Die Kinder waren auch herbeigeeilt, um den Großeltern guten Tag zu sagen. Oma wurde von den beiden Mädchen sofort mit Beschlag belegt und in das Mädchenzimmer geschleppt. Sie sollte alle Neuigkeiten sofort erfahren. Nur die Sache mit Rampelpampel, so war man übereingekommen, durfte nicht ausgeplaudert werden. Olivier hatte sich zu Opa und seinen Eltern ins Wohnzimmer gesetzt. Vater öffnete eine Flasche Sekt zum Aperitif. Man trank nur sehr wenig Alkohol in der Familie. Sonntags genoss man aber einen Sekt und ein Gläschen Wein.
Das Essen zog sich heute sehr lange hin. Wenigstens kam es den Kindern so vor. Rampelpampel war sicher schon ungeduldig. Als Mutter den Kaffee brachte, war dies das Signal für Annick, Vater zu fragen, ob sie jetzt spielen gehen dürften. Vater hatte sein Einverständnis gegeben und die Kinder waren sofort losgerannt.
„Wir spielen auf dem Dachboden und räumen auch alles wieder auf, was Benji heute Morgen angerichtet hat“, vernahm Vater gerade noch bevor sich die Türe zum Speicher Schloss.
„Rampi, Rampi“, wo bist du, rief Isabelle mit gedämpfter Stimme.
„Hier, wo sollte ich denn sonst sein.“ Rampelpampel saß auf dem Stuhl auf dem er auch gestern gesessen hatte. Genau wie gestern hielt er auch heute wieder einen Apfel in der Hand.
„Ihr seid mir gute Freunde, wolltet ihr mich denn umbringen lassen von diesem Monster.“ Rampi machte keinen sehr glücklichen Eindruck.
„Wir wollten doch nur, dass Benji sich an dich gewöhnt. Woher konnten wir denn wissen, dass er dich durch den ganzen Speicher jagen würde.“ Olivier versuchte Rampi mit diesen Worten etwas zu besänftigen.
„Ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich mitgemacht habe“, fuhr Rampi fort. „ Er jagte mich über Stock und Stein, rauf und runter. Ich konnte mich unsichtbar machen, aber er roch mich ja immer noch, als euer Vater die Türe öffnete war ich schon fast am Ende mit meiner Kraft.“
„Kommt nicht mehr vor, ganz bestimmt nicht“, sagte Annick, „bitte verzeih uns diese Dummheit noch einmal.“
„Also gut, zur Sache. Wir müssen morgen versuchen festzustellen, wer in den nächsten Tagen oder Wochen nach Luxemburg kommt. Es müsste sich aber um eine bedeutende Persönlichkeit handeln. Wer hat eine Idee wie wir die Info am schnellsten erhalten?“ Rampi lehnte sich in seinem Stuhl zurück und knabberte erneut an seinem Apfel.
„Wir könnten doch einfach beim Luxemburger Wort anrufen und danach fragen. Eine Zeitung weiß doch sicher über alles Bescheid. Die Reporter sind doch immer mit dabei, wenn so jemand hier eintrifft.“ Olivier war sich sicher, dass es so gehen könnte.
„Ich übernehme das“, fügte er noch hinzu.
„Und was können wir dann machen“, fragte Isabelle, die bereits den Verdacht hegte, man könnte sie vergessen.
„Wir treffen uns morgen wieder hier, sagen wir um 10 Uhr. Bis dahin müsste Olivier es geschafft haben, die Information einzuholen. Danach werden wir das weitere Vorgehen besprechen.“ Rampelpampel war über die letzte Bemerkung von Isabelle einfach hinweggegangen. Als er seinen Satz beendet hatte, war er auch schon verschwunden.
Die Kinder gingen nach unten. Sie taten so, als ob sie die ganze Zeit über gespielt hätten und jetzt richtig müde wären.
Sie betraten das Wohnzimmer und sahen Opa im Sessel beim Kamin sitzen, den Kopf nach vorne geneigt, die Hände im Schoß, die Augen geschlossen und das jedermann bekannte Geräusch des Schnarchens von sich gebend. Nach dem Essen war Opa immer sehr müde. Er machte dann ein kleines Nickerchen. Manchmal dauerte es aber auch länger. Oma und Mama hatten sich beim Fenster auf die Couch gesetzt und sprachen über das Kochen. Vater lag auf dem Sofa neben dem Kamin und las eine Computer-Zeitung. Das war sein spezielles Hobby. Als die Kinder eintraten, blickte er über die Zeitschrift hinweg und sah sie an.
„Schon müde“, fragte er, „möchtet ihr noch etwas draußen spielen, das Wetter hat sich gebessert und die Sonne strahlt richtig am Himmel.“
„Oh ja“, erwiderte Isabelle sofort und drehte sich schon zum Gehen um.
„Zieht euch aber dennoch eine Jacke an“, rief Mama hinter den dreien her. Ganz schwach konnte sie irgendeine Antwort vernehmen.
Die Straße war bevölkert. Nach dem Regen der letzten Tage zog es jetzt alle Kinder nach draußen. Myriam, Annicks und Isabelles beste Freundin kam sofort auf die beiden zugelaufen, während Olivier sich mit Martin unterhielt. Martin, der zwei Häuser unterhalb der Kinder wohnte, war etwas älter als Olivier. Er besuchte die Europaschule in der Stadt. Seine Mutter war bei der Europäischen Kommission beschäftigt und sein Vater bei einer deutschen Bank. Seine Eltern kamen aus Deutschland. Myriam wohnte schräg gegenüber und hieß mit Nachnamen Kremer.
„Hallo“, rief Myriam den beiden Mädchen zu. „Was gibt es Neues?“
„Wir haben einen Hausgeist“, entfuhr es Babbel. Annick sah sie wütend an. Die drei hatten doch abgemacht, keinem etwas davon zu sagen.
„Einen Hausgeist? Was ist das denn? Ihr wollt mich bestimmt nur auf den Arm nehmen, oder?“
„Babbel, was erzählst du nur für einen Blödsinn! Du solltest doch langsam wissen, dass es keine Geister gibt.“ Annick versuchte die Situation zu retten. Aber Myriam ließ nicht locker.
„Sagt mal, ich bin doch eure Freundin, also was ist los? Spukt es bei euch im Haus? Los, los redet doch endlich.“ Myriam wurde ungeduldig.
„Also, das ist so“, begann Annick, jetzt mussten sie wohl oder übel Myriam alles erzählen. Schließlich war sie ja wirklich ihre Freundin und Freundinnen durfte man einweihen.
Als Annick mit der Schilderung des Erlebten der letzten zwei Tage fertig war, wusste Myriam gar nicht, was sie dazu sagen sollte. Die Geschichte hatte auch sie fasziniert.
„Ihr müsst mich unbedingt Rampelpampel vorstellen. Ich habe noch nie einen Hausgeist gesehen. Meint ihr, dass er sich auch mir zeigen würde? Vielleicht könnte ich euch auch helfen bei der Suche nach dem Attentäter?“ Myriam sah Annick und Isabelle fragend an und wartete auf eine Antwort.
„Rampi, ist sehr schüchtern, wir sollten ihn zuerst fragen, ob er nichts dagegen hätte, wenn wir dich mitbringen würden“, erklärte Babbel mit nachdenklicher Miene.
„Stimmt“, ergänzte Annick, „er ist in der Tat sehr zurückhaltend.“
Nach dem Abendessen hatten sich die drei Geschwister in Oliviers Zimmer begeben. Annick und Isabelle wollten ihrem Bruder vorsichtig beibringen, dass Myriam alles über Rampi wusste.
„Ihr seid die reinsten Schwatzbasen, nichts könnt ihr für euch behalten. So eine Scheiße.“
„Hör mal Olivier“, meldete sich Isabelle, „du weißt sicher, dass man solche Ausdrücke nicht in den Mund nimmt. Wenn Papa dich gehört hätte, dann wäre es für dich sicherlich nicht so lustig geworden.“
Sichtlich befriedigt, den großen Bruder zur Ordnung gerufen zu haben, lehnte Isabelle sich zurück und wartete auf Oliviers Antwort. Dieser verdrehte nur die Augen und ließ beinahe unvernehmlich ein hmmm hören.
Olivier hatte nichts gegen Myriam. Aber schließlich sollte die Angelegenheit ja vertraulich behandelt werden. Auf Mädchen konnte man sich halt einfach nicht verlassen. Wenn du etwas öffentlich machen willst, dann musst du nur zu einem Mädchen sagen, es sei ein Geheimnis, und schon machte es die Runde. Diese Weisheit stammte zwar nicht von ihm, aber er hatte es schon oft gehört. Der Beweis dafür war ihm ja gerade geboten worden.
„Was machen wir jetzt“, fragte er Annick, „wenn Myriam nun auch mit dabei sein möchte?“
„Dann darf sie eben, sie ist ja auch unsere Freundin, oder etwa nicht?“
„Ja, stimmt schon, aber hoffentlich erzählt sie es nicht auch noch weiter.“
Damit war für Olivier die Sache abgeschlossen und er wollte jetzt zum weiteren Vorgehen Überlegungen anstellen. Bis 10 Uhr morgen früh musste er die Informationen zu den möglichen Besuchern einholen.
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