»Alles wird gut …«, die Augen der Alten suchten liebevoll Julianes Blick und für einen Moment spürten beide die tiefe Wahrheit in diesen Worten. Juliane ließ den schlaffen Körper sanft zu Boden gleiten.
Kurz darauf bekam sie einen Stoß in die Seite, als Bettina sich neben ihre Mutter kniete und verzweifelt deren Namen rief. Juliane erlebte die folgenden Szenen wie durch Watte. Bettinas Mann rief den Notarzt, der auf dem Weg ins Krankenhaus nur noch den Tod der alten Frau durch Herzinfarkt feststellen konnte.
Die darauffolgenden Tage hätte Juliane später nicht beschreiben können. Der Tod ihrer alten Lehrmeisterin war furchtbar für sie. Juliane stellte sich vor, dass es genau dieses Gefühl sein musste, das man empfand, wenn man seine eigene Mutter verlor. Sie hatte nie gewusst, wer ihre wirkliche Mutter gewesen war. Die Unterlagen der Heimleitung, die Juliane nach ihrem Ausscheiden entgegen genommen hatte, waren sehr dürftig gewesen. Dort stand, dass sie im Alter von nur drei Monaten in einer Babyklappe gefunden worden war. In eine Decke gewickelt hatte Juliane in dem engen Behältnis gelegen und geschrien. Sie hatte sich oft gefragt, wie jemand dazu in der Lage war, ein hilfsbedürftiges Baby in einen Kasten zu legen und wegzugehen. Die Gefühle waren immer wieder zwischen Unverständnis und Hass hin und her gependelt. In dem Moment, als ihre herzensgute Lehrmeisterin gestorben war, hatte sie sich nichts mehr gewünscht, als die leibliche Tochter dieser Frau zu sein.
In den nachfolgenden Tagen verrichtete Juliane die täglichen Arbeiten wie in Trance und brach immer wieder in Tränen aus. Eine Woche darauf bekam sie einen Brief von einem Notar. Mit zitternden Händen öffnete sie den Umschlag und las die Zeilen, die immer mehr vor ihren Augen verschwammen, je weiter sie im Text vorankam. In Julianes Gedächtnis blieben nur Bruchstücke des Schreibens haften, dessen Konsequenz ihr Leben von Grund auf ändern sollte.
»Haus verkauft … von Ihnen genutzte Zimmer, innerhalb von 30 Tagen zu räumen. … Aufforderung nicht Folge leisten … gerichtliche Schritte …«
In dem Brief teilte der Notar Juliane mit, dass die Kinder ihrer früheren Chefin das Haus, in dem sich der Laden befand, verkauft hätten. Sie selbst hätte nun einen Monat Zeit, um sich eine neue Bleibe zu suchen. Sollte sie der Aufforderung nicht Folge leisten, würde eine Räumungsklage auf sie zukommen.
Julianes Beine versagten ihren Dienst und sie sackte kraftlos in einer Ecke des Ladens zusammen. Wimmernd versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen, doch diese Nachricht hatte die junge Frau erschüttert. Was sollte nun werden? Wohin sollte sie gehen? Juliane hatte sich bereits ihre Zukunft in dem kleinen Laden ausgemalt und Pläne geschmiedet.
Sie hatte sich überlegt, Schnittmuster zu entwerfen und ihre eigene Kollektion anzufertigen, wollte mit Perlen, Pailletten und ausgefalleneren Accessoires, wie hauchdünnen Metallstreifen, experimentieren. Ihre Phantasie hatte gerade erst begonnen, aufzublühen. Diese Träume waren nun auf einen Schlag zerplatzt. Juliane schluchzte vor sich hin und wusste weder ein noch aus.
Als die Glocke an der Eingangstür des Ladens einen Kunden ankündigte, sprang sie plötzlich wutentbrannt auf und rannte in den Verkaufsraum. Mit kurzen Worten der Entschuldigung drängte sie die sich umsehende Kundin zurück zur Tür und hinaus aus dem Laden. Verärgert schüttelte die Frau auf dem Gehsteig den Kopf, drehte sich um und stampfte entrüstet die Straße hinunter. Eigentlich war es nicht Julianes Art, auf diese Art und Weise mit Kunden umzugehen aber in diesem Moment war ihr völlig egal, was die Frau dachte. Sie schloss rasch den Laden ab und zog die schweren Vorhänge vor die Fenster der Auslage. Kurz darauf rannte sie hinauf in das bescheidene Zimmer und ließ sich schluchzend auf ihr Bett fallen.
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