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Als sie den bösen schwarzen, betrunkenen Geist urplötzlich vor sich auf den Asphalt schlagen sah, erschrak die Gestalt derbe und instinktiv wuchtete sie ihren Fuß auf die Bremse, da sie ihn sonst frontal erwischt und überfahren hätte. Das aber wollte sie dann doch nicht. Ein Einbruch war eine Sache, ein tödlicher Unfall mit Fahrerflucht oder gar Mord etwas völlig anderes.
So quietschte sich der BMW in den Stand, wobei er etwas nach links rutschte.
Dann trat für eine kurze Sekunde vollkommene Stille ein, in der der böse Geist vor ihrem Wagen verschwunden zu sein schien. Da sie aber wusste, dass sie ihn nicht erwischt hatte, starrte sie mit großen Augen nach vorn und wartete mit pochendem Herzen darauf, dass er sich wieder zeigte.
Und das tat er auch keine zwei Sekunden später. Schräg rechts vor dem BMW kam er schweratmend und wild schnaufend auf die Beine, wo er schwankend sicheren Stand suchte. Für einen Moment konnte die Gestalt Christopher gut im Licht der Straßenlaterne erkennen und sie fragte sich sofort, warum ein so ausgesprochen attraktiver und gut gebauter Mann derart betrunken sein musste. Dann aber fing sie sich wieder und erkannte, dass sie jetzt weiterkonnte, es aber auch musste. Sie drehte das Lenkrad nach links und gab Gas, wollte so an ihrem Widersacher vorbeifahren. Aber genau in diesem Moment brüllte Christopher wütend auf und donnerte seine beiden Hände, von denen die rechte noch immer eine Waffe umfasste, rüde auf die Motorhaube.
Das jagte der Gestalt einen weiteren Schrecken ein, doch umso mehr wusste sie, dass sie von hier verschwinden musste. Also gab sie wieder Gas und schließlich gelang es ihr, den BMW an Christopher vorbei zu lenken. Kaum hatte sie das geschafft, trat sie das Pedal bis zum Boden durch und ihr Wagen schoss blitzschnell nach vorn die Straße hinunter.
Christopher hätte das alles gern verhindert, doch hatte er noch immer arge Mühe, die Schmerzen in seinem Körper unter Kontrolle zu bringen und das Bild vor seinen Augen zu schärfen. Sein Aufschrei und der Schlag auf die Motorhaube war lediglich ein Verzweiflungsakt gewesen, der nur für eine Sekunde etwas gebracht hatte. Jetzt aber blieb ihm nichts anderes übrig, als den widerwärtigen Einbrecher in seiner schwuchtelroten Möhre ziehen zu lassen.
Schweratmend mit nach vorn gekrümmtem Oberkörper stützte er seine Arme auf seine Oberschenkel, gönnte sich so einen kurzen Moment Ruhe. Dann erhob er sich mit einem tiefen Atemzug und in seinem Gesicht zeigte sich deutlicher Hass.
Die erste Runde ging an seinen Gegner, doch der Krieg war noch nicht verloren, obwohl er zugeben musste, dass er jetzt lieber ausgiebig gekotzt und sich dann heulend hingehockt und seinem Schmerz gefrönt hätte, als die Verfolgung wieder aufzunehmen. Doch irgendetwas widerlich Aufrechtes und Gnadenloses in ihm gab diesem Wunsch nicht nach und zwang ihn, sich zu bewegen.
Sein Ziel war hierbei sein eigenes Auto, dass er eine Querstraße tiefer geparkt hatte. Von seinem Standpunkt aus waren dass keine zwanzig Meter Luftlinie. Ein kurzer, qualvoller Sprint, der ihm schon vorab heißen Schweiß auf die Stirn trieb und er wäre wieder im Spiel.
Also los dann.
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Als Christopher seinen Purzelbaum mit anschließendem Rachenschlag auf den Asphalt über den Plymouth machte, erkannte er ihn im Rückspiegel sofort wieder. Ein kurzes, erfreutes, aber auch deutlich trauriges Lächeln huschte über seine Lippen, dann erschrak auch er, als der BMW auf ihn zuschoss und erst im letzten Moment quietschend in den Stand gebremst wurde.
Sein Handbewegung zum Türöffner erstarb und er starrte atemlos auf das Bild, das sich ihm im Rückspiegel bot.
Eine Sekunde später konnte er wieder erleichtert durchatmen, als er Christopher angeschlagen, aber offensichtlich nicht nennenswert verletzt sehen konnte, wie er sich auf die Füße wuchtete.
Dann schob sich der BMW an ihm vorbei die Straße hinunter und wieder konnte er sich nicht bewegen, so sehr war er vom Anblick Christophers gebannt.
Bis zu dem Moment, wo der sich aufbäumte und loslief. Da wusste er, dass er sofort handeln musste, um ihn nicht zu verlieren.
Also öffnete er die Fahrertür, stieß sie auf, spritzte in die Höhe, wobei er in Christophers Richtung herumwirbelte und rief lauf und deutlich sein Namen.
Christopher hörte den Ruf trotz des eigenen Lärms, den seine arg gebeutelten Lungen verursachten. Und er wusste auch sofort, dass ihm die Stimme bekannt vorkam. Zuordnen konnte er sie jedoch nicht. Allerdings war er sich schon im selben Moment nicht mehr sicher, ob er die Stimme wirklich und wahrhaftig gehört hatte oder ihm sein geschundener Geist nicht einen Streich spielte.
Also reagierte er nicht darauf, sondern lief einfach weiter und erreichte die andere Straßenseite.
Doch schon hörte er seinen Namen erneut. Dieses Mal lauter, deutlicher und wahrhaftiger. Ja, da rief tatsächlich Jemand seinen Namen. Und die Stimme war ihm auch wohl bekannt. Doch konnte das wirklich sein?
Irritiert blickte er sich um und schaute die Straße hinauf, in die Richtung, aus der der Ruf zu kommen schien.
Kaum hatte er dort tatsächlich einen Mann neben einem parkenden Wagen ausgemacht, dessen Anblick seine Vermutung zu bestätigen schien, da ertönte zum dritten Mal sein Name.
Und da wusste Christopher, dass er nicht geträumt hatte.
Leider vergaß er bei all dem Suchen und Schauen und Erkennen, dass es besser gewesen wäre, dass alles im Stehen zu tun und nicht, während man rücklings quer über den Bürgersteig weiterlief. Denn gerade hatte er den Mann dreißig Meter weiter erkannt, da hatte er auch schon die kniehohe Hecke am Rande des Bürgersteigs erreicht, die ihn von der dahinterliegenden Böschung abgrenzte. Und das Schicksal wollte es, dass ihm das Grünzeug erneut zum Verhängnis wurde.
Mit einem abrupten Aufschrei spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen nachgab. Doch mehr als seine Arme hilflos in die Höhe zu reißen, konnte er nicht tun, bevor es für ihn auch schon schonungslos abwärts ging.
Seine Beine knickten ein, sein Körper krachte auf die Böschung und er überschlug sich mehrfach, während er die rund zehn Meter Grünfläche auf die darunter liegende Straße hinab purzelte.
Dort bildete eine etwa zwei Meter hohe Mauer und eine weitere Hecke, die ihr bis zur Krone reichte, den Abschluss der Rasenfläche, wo es auf dem letztem Meter noch etwas bergauf ging, sodass Christophers Schwung ein wenig abgebremst wurde..
Dennoch brüllte er entsetzt auf, dann donnerte er durch die Hecke, schoss über die Mauer hinaus und rauschte schließlich in die Tiefe, wobei er nicht verhindern konnte, dass sein Rücken vorausflog.
Doch anstatt kurz darauf auf den Asphalt zu schlagen und sich alle Knochen zu brechen, krachte er wuchtig in den Fahrersitz eines dort parkenden Wagens.
Der Aufprall war zwar noch immer rüde, doch sorgte das Sitzpolster dafür, dass seine Knochen heil blieben, obwohl sein Mageninhalt bedrohlich durcheinander gewirbelt wurde.
Mit einem teils überraschten, teils gestressten Aufschrei endete sein Fall abrupt. „Kacke!“ stieß er schmerzhaft hervor. Dann aber musste er mit großen Augen erkennen, dass er nicht nur auf dem Fahrersitz eines Autos gelandet war, sondern dass es in einem Anfall göttlicher Fügung sogar sein eigener Ford Mustang war, den er heute mal hier geparkt hatte, damit seine ständige Anwesenheit in dieser Gegend nicht durch ständiges Parken am selben Ort zu sehr und zu schnell auffiel. „Oh geil, Mann! Na, wer sagt es denn?“ rief er freudig aus. „Papa ist wieder am Zug!“
Und noch etwas erkannte er sehr schnell: Den roten BMW, der gerade am Ende der Straße mit quietschenden Reifen um die Ecke schoss und dessen Fahrer ihn in seine Richtung lenkte.
Mehr als je zuvor, wusste er, dass er jetzt wieder voll im Spiel war.
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