Dann begnügte sich Tobias nicht mehr damit, mich seltsam anzusehen. Er fing an, Bemerkungen zu machen, die mich zum Teil sehr verletzten.
»Warum trägst du eigentlich einen BH?«, fragte er unvermittelt, »ich meine, viel zu halten gibt es doch da nicht.«
Ich war zu geschockt, um ihm darauf eine Antwort geben zu können. Glaubte ich doch bisher, er möge keine üppige Oberweite. Ein anderes Mal ging es um meinen Kleidungsstil, und ganz nebenbei kam dabei auch mein Gesicht ins Gespräch.
»Du könntest dich ruhig etwas femininer kleiden«, sagte er vorwurfsvoll, »mit deiner großen Nase und der flachen Brust wirkst du schon sehr maskulin. Nicht dass man auf die Idee kommt, ich sei mit einem Mann zusammen.«
Ich weinte nächtelang über seine schonungslose Aussage. Hatte Lara doch Recht? Hatte Tobias mich wegen meines unauffälligen Äußeren geheiratet und bevorzugte in Wahrheit einen ganz anderen Frauentyp? Plötzlich meinte ich, seine Blicke immer öfter zu vollbusigen Blondinen hin verfolgen zu können. Warum war mir das früher nicht aufgefallen? Oder hatte sich sein Frauengeschmack erst neuerdings geändert?
Ich war fest entschlossen, um meine Ehe zu kämpfen, denn ich liebte ihn noch immer und war für jede kleine Geste oder zärtliche Berührung dankbar.
Als Tobias eine längere Geschäftsreise ins Ausland antrat, fasste ich den folgenschweren Entschluss, mein Aussehen gründlich zu verändern. Dafür wollte ich auch Schmerzen und Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen. Ich vereinbarte ein Gespräch bei einem Schönheitschirurgen erkundigte mich über eine Nasenkorrektur und eine Brustvergrößerung. Die Warnungen über mögliche Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und Narbenbildung schlug ich in den Wind. Wenn man die Presse und gewisse Sendungen im Privatfernsehen verfolgte, nahmen unglaublich viele Frauen die Dienste der plastischen Chirurgie in Anspruch. Also warum nicht auch ich?
Als Tobias von seiner Dienstreise zurückkam, fand er einen Brief vor, in dem ich meinen Entschluss mitteilte, mich einige Wochen bei meinen Eltern im Schwarzwald zu erholen. Ich bat ihn um Verständnis und versprach, öfter mit ihm zu telefonieren. Als Bonus kündigte ich ihm eine handfeste Überraschung an.
Nach sechs Wochen war es dann so weit. Ich kehrte mit neuem Stupsnäschen, überwältigendem Dekolleté, blond aufgehellten Haaren, die zusätzlich mit Extensions verlängert worden waren, einem aufregenden Make Up und schwindelerregenden High Heels in unser schmuckes Einfamilienhaus zurück. Ich werde nie sein erstauntes Gesicht vergessen, als er mich vor der Tür stehen sah. Er schien zu überlegen, was diese Traumfrau von ihm wollte, oder mich zu bitten, ihn zu kneifen, damit er sicher gehen konnte, nicht zu träumen. Die anschließende gemeinsame Nacht war überaus leidenschaftlich, wenn nicht überhaupt die leidenschaftlichste, die wir je miteinander verbracht hatten.
In der Folgezeit konnte er nicht genug davon bekommen, mich überall herumzuzeigen. Von nun an musste ich an Geschäftsessen teilnehmen, bei denen ich zuvor immer unerwünscht gewesen war. Da ahnte ich noch nichts, ich war zu glücklich.
Dann schien sich Tobias an den neuen Anblick gewöhnt zu haben und die kritischen Blicke begannen erneut.
»Die Nasenlöcher haben sie dir aber nicht verkleinert«, hörte ich ihn erstaunt sagen, »der Busen ist ja wirklich toll, aber wenn man genau hinsieht, fallen einem schon die Kanten im oberen Bereich auf«, hieß es ein andermal. Nun ja, ich hatte eben einen Ehemann, der nicht alles kritiklos hinnahm, und sehr genau hinsah, versuchte ich mich zu beruhigen.
Die kurz neu entflammte Leidenschaft ließ auch schnell wieder nach. Dafür schlug Tobias, der wortkarge, eher in seiner Ausdrucksweise ungeschliffene Mann, auf einmal ganz andere Töne an.
»Weißt du, Schatz, du hast doch den Lohmann kennen- gelernt und sicher bemerkt, wie er dich mit den Augen verschlungen hat. Er ist noch etwas zögerlich bei der Auftragserteilung. Und da es sich um ein Millionengeschäft handelt, könntest du doch etwas nett zu ihm sein, nicht? Das würdest du doch für mich tun, oder?«
Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke. »Das kannst du doch nicht im Ernst meinen«, sagte ich fassungslos, »ich soll mich für eines deiner Geschäfte prostituieren?«
»Mein Gott, sei doch nicht immer so melodramatisch«, blaffte er, »ich bitte dich darum, die Firma zu retten. Davon profitierst du doch auch. Oder willst du es drauf ankommen lassen, dass wir alles verlieren? Deinen gehobenen Lebensstil, die kostbare Garderobe und deinen Schmuck? Willst du unser Haus gegen eine Hinterhofwohnung eintauschen müssen?«
Dazwischen gab es ja wohl noch etwas anderes, dachte ich. Wer war denn hier melodramatisch? Dass es mir auf die materiellen Dinge nicht ankam, behielt ich für mich. Tobias hätte es mir ohnehin nicht geglaubt. Und auf das Haus konnte ich auch verzichten. Ich hätte mit ihm in einer Dachmansarde ohne jeglichen Komfort gelebt. Nur hätte er mir das erst recht nicht abgenommen. Ich weinte zwei Tage und Nächte und zog sogar in Betracht, ihn zu verlassen. Aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Schließlich liebte ich ihn doch über alles, immer noch.
Das arrangierte Schäferstündchen mit dem Geschäftspartner sollte das Schlimmste werden, was ich jemals erlebt hatte. Die gierigen Finger eines mir fremden Mannes zu spüren und seine Lust über mich ergehen zu lassen, war beinahe unerträglich. Da half auch Tobias’ spöttischer Ratschlag: »Mach die Augen zu und denke an mich!« nicht viel. Der Alkohol, der vorher in Strömen floss, ließ mich in einen gnädigen ohnmachtähnlichen Zustand hinübergleiten. Ein Umstand, der meinen unfreiwilligen Intimpartner später dazu veranlasste, mich als „Schlaftablette“ zu bezeichnen.
Zu Hause angekommen, fühlte ich mich schmutzig und ekelte mich vor mir selbst. Ich duschte eine Stunde und putzte mir dreimal die Zähne. Meine Haut war anschließend rot und wund vom vielen Schrubben. Und mein Zahnfleisch fing an zu bluten. Tobias fühlte, dass er zu weit gegangen war. Er stellte keine Fragen und versuchte nur, mich in die Arme zu nehmen, aber ich schüttelte ihn ab und wickelte meine Bettdecke wie einen Panzer um mich. Von dem Tag an schliefen wir in getrennten Zimmern.
Mein Opfer war dennoch umsonst. Das Geschäft kam nicht zustande. Tobias hatte seinen Geschäftspartner unterschätzt und musste sich noch sagen lassen, dass ein Unternehmer, dessen Frau sich wie eine Dirne feilböte, für ihn kein Umgang sei. Tobias schlug ihn in seiner Wut nieder, aber die so dringend benötigte Finanzspritze war somit verloren. Tobias musste die Firma liquidieren und wir das Haus aufgeben.
Wir leben jetzt seit zwei Monaten getrennt. Zwar nicht in einer Hinterhofwohnung, aber jeder für sich in einem kleinen Appartement. Tobias hat sich redlich bemüht, mich umzustimmen, nur konnte ich ihm nicht verzeihen. Wenn die Flamme der Liebe erloschen ist, kann sie selten neu entfacht werden. Ich habe die Scheidung eingereicht und das hätte ich schon viel früher tun sollen. Er tröstet sich inzwischen mit einer falschen Blondine, nur trifft mich das nicht mehr.
Ach ja, ich habe mir die Brustimplantate entfernen lassen, kurz bevor es zu einer Verkapselung gekommen wäre. Auch färbe ich nicht mehr meine Haare blond, trage nur einige hellere Strähnchen. Die Extensions habe ich auch entfernen lassen. Man sollte mit dem zufrieden sein, was man hat. Die Nasenkorrektur lässt sich nicht rückgängig machen. Macht nichts, mir gefällt die neue Form ganz gut. Es war die einzige Veränderung, die ich auch für mich gemacht habe.
Die Zeit mit Tobias kommt mir mitunter wie ein böser Traum vor. Habe ich mehr in ihm gesehen als vorhanden war? Das frage ich mich immer wieder. Doch, wir haben auch schöne Stunden verlebt. Die rosarote Brille der Liebe hat bei mir dafür gesorgt. Womöglich muss ich ihm noch dankbar sein, denn die Erfahrung mit ihm hat mich gelehrt, meine Grenzen kennenzulernen. Liebe darf nicht zur Selbstaufgabe führen, das ist mir heute klar. Und mein neues Selbstbewusstsein tut mir gut.
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