Trotzdem glauben die Betreiber, dass sich jährlich 350.000 Besucher von der Schnulze beglücken lassen werden. Fünf Jahre lang braucht man diese Zuschauerzahl, damit sich das 74-Millionen-Projekt amortisiert. Angesichts spektakulärer Pleiten, die der Spaßkultur arg zusetzen, beeilt man sich zu versichern, dass in Füssen „in aller Stille ein überaus bemerkenswertes Gegenmodell zum Plastik-Kitsch des kommerziellen Musical-Angebots“ entsteht. Große Worte. Der Clou an der Sache sei, dass sich das Theater „am historischen Originalschauplatz direkt gegenüber Schloss Neuschwanstein“ befindet. Wie weiland König Ludwig geraten den Betreibern dabei Leben und Libretto etwas durcheinander. Das Schloss ist in fünf Kilometer Entfernung auch bei guter Sicht mit bloßem Auge gerade noch auszumachen. Der Forggensee wurde erst 1954 aufgestaut und führt nur in den Sommermonaten Wasser. Die übrige Zeit herrscht eine Wüste aus Geröll und Dreck. Aber der Standort macht Sinn, denn vom Schloss aus ist das Kolossaltheater mit der 150 Meter breiten Front nicht zu übersehen und der Aufmerksamkeit der Touristen gewiss. Mittels eines Scheinangebots an die Nachbargemeinde Schwangau zogen die Betreiber Füssens Stadtobere über den Tisch und erhielten im Handumdrehen die Genehmigung, den Gewerbebau –nichts anderes sind solche monofunktionalen Musikhallen- im Landschaftsschutzgebiet marketinggerecht zu platzieren.
Den Entwurf lieferte die Ehefrau des Initiators, insofern stört ein fehlender Architekturabschluss nicht. Für das Megaprojekt gründete sie die Firma „Urban Design“, und so sieht das Modell aus. Gottfried Sempers dichter, kraftvoller Entwurf für das Münchener Festspielhaus, der die Hauptfunktionen prägnant verfugt, das Halbrund des Zuschauerraums, darüber das Bühnenhaus, rechts und links Seitenflügel mit Treppenhäusern und Gesellschaftsräumen, wurde so ausgedünnt und banalisiert, dass nun eher an einen Messestand erinnert, was sich ohne falsche Bescheidenheit als Bau „im Stil des 21. Jahrhunderts“ feiert. Der innere Ausbau des Theatersaals im Mittelgebäude mit 1400 Sitzplätzen und einer riesigen Drehbühne ist wiederum am Bayreuther Festspielhaus orientiert. In einem Wasserbecken von olympischen Ausmaßen wird der König täglich sein feuchtes Ende finden. Über lange Laufbänder dürfen leibhaftige Pferde galoppieren. Der Text der Seifenoper wird in mehreren Sprachen an die Wand projiziert. Der Knüller im Zuschauerraum ist die „Königsloge“ mit angeschlossenem Chambre séparée. Falls es darin zu unkontrollierten Gefühlsausbrüchen kommt, steht eines der „Themen-Restaurants“ in den Annexen zur Ausrichtung der Vermählung bereit. Bei so viel Superlativen darf man darüber hinwegsehen, dass der Theaterbau allerdings Neuschwanstein den Rücken zuwendet. Das Gebäude soll ja keinesfalls, so betont man, mit den Königsschlössern in Konkurrenz treten. Und damit wir uns beim Lustwandeln während der dreiviertelstündigen Pause nicht vollends im Libretto verlieren, haben die Initiatoren „bewusst“ auf die Verkleidung der Betonstützen verzichtet, um uns damit die historische Distanz zu Semperscher Architektur vor Augen zu führen. Mit Baukunst hat das alles so wenig zu tun wie das Libretto der Schmonzette mit Ludwigs Leben. Im Gewerbebau muss die Kasse stimmen, die Kunst nicht unbedingt.
[5.1999]
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.