„Was war das?“ Mutter hatte sich erneut zum Tisch gedreht, in der Hand hielt sie immer noch die Milch, die sie aus dem Kühlschrank genommen hatte.
„Ich höre gar nichts“, beeilte sich Annick zu sagen, um sofort mit einem anderen Thema zu beginnen.
„Seid ihr schon fertig für die Messe?“ Mutter reagierte aber nicht auf das Ablenkungsverfahren.
„Ich höre es ganz deutlich, auf dem Dachboden ist jemand.“
„Jetzt habe ich auch ein Geräusch gehört“, sagte Vater und stand sofort auf, um nachzusehen.
„Das sind vielleicht nur Mäuse, oder so“, startete Annick nochmals einen Versuch. Aber Vater war schon an der Treppe und stieg langsam, immer auf die Geräusche achtend, nach oben. Inzwischen war aus dem anfänglich leisen Geräusch ein Rumoren, Kratzen, Stühle verschieben und ein klar und deutlich zu vernehmendes Bellen entstanden. Herr Molitor war sofort nach oben gegangen und wollte langsam die Tür öffnen, das heißt, er versuchte es, aber irgendetwas blockierte sie. Er stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Das waren immerhin 86 Kilo, aber die Tür klemmte.
„Zur Seite“, rief Vater, ging ein paar Schritte auf dem Absatz vor der Dachbodentür zurück, holte Schwung und warf sich mit seinem Körper gegen die blockierte Tür. Die Tür flog auf und Vater der Länge nach auf den Boden. Benji sprang laut bellend über ihn hinweg. Ein altes Leintuch hatte sich in seinem Halsband verfangen und dieses schleppte er hinter sich her. Man hätte meinen können, ein wahrhaftiger Geist würde sein Unwesen auf dem Speicher treiben.
„Was zum Teufel machst du auf dem Dachboden“, rief Vater verärgert. Er hatte sich bei dem Sturz seine Stirn leicht aufgeschlagen, sein frisches Hemd total verschmutzt, ein Loch in seine Hose gerissen und sein Ansehen stark beschädigt, wie er sich sofort ausmalte, als er so da lag. Alle standen in der Türöffnung und lachten was das Zeug hielt. Nicht, dass die Familie schadenfroh gewesen wäre, nein das Bild, das sich ihnen bot, war wirklich zum Lachen.
„Komm her“, rief Vater, „wer hat dich nur auf den Speicher gelassen?“
Benji reagierte aber überhaupt nicht. Er jagte von einer Seite des Raumes zur anderen, so als würde er einen Hasen jagen, der ständig Haken schlägt. Dabei verfing sich das Leintuch permanent, mal an einem Stuhl, mal an einer Leiter oder an den alten Spielsachen der Kinder, die in einer Ecke lagen. Alles wurde umgerissen. Benji aber wollte einfach nicht stehen bleiben. Schließlich gelang es Vater und Annick ihn zu fassen. Isabelle und Olivier hatten sich Benji in den Weg gestellt. Als Vater ihn auf dem Arm trug, hing seine Zunge fast bis auf den Boden und sein Herz schlug wie verrückt. Dennoch sagte Mutter, dass sein Gesicht aussehen würde, als ob er lachte.
„Meinst du, er lacht mich aus? So wie ich aussehe wäre es nicht verwunderlich.“ Vater war immer noch verärgert.
„Wir müssen uns jetzt beeilen“, meinte Mutter. “Du musst dir frische Kleider anziehen. Nach der Messe können wir in Ruhe darüber reden, wie das passieren konnte.“
Annick sah ihre Geschwister an.
„Was sollen wir nur sagen, Babbel?“
„Weiß auch nicht“, antwortete Isabelle und auch Olivier zuckte nur mit den Schultern.
„Aber ihr ward doch auch der Meinung, dass die Idee gut wäre, und ich habe nur das gemacht, was wir gestern besprochen hatten.“
„Klar, Annick, wir sagen einfach, dass wir alle Schuld sind“, erklärte Olivier und ging langsam die Treppe hinunter.
Die Messe hatte nicht sehr lange gedauert. Auf dem Weg nach Hause begann Vater bereits mit seinem Verhör. Er war zwar immer noch sauer, aber sein Ärger hatte sich bereits deutlich gelegt.
„Wer hat Benji auf dem Dachboden eingesperrt? Raus mit der Sprache.“
„Also, das war so Papi“, begann Isabelle ihre Erklärung. Gestern Abend haben Olivier, Annick und ich uns überlegt, ob wir Benji nicht zum Mäuse fangen ausbilden könnten.“
„Stimmt genau“, platzte es aus Olivier raus, „wir haben am Nachmittag eine so lange Maus gesehen“, dabei breitete er die Arme weit aus, um das Gesagte noch zu untermauern.
„Wenn das stimmen sollte, dann habt ihr keine Maus, sondern eher eine zu groß geratene Katze gesehen. Soll ich nachsehen wenn wir zu Hause sind?“
„Tja, vielleicht war sie auch etwas kleiner, auf jeden Fall war es ein Monstrum von einer Maus, also Benji sollte sie jagen“, „deswegen“, setzte Annick die Erklärung fort, „habe ich Benji heute Morgen auf den Speicher gebracht. Als er sofort mit dem Schnüffeln und Suchen begann dachte ich, er würde die Maus aufspüren.“
„Was seid ihr doch für eine Rasselbande“, die Stimme von Vater klang schon wieder angenehmer, als er die letzte Bemerkung machte.
„Ich will aber auf gar keinen Fall haben, dass ihr nochmals so eine Dummheit macht. Benji hätte sich ja auch verletzen können.“ Daran hatten die Kinder zwar nicht gedacht, aber ausgeschlossen wäre es natürlich nicht gewesen. Sie versprachen, nie wieder so etwas zu tun.
Durch diese Notlüge war das Problem mit Vater jetzt gelöst, aber wie konnte man Benji an Rampelpampel gewöhnen.
„Es bleibt nichts anderes übrig, als Benji immer im Auge zu behalten wenn wir mit unserem Freund, dem Hausgeist, unterwegs sind“, hatte Olivier erklärt, als die drei nach der Messe im Zimmer von Annick zusammen saßen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Nach dem Mittagessen wollten die drei auf den Dachboden zu ihrem Detektiv gehen, um das Vorgehen am Montag zu besprechen. Sie waren so aufgeregt, dass sie an nichts anderes mehr denken konnten. Wie immer, wenn man etwas gerne tun möchte, dann vergeht die Zeit einfach nicht. Endlich zeigte die Uhr Mittag an und ganz pünktlich hörten die Kinder den Wagen ihres Großvaters.
Sonntags kamen Opa und Oma zum Essen. Das hatte sich im Laufe der Jahre so ergeben. Die Kinder mochten ihre Großeltern sehr. Aber am glücklichsten war immer Benji wenn er die beiden alten Leute sah. Er sprang vor Freude in die Luft, bellte und rannte hin und her, um Mutter dazu zu bringen die Haustüre zu öffnen. Sobald die Türe aufging, rannte er sofort los. Seine Begrüßung war wie immer überschwänglich.
Oma kam als erste die wenigen Treppen zum Haus herauf. Dicht hinter ihr Benji, dessen Schnauze ganz dicht an der Tasche war, die sie in der Hand trug. Der kleine Hund wusste, dass er jedes Mal eine kleine Belohnung oder besser einen kleinen Willkommensgruß bekam, in Form eines Hundekuchens. Die Hundekuchen von Opa waren besser als die, die er sonst bekam, obwohl es die gleiche Marke war. Aber aus der Hand von Opa schmeckten sie einfach besser. Opa, der immer etwas langsam war, weil er sich stets den Schal um den Hals wickelte sobald er aus dem Wagen stieg, das Sakko anzog und zum Schluss noch den Mantel überzog, bog um die Ecke und kam langsam auf die Haustüre zu. Benji lief erneut vor das Haus, um Opa dazu zu bewegen, doch etwas schneller zu gehen. Er war es, wie gesagt, der ihm die Hundekuchen gab, die Oma in der Tasche hatte. Gemütlich kam Opa näher, er griff in die Manteltasche und zog ein Paket Zigaretten heraus. Bevor er die Haustüre noch erreicht hatte brannte die Zigarette bereits. Er atmete tief durch. So als wollte er sagen „oh, wie tut das gut, endlich wieder eine Zigarette zu rauchen.“ Immerhin hatte er in den letzten 25 Minuten keine mehr genossen. Das Rauchen war Opas großes Laster. Er konnte einfach nicht ohne Zigarette sein. Vater, der ein eingefleischter Nichtraucher war, bekam immer rote Augen wenn Opa im Wohnzimmer den Rauch hinaus blies. Aber er wollte Opa natürlich nicht verbieten, bei ihnen zu rauchen.
„Du braver Hund“, rief Opa, „du bist der allerbeste, komm mein kleiner Freund, du bekommst auch deinen Hundekuchen, na klar bekommst du ihn.“ Opa griff nach der Tasche von Oma und suchte nach der Tüte. Benji's Zunge hing weit heraus und seine Augen fixierten Opas Hand. Wo bleibt denn mein Kuchen, schien er zu sagen. Die Ungeduld konnte man an seinen Augen ablesen.
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