nahe zu bringen, würde das Fasten sicher nicht zu den Aufforderungen gehören, die ich meinen Anhängern und Zuhörern abverlangen würde.
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