afrikanischen Literatur soll lediglich dazu beitragen
zu unterhalten und Erwachsenen wie Kindern daheim
den Erdteil und seine Bewohner näherzubringen, in
dem so viele unserer Interessen liegen, und der hoffentlich
mehr und mehr ein Faktor in der deutschen
Weltstellung und Macht sein wird.
Einen ganz besonderen Dank schulde ich dem Vorstände
der Kapstädter Stadtbibliothek, der mir in entgegenkommendster
Weise gestattete, aus alten Zeitschriften,
Magazinen usw. für meinen Zweck zu
schöpfen. Professor Cameron aus Kapstadt ließ mich
liebenswürdig von seiner Kenntnis der Madagaskarliteratur
profitieren, wie auch Mr. Ritchie aus Port Elisabeth
und viele deutsche und englische Freunde mich
in jeder Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben,
indem sie mir erzählten, was sie beim nächtlichen
Feuer auf Wanderungen tief im Innern oder an der
Küste von Eingeborenen zu hören bekommen haben.
Die Geschichten »Vom Vogel, der Milch gab« und
vom »Cakyane-bo-Cololo« sind mir von den Mönchen
der Missionsstation Marianhill in Natal zugegangen,
und schließlich hat das Seminar für orientalische
Sprachen in Berlin in sehr freundlicher Weise
ein Interesse an der Arbeit gezeigt, indem es mich mit
verschiedenen Yao-Erzählungen, also des Stammes
aus dem Süden unseres ostafrikanischen Schutzgebietes,
versorgte.
Ich gebe mein Manuskript mit dem Wunsche aus
der Hand, daß es daheim das Interesse finden und
dem Zwecke dienen möge, die von mir angestrebt
sind.
K a f f r a r i a in Südafrika, März 1904.
T. v. Held.
Sikulume.
Ein Negermärchen der Kaffern in der Kapkolonie.1
In einem Kaffernkraal2 lebte vor Zeiten ein alter
Mann, der war sehr arm. Wenige Stück Vieh nur
nannte er sein eigen, und Töchter, deren Heirat ihm
Besitz zuführen konnte, hatte er nicht. Eines Tages
saß er im hellen, klaren Sonnenschein vor seiner
Hütte, rauchte Tabak und starrte ins Freie. Plötzlich
erregte das Gezwitscher einiger Vögel in einem nahen
Dornbusch seine Aufmerksamkeit. Er blickte auf und
sah sieben Vögel von ungewöhnlicher Schönheit vor
sich; auch ihr Gesang unterschied sich von allem, was
er Ähnliches bisher gehört hatte.
Da ging der alte Mann zu dem Häuptling seines
Stammes und sagte ihm, was er gesehen hatte.
Dieser hörte schweigend zu; dann sprach er: »Wieviele
Vögel, sagtest du, waren es?«
Der alte Kaffer antwortete: »Sieben«.
»Du hast recht getan, mir davon zu sagen«, fuhr
der Häuptling fort. »Zum Lohne dafür sollst du meine
sieben fettesten Kühe haben. Ich habe sieben Söhne
im Kriege verloren. Die sieben Vögel sollen sie mir
ersetzen; denn wer sagt mir, daß sie nicht meine getöteten
Söhne sind? Die kommende Nacht darfst du
nicht schlafen, sondern mußt wachen und Sorge tragen,
daß die Vögel nicht fortfliegen. Morgen früh
werde ich sieben Knaben erwählen, die sollen die
Vögel fangen.«
Der alte Mann tat, wie sein Häuptling ihm geboten
hatte.
Am folgenden Morgen sammelte dieser seinen
Stamm um sich und erzählte von den Vögeln. Hierauf
wählte er sechs der mutigsten Knaben, gesellte ihnen
seinen Sohn bei, der stumm war, und hieß sie gehen,
um die Tiere zu fangen. Bei seinem Zorn verbot er
ihnen, ohne dieselben vor seine Augen zu treten.
Dann gab er ihnen Waffen und befahl ihnen, jedermann
zu töten, der sich ihnen etwa wiedersetzen wollte.
Mehrere Tage hintereinander verfolgten die Knaben
nun die Vögel, ohne sie fangen zu können. Endlich
aber fielen sie erschöpft zur Erde und ließen sich
willig aufheben. An der Stelle, wo die Knaben ihre
Aufgabe gelöst hatten, blieben sie über Nacht.
Am nächsten Morgen machten sie sich auf den
Heimweg. Sie kamen zu einer Hütte, in der ein lustiges
Feuer brannte; aber es war niemand darin. Da gin-
gen sie hinein und legten sich schlafen.
In der Nacht aber wachte der eine der Knaben auf
und hörte eine Stimme sagen:
»Hier ist ja schönes Fleisch! Zuerst werde ich diesen,
dann jenen, dann den dort nehmen; zu allerletzt
soll der mit den kleinen Füßen dran kommen.«
Der »mit den kleinen Füßen« aber war der Sohn
des Häuptlings. Sein Name war Sikulume. Bis zu
dem Tage, an dem er den Vogel gefangen hatte, war
er stumm gewesen, nun war seine Zunge durch ein
Wunder gelöst.
Der Knabe, welcher die unheimliche Stimme gehört
hatte, lag mehrere Minuten ganz still. Dann sah
er beim schwachen Strahl des Mondes, daß der Sprecher,
ein breitschultriger, großer Mann, zur Hütte hinausging,
wahrscheinlich, um seine Freunde zum
Mahle zu laden. Sofort weckte der Knabe seine Kameraden
und teilte ihnen mit, was er gehört hatte. Sie
verlachten ihn aber und meinten:
»Du hast geträumt. Es ist niemand in der Hütte gewesen.
«
Er antwortete: »Geträumt habe ich nicht; ich rede
die Wahrheit.«
Sie verabredeten nun, daß einer von ihnen wachen
solle, und sobald dieser ein verdächtiges Geräusch
höre, die anderen wecken müsse.
Nach einer kleinen Weile waren sie bis auf einen
wieder in festen Schlaf gefallen. Es währte gar nicht
lange, so ließen sich Schritte vernehmen und gleich
darauf dieselben Worte wie vorhin.
»Sie werden alle gleich hier sein,« schloß der Kannibale
seine Rede und rieb sich vergnügt die Hände,
indem er wieder zur Tür der Hütte hinaustrat.
Der zum Tode erschrockene Knabe rief seine Gefährten,
und in wenigen Sekunden befanden sie alle
sich auf der Flucht.
Als der Kannibale aber mit seinen Freunden die
Hütte betrat, die jetzt leer war, fielen die Betrogenen
über den Betrüger her – denn sie glaubten seinen Beteuerungen
nicht – und verspeisten ihn.
Sikulume war geflohen, ohne in der Hast an seinen
Vogel zu denken. Als er dies bemerkte, beschloß er
sofort umzukehren; denn er fürchtete den Zorn seines
Vaters mehr als die Blutgier der Kannibalen.
Seine Gefährten suchten umsonst, ihn von seinem
Vorhaben zurückzuhalten.
»Seht her,« rief Sikulume und bohrte seinen Assegai3
in die Erde, »wenn dieser fest und still steht,
dann sollt ihr wissen, daß ich in Sicherheit bin; bewegt
er sich hin und her, so wißt, daß ich fliehe, fällt
er aber hin, so sei es euch das sichere Zeichen meines
Todes.«
Damit ging er von ihnen und wandte sich der Hütte
der Menschenfresser zu.
Auf dem Wege dorthin traf er ein altes Weib; das
saß auf einem großen Steine und rief ihm zu:
»Wohin gehst du?«
Er sagte es ihr.
Da nahm die Frau aus einem Korbe etwas Fett und
gab es dem Sohne des Häuptlings.
»Nimm dies,« sprach sie. »Wollen die Kannibalen
dir etwas anhaben, so wirf ein wenig davon auf einen
Stein.«
Dann war die Alte verschwunden, Sikulume ging
weiter. Als er zu der Hütte kam, fand er sie leer; nur
sein Vogel saß mit hängenden Flügeln am Eingange.
Schnell nahm er ihn auf. In demselben Augenblick
aber hatten die Kannibalen von weitem den Knaben
bemerkt und kamen mit lautem Geschrei auf ihn zugerannt.
Sikulume floh, so schnell seine Füße ihn tragen
wollten; aber seine Verfolger verstanden das Laufen
gut, und in wenigen Minuten hatten sie ihn fast eingeholt.
Da warf Sikulume etwas von dem Fett, welches die
Alte ihm gegeben hatte, auf einen Stein. Kaum sahen
dies die anderen, als sie sich in wilder Gier auf den
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