Während unserer Liegezeit fanden sich neugierige Kinder ein, die auch an Bord kamen und mir bei meiner Arbeit in der Kombüse zuschauten oder an Deck spielten. Ich nutzte die Gelegenheit, mir die dänischen Bezeichnungen der verschiedensten Gegenstände nennen zu lassen, und so lernte ich nach und nach etwas Dänisch, und der Kapitän war ganz erstaunt, als ich die spielenden Kinder auf Dänisch zur Ordnung ermahnte: „Nu schnackt hei ok all dänsch!“
Abends ging ich mit meinen kleinen Freunden an Land und ließ mir die Stadt zeigen, die aus einer Haupt- und einigen Nebenstraßen bestand und eine Zuckerfabrik hatte. Da war das Bio, das Kino, dort gab es Is, das Eis. Auch wurde ich an einen Laternenpfahl geführt, der eine Beule hatte. Mir wurde erläutert, dass der Vater des einen Jungen mit dem Motorrad gegen den Pfahl gefahren sei und dabei ums Leben kam. Wir standen einen Augenblick schweigend an der Unglücksstelle und gingen dann munter schwatzend weiter. Zum Abschied spendierte ich jedem ein Eis, das in Dänemark vorzüglich schmeckt. Es war eben doch etwas anderes, im Ausland zu sein, das natürlich eine starke Anziehungskraft auf die Deutschen ausübte, und so mancher versuchte, einen Weg dorthin zu finden. So waren unlängst zwei Besatzungsmitglieder unseres Schiffes in Schweden von Bord gegangen, so dass Manfred und Eugen allein die Ruderwachen auf der Rückfahrt bewältigen mussten.
Auf der Rückfahrt nach Hamburg lagen wir noch ein paar Tage in Kiel, um die Maschine überholen zu lassen. Unser Liegeplatz befand sich in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofes, und so kamen ständig neugierige Passanten, die diese oder jene Frage beantwortet haben wollten. „Darf man mal an Bord kommen?“, fragte eine junge Frau, die mit ihrem Mann interessiert das Schiff betrachtete. Es war niemand weiter an Bord, so dass ich sie an Bord kommen ließ und ihnen die Kombüse zeigte. „Das ist ja eine richtige Küche!“ Ich nickte. „Aber es ist alles festgemacht“, stellte sie fest. Ich erklärte ihr, was alles bei Seegang in Bewegung gerät. Wie der Kohleneimer durch die Kombüse rutscht und die Schübe aus dem Schrank sausen und die Töpfe schief im Feuerloch hängen, wenn sie nicht mit Schlingerleisten gehalten werden. Natürlich übertrieb ich ein wenig, denn nicht auf jeder Fahrt ist es so schlimm. Aber erlebt hatte ich es schon.
Auf der Fahrt durch den Kanal wurde ich von Eugen ins Ruderhaus gerufen. Ich musste das Schiff steuern, was mich sehr überraschte, denn das Rudergehen hielt ich für eine privilegierte Tätigkeit, denn auch ein Auto durfte ja auch nicht jeder fahren. Eugen hatte zwar gelegentlich angedeutet, ich müsse auch das Steuern lernen, habe das aber nicht so ernst genommen und es erst in späterer Zeit erwartet. Nun stand ich am Ruder und steuerte ein Schiff, und es dauerte auch nicht lange, da näherte es sich bedenklich dem Kanalufer. Ich hatte natürlich kein Gefühl für die verzögerte Reaktion eines Schiffes auf die Ruderbewegungen. Eugen saß lässig auf dem Geländer am Niedergang und korrigierte den Kurs, indem er mit dem Fuß gegen die Handspaken tretend das Ruder bediente. Ich hatte Mühe, den Kurs zu halten, zumal der Kanal nur wenig Spielraum bot. „Das Steuern ist doch ganz einfach“, spottete Eugen ein wenig, „ich mache das mit dem Fuß.“ Schließlich bekam ich ein wenig Übung, und es gelang mir, das Schiff vom Ufer fernzuhalten. Es ließ sich übrigens gut steuern, und Eugen machte beim Abendbrot sogar eine anerkennende Bemerkung.
Nach etwa acht Stunden Fahrt durch den Kanal und etwa ebensoviel Stunden elbeaufwärts machten wir abends in Altona fest.
Am nächsten Tag fuhr Frau Krüger nach Elsfleth an der Unterweser, ihrem eigentlichen Wohnort und Heimathafen der HANS GEORG, so dass ich nun wieder Alleinherrscher in der Kombüse war. Ich nahm mir vor, meine Arbeit vorbildlich zu verrichten, denn bisher sah ich bei allen Vorwürfen, die mir wegen irgendwelcher Dinge von den Matrosen gemacht wurden, die Ursache bei Omi. Sie hatte jedenfalls einen völlig unseemännischen Stil und war als Frau ohnehin nicht an Bord akzeptiert. „Alles, was nicht über die Reling pinkeln kann, gehört nicht an Bord“, hieß es immer wieder. Nun war sie wieder fort; wenigstens für einige Zeit. Zufrieden saß ich am Vormittag vor der Kombüse an Deck in der Sonne und schälte Kartoffeln. Wir lagen inzwischen mitten in einem Päckchen von Schiffen, von denen wir noch eins der größten und modernsten waren. Die meisten waren sogenannte Klütenewer, benannt nach dem Gericht „Plummen und Klüten“, das sich auf diesen Schiffen allgemeiner Beliebtheit erfreute, und aus Mehlklößen und Backpflaumen zubereitet wurde. Zu den sogenannten Klütenewern gehören die Schiffstypen Kuff mit dem wulstigen Bug, die Tjalk, gesprochen Schalk, und der Ewer. Alle diese kleinen Schiffe waren so genannte Motorsegler, die eine vollständige Beseglung und einen zusätzlichen Motor hatten. So konnte bei gutem Wind gesegelt werden, und mit dem Motor konnten die lästigen Kreuzfahrten auf der Elbe unterbleiben. Mit dem Motor ging es dann bequem gegen den Wind. Diese Schiffe, auf die man ein wenig verächtlich herabblickte, genossen doch ein großes Interesse bei allen Matrosen mit Steuermannsambitionen, weil auf diesen Schiffen die für die Erlangung eines Steuermannspatentes obligatorische Fahrzeit von einem Jahr Segelschiffszeit abgeleistet werden konnte. Segelschulschiffe, auf denen früher die Seeleute ausgebildet wurden, gab es nicht mehr in deutscher Hand. Die einst stattliche Segelschiffsflotte ging an die Siegermächte. So ging die „GORCH FOCK“ als „DAR POMORZA“ an Polen, die „PADUA“ als die „KRUSSENSTERN“ nach Russland, die „HORST WESSEL“ als „EAGL“ nach den USA und die „SEUTE DEERN“ lag fest im Hamburger Hafen als Hotelschiff.
Drei Schiffe weiter saß auch ein Moses an Deck vor der Kombüse und schälte Kartoffeln. Wir fühlten uns durch unsere gleiche Arbeit verbunden und nickten uns von Zeit zu Zeit, wenn wir aufblickten, freundlich zu.
Eines Nachmittags war ich allein an Bord. Ich nahm Schmierseife und Wasser und begann, die mit Ölfarbe gestrichenen Wände und die Decke zu waschen. Durch das ständige Heizen mit Steinkohle war vor allem die Decke dunkel angeräuchert worden. Die richtige Reinigung gelang aber nicht mit Seifenwasser, sondern mit reiner Schmierseife, die direkt aufgetragen und mit einem Lappen verrieben wurde. Inzwischen war aber das Feuer ausgegangen. Nur noch wenige schwach glühende Kohlen lagen im Herd. Um das Feuer schnell wieder in Gang zu bringen, goss ich einfach etwas Dieselöl aus der Dose mit dem Anmachholz auf die wenige Glut. Zunächst geschah nichts, aber dann kam mit einem dumpfen Puff eine dicke Rußwolke aus dem offenen Herd, die sogleich die ganze Kombüse einnebelte, und nur noch Tür und Bullauge als hellgraue Flecken in der Finsternis erkennen ließ. Alles war nun tiefschwarz. Besorgt überlegte ich nun, was zu tun sei, um die völlig eingeschwärzten Wände wieder zu säubern. Meine ganze vorherige Arbeit schien zunichte zu sein, und ich fürchtete noch mehr die böse Reaktion des Kapitäns. Während ich noch stehend überlegte, was zu tun sei, verzog sich die Wolke aus den Öffnungen, und schließlich zeigte sich die Kombüse in ihrer ursprünglichen Reinheit. Es war eben nur die Luft geschwärzt. Niemand hatte etwas davon bemerkt. Sogar der Alte äußerte sich anerkennend über meine Arbeit: „Hat ja die Decke richtig sauber gemacht.“
Dann nahm mich der Alte mit auf den Wochenmarkt, wo er einige Lebensmittel einkaufte. Er war die Freundlichkeit selbst zu mir, worüber ich sehr froh war, denn es gab genug, was zu Beanstandungen Anlass gab: „Hier kann man ja Kartoffeln pflanzen!“, schnauzte mich der Alte einmal an und scheuerte eigenhändig die hölzerne Geschirrablage am Spülbecken. Im Übrigen wurde ich für alles verantwortlich gemacht, was in der Kombüse nicht in Ordnung war. Omi war nicht da, mit der ich mich hätte herausreden können. Aber auch Dinge, die sie veranlasst hatte, wurden mir zum Vorwurf gemacht. Da waren zum Beispiel keine Briketts mehr im Kohlenbunker, die vorrangig für das Kohlebügeleisen vorgesehen waren und nun von Eugen und Hein für ihre Landganghosen verlangt wurden. Ich hatte auf Weisung von Frau Krüger mit großer Gründlichkeit die Kohlen durchwühlt und bis auf das letzte Brikett alle herausgesucht, die sie zum Gluthalten in den Herd legte. Meine Gründlichkeit gereichte mir hier zum Nachteil, und dabei wollte ich doch ein guter Moses sein.
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