Das Altes als alt und das Neues als neu darzustellen, bedeutete einen unerhörten Bruch mit den Sehgewohnheiten für naive Historisten, für Denkmalpfleger und mehr noch für gläubige Modernisten. Was damals blankes Entsetzen hervorrief, ist heute vorbildlich. Der Ausbau eines alten Stadtpalais zum Fachbereichsgebäude mit dem Bibliothekslesesaal im ursprünglich offenen Innenhof, das zum Universitätsinstitut verwandelte barocke Waisenhaus sind Klassiker des Metiers.
Aus dem langen Werkverzeichnis wird man aber zukünftig ein Hauptwerk streichen müssen: Die zerstörerische Veränderung des Jura-Museums, ausgezeichnet 1977 mit einem BDA-Preis, hat begonnen. Es entstand durch den Umbau von Teilen der maroden Willibaldsburg über der Stadt. Der Architekt hielt die unterschiedlichen Erhaltungszustände der Räume fest, zog aber notwendige Stahlbetondecken sichtbar ein. Zum umfassenden Entwurf gehören alle Einbauten, Vitrinen und Stellwände, sogar Objektpräsentation und Beschriftung. Nur darauf gründet der internationale Ruf des Museums. Die Atmosphäre erwächst im Zusammenklang des rohen Sichtbetons, weiß gekalkten Gemäuers, dunkel überfangener diaphaner Einbauten mit punktuell ausgeleuchteten Objekten und dem rotbraunen, schwarz verfugten Klinkerboden. Leitmotiv der Inszenierung ist das Staunen: Über das Walten der Natur in den gezeigten Fossilien, den Lauf der Geschichte, abzulesen im Gebäude, und die Möglichkeiten der Kunst, sichtbar in der Arbeit des Baumeisters. Das sind Grundelemente jener Jahrhunderte alten Gattung der Kunst- und Wunderkammer, als deren moderne Interpretation man das Museum begreifen muss.
Die neue Museumsleiterin kümmert das nicht. Mit brachialem Profilierungswillen rückt sie dem Gesamtkunstwerk zu Leibe. Im besonders gerühmten Eckraum mit dem teilrekonstruierten Gewölbe wurden schon alle Einbauten entfernt, auch die abgehängte durchlaufende Schiene mit Lichtquellen, die als materialisierte Führungslinie diente und den Rhythmus der Räume grafisch nachzeichnete. Den ursprünglichen Fußboden ersetzen helle Solnhofer Platten, die zum Raum in keiner Beziehung stehen. Den Architekten hat sie nicht informiert und verweigert Auskünfte über ihr Konzept.
Während man andernorts alles tut, um mit Museumsbauten von renommierten Architekten Aufmerksamkeit zu erregen, zerstört man in Eichstätt dergleichen achtlos. Lieber verkauft der Tourismus dröge Konzepte einer gemütlichen Vergangenheit. Ohnehin nimmt man Karljosef Schattner nur so weit zur Kenntnis als unbedingt nötig. Aus seiner Baukunst ist kein bequemes historisches Kapital geworden; sie hat nichts von ihrer provokanten Modernität verloren, von der verstörenden Klarheit, die nur großartige Werke auszeichnet.
Zum Kern der Erfahrung solcher Kunst gehört ja, dass wir uns durch sie mehr vorstellen können als vorher. Das muss freilich nicht zwingend der Fall sein. Eichstätt führt seit geraumer Zeit vor, dass es sich auch bauen lässt, wenn man Schattners Kunst nicht einmal ansatzweise kapiert. Willig ebnen architekturresistente Kommunalpolitiker einer baulichen Peinlichkeit nach der anderen den Weg.
Dabei hatte der Architekt seiner Stadt nicht allein die Verwirklichung einer städtebaulichen Vision geliefert. Die räumliche Integration der Universität in die Stadt verstand er auch als intellektuelle Herausforderung an sie. Aber das wurde nur als zusätzliche Einnahmequelle begrüßt. Studenten äußern sich begeistert über Ausstattung und Qualität der Katholischen Universität, wütend über die Wohnungsknappheit, frustriert über das unsäglich provinzielle Kulturangebot.
Um so bedeutender ist Karljosef Schattners Leistung, weil es ihm trotz aller Hemmnisse in solcher Atmosphäre gelang, ein Bauen zu verwirklichen, das modern und nicht modisch, identitätsstiftend und nicht beliebig ist. Er hätte auch den Begriff Provinz neu justiert, wäre ihm Eichstätt nur etwas entgegengekommen.
[8.2004]
EICHSTÄTT
Umhegte Weite. Schneeräume
Ein einzigartiger Ort in diesen Wintertagen: der Eichstätter Residenzplatz
Dehio, sein flammendes Plädoyer gegen den Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses könnte derzeit eine erhellende Lektüre sein, Dehio also, der sich vor hundert Jahren anschickte, deutsche Baudenkmäler systematisch zu erfassen, sie prägnant wie wenige, doch nicht ohne Leidenschaft beschrieb, er kam ins Schwärmen und wertete als „Platz von europäischem Rang“ diesen betörenden Ort.
So herangeführt durch die Architekturgeschichte erwartet man, in Eichstätt ein pompöses Schatzhaus des Barock anzutreffen, womöglich ungeheuere Gebäudekomplexe, von denen brachiale Achsen die Landschaft ausstrahlend bändigen. Die schlanke Barockfassade, dem gotischen Domchor vorgestellt, ein erster magischer Point de vue für den Flaneur, sobald er aus dem Bahnhof auf die enge Gasse tritt, lässt daran immerhin noch denken: Monumentale, hoch aufsteigende klassische Zwillingspilaster, über denen das Gebälk wie ein Kronreif schwebt, dazwischen die dünnhäutige, vorschwingende Wandmembrane. Alles aus kernigen Kalksteinblöcken modelliert, kaum zu glauben, ohnehin in diesen Tagen, wenn die Schneeweiße solche Architektur zum schwerelosen Artefakt verwandelt. Gedanken-Gebäude im Frost, das den Blick des Betrachters erst weiterführt, wenn er nähergetreten ist. Er wendet sich nach rechts, dort wird alles anders.
Zwar schließt die ehemalige fürstbischöfliche Residenz nahtlos an die Domfassade an, satt lagernd allerdings statt hochstrebend, eine klar umrissene Kubatur von maßvoller Proportion, ohne Allüren und von eher beiläufigem Schmuck. Ähnlich vis-à-vis das ebenso lang gestreckte Kanzleigebäude. Dort im Erdgeschoss immerhin schmucke, von Säulen getragene Arkaden, ursprünglich nichts weiter als ein Unterstand für die Residenzwache. Weitere Dekoration der Gebäude dient nur dazu: ein harmonisches Beziehungssystem herzustellen, aus dem ein homogener Straßenzug entsteht. Die Straße ist in den architektonischen Ausdruck mit einbezogen und untrennbarer damit verbunden. Wichtiger Auftakt, der sie ist: Nach ein paar Schritten öffnet sich jener betörende Ort, den Dehio meinte.
Eine kleine umhegte Weite empfängt den Flaneur, geräumige Überschaubarkeit, kein Pathos, nicht der große Gout. Linker Hand noch immer die Residenz, jetzt mit ihrer gestreckten Südfassade, rechts schwingt in flacher Bogenlinie eine Zeile von Gebäuden, den Platz kontinuierlich öffnend. Zunächst ein fulminanter Langflügel mit 28 Fensterachsen in ungebrochener Flucht. Staunend studiert man daran, wie achtzig Fenster mit lediglich vier einfachen Giebelvariationen zur kunstvollen Fassade verwoben wurden. Der nützlichen Vierteilung, über die Dehio berichtet, entsprechen schwach vortretende Mittelrisalite, die den Rhythmus der Front horizontal und vertikal in Bewegung bringen. Übereck gestellte figürliche Hermen, die Portalverdachungen tragend, ziehen den Platzraum an die Fassade heran. Anschließend folgen Gebäude mit wechselnden Traufhöhen; alles zusammen suggeriert den gewachsenen Bestand. Doch überspringender Dekor und wiederkehrende Architekturmotive verraten die planmäßige Anlage. Und es blüht verborgene Vielfalt in der Einheitlichkeit: als Prospekt im Hintergrund, doch alles überragend, die Türme des Doms aus satter Romanik mit Helmen einer bedächtigen Gotik. Dem maßvollen Barock der Residenz, unterlegt mit Erinnerungen an den italienischen Palazzo der Renaissance, von Diözesanbaumeister Giacomo Angelini, erwies noch der Nachfolger Gabriel Gabrieli bei der Vollendung des Baus seine Referenz. Erst dem langen Kavalierhof gegenüber verpasste er ein zeitgemäßes frühes Rokoko, doch mit einem Ausdruck ernster Sachlichkeit. Andere Gebäude münden schon in heraufdämmernden Klassizismus, den Maurizio Pedetti, dieser wiederum Nachfolger Gabrielis, auch im aufgepeppten Mittelrisalit der Residenz anklingen ließ. Dabei schwebt über dem Platz leise, doch unüberhörbar ein Wiener Ton in der Luft, Grund genug für Kunsthistoriker, abwertend eine konservative Grundhaltung auszumachen. Tatsächlich steht allerdings der Ausbau Eichstätts zur barocken Residenz im Zusammenhang mit der Reichstreue seiner Bischöfe, die sich dem habsburgischen Kaiserhaus eng verbunden fühlten. Politisches Kalkül, das den Stein mit dünner Lasur überzieht.
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