Einher ging damit allerdings der Entschluss der Stadt Neustadt als Eigentümerin, auf eine intensive Nutzung der großartigen gotischen Halle zu verzichten. Für eine neoliberale Gesellschaft, in der noch das unscheinbarste Baudenkmal „in Wert gesetzt“ werden und „sich rechnen“ soll, ist das eine kluge und vorausschauende Entscheidung, weil sie auch nachfolgende Generationen einschließt. Das passt auch zu einer Sanierung, die der ganzen Geschichte des Denkmals Respekt zollt.
Üblicherweise diagnostizieren Bauforscher ja penibel möglichst alle „Veränderungsphasen“ eines Gebäudes auf der Suche nach der vermeintlich ursprünglichen äußeren und inneren Gestalt und originaler Bausubstanz. Selten ist dabei aber das hypothetisch postulierte Original wirklich dingfest zu machen. Dann stellt sich bei der „denkmalgerechten“ Sanierung die Frage, an welchem Punkt man die Zäsur setzt und die Geschichte des Baudenkmals einfriert. Damit wird zwar ein Teil der Historie konserviert, anderes aus der Biografie geht aber verloren. Für eine einheitliche Raumfassung werden schließlich verlorene Oberflächen rekonstruiert, deren Makellosigkeit dann die Auffrischung gealterter Partien nach sich zieht, um Dissonanzen im Gesamteindruck zu vermeiden. Schließlich erlebt man alterslose Räume, die ähnlich gekünstelt wirken wie geliftete Körper.
Im Aischgrund ist dagegen endlich einmal ein Baudenkmal zu besichtigen, das nach der Sanierung nicht aussieht wie sein eigener Klon. Gerade durch das Belassen der Spuren aus allen Jahrhunderten wirkt die Architektur so nahbar und aufrichtig. Zu dieser ästhetischen Qualität trägt auch bei, dass man eine zerstörte Spindeltreppe an der Südfassade nicht in alten Formen reproduzierte, sondern an derselben Stelle 2011 als modernen Neubau errichtete, der den historischen Bestand nur an wenigen Punkten berührt. Das Neue als neu und das Alte als alt nebeneinander zu zeigen, ist ein Credo der Moderne, das man so bislang von der Denkmalpflege nicht erwartete.
Der jüngst verstorbene Architekt Karljosef Schattner erzählte oft von den erbitterten Auseinandersetzungen, die er deswegen als Eichstätter Diözesanbaumeister über Jahrzehnte mit Denkmalpflegern führte. Trotzdem schrieb er Architekturgeschichte mit dem Umbau eines barocken Domherrnhofs zur Universitätsbibliothek, wo er mehrere historische Raumfassungen als ironischen Kommentar auf eine Wand projizierte, weil sich die Denkmalschützer auf keine Fassung einigen konnten. Wenn der für die Sanierung in Birkenfeld zuständige Denkmalpfleger Thomas Wenderoth in einem Artikel schreibt, dass diese Instandsetzungen „in vielerlei Hinsicht [...] zu den wichtigsten und erfolgreichsten Denkmalinstandsetzungen der letzten Jahrzehnte in Bayern zählen“, wünschte man sich, dass generell Bewegung in die oftmals verhärteten Fronten kommt, obwohl das Landesamt für Denkmalpflege sich beeilt zu betonen, dass das Vorgehen in Birkenfeld „keinen Paradigmenwechsel“ darstellt.
[02.2013]
COBURG
Transparente Veste
Neues Verwaltungsgebäude der HUK-Coburg
Der Großstadt böswillige Erfindung ist die Provinz. Ludwig XIV. wusste davon nichts: Versailles ließ er zwischen grasenden Kühen abwerfen, draußen, irgendwo. Ein Haugout hängt der Provinz seit letztem Jahrhundert an. Nehmen wir Coburg. Dort begann 1949 der Aufstieg der HUK. Eine Gefahr der Provinz: sie wird gern unterschätzt. Als die Konkurrenz aufwachte, gehörte die HUK zu den größten Versicherern Deutschlands. Sie zählt 6600 Mitarbeiter, gut die Hälfte in Coburg, wo seit 1990 fast tausend neue Arbeitsplätze entstanden. Dem Raumbedarf konnte man kaum hinterherbauen. Anfangs genügte ein Raum, zuletzt war man über die Stadt verteilt. Die Bauten der HUK blieben immer maßvoll und der historischen Architektur verpflichtet. Trotz enormer Wirtschaftspotenz hatte man einen Versicherungspalast nie im Sinn. Es fehlen die parvenühaften Attitüden der Branche. Man muss dazu wissen, dass ein paar Pastoren die HUK gegründet hatten. Die Corporate Identity des Konzerns ist eine Melange aus protestantischer Askese, Ökonomie und Solidität. Mit dem Gebäude am Bahnhofsplatz wagte man in den sechziger Jahren zwar ein Bekenntnis zur modernen Architektur, der Stahlbeton-Skelettbau mit vorgehängter Aluminium-Glasfassade scheut allerdings jedes Imponiergehabe wie der Teufel das Weihwasser. Nur im Detail herrschen diskret edle Materialien.
Als sich Anfang der neunziger Jahre das Raumproblem zuspitzte, entschloss man sich zum großen Wurf. Draußen vor der Stadt fand man das geeignete Terrain: Realisiert wurde eines der größten Bauvorhaben in Deutschland außerhalb Berlins, Investitionsvolumen 527 Millionen Mark. Davon machte man kein Aufheben, auch die Einweihung ging im Juli still über die Bühne. Bescheidene Noblesse der Provinz.
Der erste Bauabschnitt schuf Raum für 2000 Mitarbeiter. Das Grundstück und das Architekturkonzept lassen eine Erweiterung auf 4500 Arbeitsplätze zu. Hatte beim Wettbewerb 1993 das Büro HPP Hentrich-Petschnigg & Partner zunächst den zweiten Preis errungen, konnte es sich nach der Modifizierung des Entwurfs auf den ersten Platz vorschieben. HPP gehört mit 280 Mitarbeitern zu den bedeutenden Architekten-Sozietäten Deutschlands. Als „Architekturfabrik“ schilt man mitunter die Gemeinschaft, aber gemeint ist nichts anderes als eine internationale Bauhütte. Nur Zeit, die in Generationen rechnet, hat man nicht mehr: Die HUK-Zentrale mit 110.000m² Geschossfläche und 440.000m³ Rauminhalt wurde in dreißig Monaten hochgezogen. An der Veste über der Stadt hatte man noch Jahrhunderte gebaut. Mit ihrem Volumen kann sich die HUK leicht messen. Imposanteres wurde in Coburg nie gebaut. HPP, ließe sich sagen, habe gerade mit Büro- und Verwaltungsgebäuden und mit großen Bauvolumina viel Erfahrung, aber man täte einem Œuvre unrecht, das ins Gigantische angewachsen ist. Die Zahl errungener Preise muss auf Kollegen entmutigend wirken. Neidern bleibt immerhin Schadenfreude, wird HPP doch hartnäckig nur auf ein Gebäude festgenagelt: das Thyssen-Hochhaus in Düsseldorf, von Hentrich und Petschnigg 1957/60 gebaut und als Ikone in die Architekturgeschichte entrückt.
Die HUK setzt mit dem Neubau deutlich neue Akzente, ohne dabei alte Tugenden abzulegen; HPP greift in der Grunddisposition ein bewährtes Schema auf, das bei der niedrigen Geschosszahl eine optimale Naturanbindung für die Benutzer gewährleistet und dennoch die Grundstücksfläche ökonomisch ausreizt. Eine Landschaftsachse in Nord-Süd-Richtung gab die Orientierung des flachen Gebäudeensembles vor, das nach Osten von drei und nach Westen von fünf regelmäßig angeordnete Querbauten in Kammstellung strukturiert wird, die sich in der Hauptachse erschließen. Dazwischen ist als Zentrum die gläserne Eingangshalle eingespannt, sie verbindet die Flankenbauten auf allen fünf Ebenen. Neben dem Empfang spielt sie überzeugend einen kulturellen Part: Ausstellungen und Konzerte unterstützt eine verborgene aufwändige Technik.
Die Gebäude im Westtrakt umfassen Bürobereiche, der Osttrakt ist partiell als Zentralgebäude konzipiert, mit dem Betriebsrestaurant im Erdgeschoss, einem Bildungsbereich in zwei separierten Baukörpermodulen und dem runden Besprechungspool. Dort werden wohl wichtige Entscheidungen getroffen, denn der Kopfbau genießt im Eingangsbereich eine prominente Position. Aber weil er sich unter den Baukörper duckt, wirkt die ausschwingende Gebärde trotz der filigranen Front aus Glas, Stahl und Aluminium behäbig. Als hätte man auf dem Weg nach oben Angst vor der eigenen Courage bekommen. Innen ist das Zentrum der Rotunde eher zufällige Leere als bewusst umbauter Raum, denn es findet die Mitte nicht in sich selbst.
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