Die Denkmalpflege entdeckte die Bauten spät, oft zu spät. Längst sind nicht alle erfasst, längst nicht alle erfassten stehen unter Denkmalschutz, längst nicht alle geschützten werden erhalten. Einzig Hessen hat konsequent alle dokumentierten Bauten unter Denkmalschutz gestellt.
Allerdings: auch die jüdischen Kultusgemeinden zeigen oft kein Interesse an diesem Erbe. Natürlich ist an eine religiöse Nutzung der entweihten Gebäude nicht zu denken, schon weil in den Orten keine Juden mehr leben, aber der Erinnerungswert und die kulturhistorische Bedeutung sind für alle Nachgeborenen, egal welchen Glaubens, enorm. Und immer mehr ausländische Juden machen sich hier auf die Spuren der Vorfahren.
Der fortschreitenden Zerstörung steht eine wachsende Zahl von Sanierungsprojekten gegenüber, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das geht meistens so: Privatinitiativen geben den Anstoß, Verwaltung, Denkmalpflege und Politik ziehen nach. Als Nutzung wird anvisiert „ein Ort der Toleranz und Versöhnung“ und „angemessener“ kultureller Veranstaltungen. Man versteht sich als „Begegnungsstätte“, wobei die Frage, wem noch zu begegnen sei, oft verblüfftes Schweigen auslöst. Eine Dokumentation zur lokalen jüdischen Gemeinde ist selbstverständlich, ihre Wechselwirkungen mit der christlichen Mehrheit sind kein Thema. Um die Klärung von Einzelschicksalen in Konzentrationslagern bemüht man sich, Fragen nach dem Verbleib jüdischen Eigentums stellt man hingegen nicht. Zur Darstellung der „jüdischen Kultur“ dienen Kult- und Ritualgegenstände, die zwangsläufig das Thema auf die Religion reduzieren. Juden erscheinen so als religiös-exotische, kulturell isolierte Gruppe jenseits der Gesellschaft, mit über Jahrhunderte konstanten Merkmalen. Ein kurzer Blick in die deutsche Geistesgeschichte könnte hilfreich sein. Fehlen lokale Objekte, erwirbt man im Kunsthandel Beliebiges, wobei die starke Nachfrage einen florierenden grauen Antiqitätenmarkt entstehen ließ. Bernhard Purin, Leiter des Jüdischen Museums Franken, wies darauf hin, dass man genauso „Weihnachtsbaum und Osterei, Gebetsbuch und Weihwasserkessel zu den alles erklärenden Determinanten christlichen Lebens der letzten Jahrhunderte“ erheben könne. Im Museumskomplex um die ehemaligen Synagoge in Schnaittach bilden deshalb Sachzeugnisse im Gebrauchszusammenhang einen Schwerpunkt.
Bei der Gebäudesanierung stellt sich die denkmalpflegerische Kernfrage: Welchen Bauzustand konservieren? Vor dem Pogrom von 1938 oder danach? Beseitigung der Verwüstungsspuren oder deren Dokumentation? Weil unser Bild von der Geschichte auch geprägt ist von den Bedürfnissen der Gegenwart, hat der Rückbau Konjunktur. Als Hinweis auf den Massenmord genügen ein paar Accessoires der Betroffenheit. Veitshöchheim zum Beispiel: Die Synagoge, zwar 1938 nicht geschändet, wurde wenig später beim Umbau zum Feuerwehrhaus innen völlig zerstört. Davon ist nach der Restaurierung nichts geblieben. Nachrichten von neuerdings brennenden Synagogen und wachsendem Antisemitismus relativieren sich da wie von selbst. Aufarbeitung als Wiedergutmachung an der Architektur? Geschichtsfälschung oder Dokumentation eines ausgerotteten Stücks deutscher Kultur? Denn welcher Nichtjude weiß Genaues über eine Synagoge?
Ganz anders sieht man die Dinge in Baisingen, unweit Tübingen. Die Synagoge, 1938 verwüstet, diente bis in die siebziger Jahre landwirtschaftlichen Zwecken. Nach der Sanierung werden alle Verwüstungen und Veränderungen sichtbar bleiben, auch der herausgerissene Fußboden und das später eingebrochene Scheunentor. Das denkmalpflegerische Konzept steht bislang einzigartig da, es versteht sich bewusst als neuer Weg im Umgang mit dem gemeinsamen Erbe, als Versuch zur Dokumentation der „ganzen“ geschichtlichen Wahrheit am Denkmal.
Zwischen diesen Eckpunkten bewegen sich alle Initiativen und die Positionen jüdischer Kultusgemeinden. Unterschiedliche Lösungen sind möglich, aber wenigstens das respektvolle Bewahren aller ehemaligen Kultstätten sollte selbstverständlich werden. Thea Altaras: „Außerdem gibt die unterschiedliche Behandlung der vorhandenen ehemaligen Synagogen, ihre Umwandlung in Museen und Stätten der Begegnung oder ihre konsequenten Umbauten sowie der Abbruch, Aufschluss über die verschiedenartige Auffassung und das Verantwortungsbewusstsein sowohl einzelner Bürger als auch der zuständigen Behörden. Dadurch können aus dem Schicksal der stehen gebliebenen ehemaligen Kultstätten wichtige Hinweise für das zukünftige Leben der Juden in Deutschland entnommen werden.“ Angesichts wachsender religiöser Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit kommt noch eine Dimension dazu.
[06.2008]
FÜSSEN
Der nächste Schwan kommt um halb acht
In Füssen entsteht das „König-Ludwig-Musical-Theater“
Im März 1866 war der Kapellmeister Wagner in München noch guter Dinge. „Daß ich hier durch meine Kunst einen König luzid und völlig clairvoyant zu machen imstande bin, der sonst das Gewöhnlichste des realen Lebens nicht zu erkennen mag, legt die Hoffnung nahe, dass ich diesen König, durch seine begeisterte Liebe zu mir, zu den großartigsten und weitreichendsten Entschlüssen zu treiben hoffen darf.“ Tatsächlich glaubte der zweite bayerische Ludwig mittlerweile selbst, er sei der „das ganze deutsche Volk erlösende Fürst“, wie ihm der Tonsetzer mit devotem Gesülze unentwegt einhämmerte. Gottfried Semper, den gesuchtesten Theaterarchitekten der Zeit, hatte er mit der Planung des „Theaters der Zukunft“ in München beauftragt. „Allein meines Teuren und Einzigen gottvolle Werke“ sollten darin zur Aufführung kommen. Wo Ludwig sich als Heiland einer Kunstreligion begriff, hatte Wagner freilich eher Handfestes im Sinn: Den Münchener Musikbetrieb wollte er von „unwagnerischen“ Elementen und vor allem von jüdischen Mitarbeitern säubern. Sein wüster Antisemitismus stieß allerdings bei Ludwig, der ansonsten den Meister nur mit homophilem Liebesgestammel anraunzte, auf energische Ablehnung. Das Theaterprojekt scheiterte ohnehin am Widerstand des Kabinetts und schließlich auch an Intrigen Wagners, der angesichts der Kosten um seine horrende Apanage fürchtete.
Ludwig zog sich aus dem Leben in die Opernwelt des „Heißgeliebten“ zurück und ließ dafür die Burg Neuschwanstein zurechtzimmern. Entrückt genoss er auf dem Alpsee nächtliche Partien im elektrisch beleuchteten Schwanennachen, gewandet wie Lohengrin in einen silbernen Harnisch, umtost von wagnernden Klanggewittern. Nach Ludwigs Abgang im Starnberger See blieb Neuschwanstein unvollendet.
Immerhin ist es der Welt berühmteste und profitabelste Bauruine. Rund 1,3 Millionen Besucher, Japaner und Amerikaner vor allem, bestaunen jährlich das Gemäuer eines exzentrisch interpretierten Mittelalters, um anschließend, fast wie „Mad King Ludwig“ aus „Neuschwanstein-Country“ spurlos zu verschwinden. Das soll ab März 2000 anders werden. Dann wird sich der Vorhang zum Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ heben, dessen Spielstätte derzeit auf einem eigens aufgeschütteten Areal aus dem Forggensee wächst. Der Komponist Franz Hummel, so droht uns die „Ludwig Musical AG & Co. KG“, hinter der vier Großbanken und 200 Privatanleger stehen, ziehe dafür alle Register seiner Kunst. Im O-Ton: „Der üppige Klang eines großen spätromantischen Opernorchesters begleitet König Ludwig in seine Traumwelt. Seine Sehnsüchte drückt er in Liedern von klassischer Schönheit aus. Die Minister halten mit einer original bayerischen Blasmusik-Kapelle dagegen. Rhythmische Akzente setzt ein exotischer Chor. Arien, Couplets und Schnaderhüpferl, Polka und Walzer erzählen das Melodram eines musikbegeisterten Königs.“
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