Wir richteten unsere gemeinsame Wohnung kuschelig ein und genossen die gemeinsamen Abende und Nächte ebenso wie das Aufwachen und das Frühstück, das nicht selten im Bett eingenommen wurde. Tanjas Befürchtungen waren umsonst gewesen. Ralf ließ mich nicht zu Hause auf ihn warten. Was er am Tag so trieb, wusste ich freilich nicht.
Einige Monate später setzte meine Regel aus. Mein Glück war unbeschreiblich, aber ich wollte erst ganz sicher gehen, bevor ich Ralf etwas sagte. Nachdem die in der Apotheke besorgten Schwangerschaftstests positiv ausgefallen waren, behielt ich mein Geheimnis immer noch für mich. Ich suchte einen Gynäkologen auf und ging stolz mit meinem Mutterpass und der ersten Ultraschallaufnahme nach Hause. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo Ralf es erfahren sollte. Und ich war sicher, er würde sich ebenso freuen wie ich, weil er ein absoluter Kindernarr war.
Da ich nicht wusste, wie viel Zeit der Besuch beim Arzt in Anspruch nehmen würde, hatte ich angekündigt, nicht vor dem frühen Abend zurückzukehren. Vielleicht auch, weil ich mir offen lassen wollte, ob ich vor Ralf meine Eltern von meiner künftigen Mutterschaft informieren wollte. Ich freute mich schon auf ihre Gesichter, wenn sie erfahren würden, bald Großeltern zu sein.
Dass ich dann doch gleich nach Hause ging, lag an meiner Erkenntnis, zuerst mit Ralf unser Glück teilen zu wollen, dachte ich zumindest.
Auf dem Korridor vernahm ich den Duft eines Parfüms, das mir fremd und gleichzeitig vertraut erschien. Dann hörte ich aus dem Schlafzimmer helles Frauenlachen und wähnte mich in einem Albtraum. Nach dem Öffnen der Schlafzimmertür sah ich eine unter der Bettdecke verschwindende Blondine und einen verdatterten Ralf.
»Ich kann das erklären …«, begann er, aber ich ließ ihm keine Chance.
»Völlig überflüssig, die Szenerie spricht für sich«, sagte ich und lief zurück in den Flur. Moment mal, den Mantel an der Garderobe kannte ich doch. Nein, das konnte nicht sein. Ich ging zurück ins Schlafzimmer und riss mit einem Ruck die Bettdecke weg. Und da lag sie, meine Schwester Tanja, am ganzen Leibe zitternd.
Ich weiß nicht, wie ich aus der Wohnung gekommen und wohin ich gelaufen bin. Irgendwann fand ich mich auf einer Parkbank wieder und weinte hemmungslos. Später nahm ich mir ein Hotelzimmer und überlegte, was als Nächstes zu tun sei.
Nach drei Tagen, zu einem Zeitpunkt, als Ralf nicht zu Hause war, bin ich aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und habe mir eine eigene, kleinere genommen. Als ich darüber reden konnte, bat ich meine Eltern, nichts von meiner Schwangerschaft zu erzählen, auch nicht Tanja. Was sie getan hatte, behielt ich für mich, war aber künftig weder für Ralf noch für Tanja zu sprechen. Ich weiß nicht, ob meine Eltern etwas geahnt haben, aber ich war ihnen äußerst dankbar, dass sie meinen Entschluss tolerierten und nicht mit Fragen in mich drangen. Ich arbeitete so lange ich konnte und als der Mutterschutz einsetzte, stand mir meine Mutter bei und unterstützte mich in jeder Weise. Dafür werde ich ihr immer dankbar sein.
In mancher durchwachten Nacht, wenn Julian mir keine Ruhe gönnte, überlegte ich immer wieder, ob ich mich richtig verhalten hatte. Meine Verletzung war so groß gewesen, dass ich buchstäblich Rot gesehen hatte. Schließlich war ich gleichzeitig von zwei Menschen hintergangen worden, die mir sehr, sehr viel bedeuteten.
Ralf wusste bis heute nichts von seiner Vaterschaft. Ich bin sogar so weit gegangen, auf dem Standesamt „Vater unbekannt“ eintragen zu lassen. Das war meine Rache, denn ich wusste, wie sehr er sich ein Kind mit mir gewünscht hatte.
Der kleine Julian ist jetzt ein Jahr alt und hat heute zum ersten Mal seinen Vater gesehen. Es ist das eingetreten, wovor ich mich die ganze Zeit gefürchtet hatte, Ralf mit dem Kind auf dem Arm zu begegnen. Aber alle Fantasie hätte sich die Szene nicht ausmalen können. Ohne Worte hatte Ralf sein eigen Fleisch und Blut sofort erkannt und ihm waren Tränen die Wangen heruntergerollt. In seinen Augen habe ich Liebe und die Bitte um Verzeihung gesehen. In diesem Moment habe ich erkannt, dass auch ich ihn immer noch liebe und ihm längst verziehen habe. Wahrscheinlich hatte ich sogar instinktiv gehofft, ihm eines Tages zufällig zu begegnen, weil ich nie die Kraft hatte, auf seine Briefe und Anrufe zu reagieren. So wie ich bestimmt auch nicht zufällig damals zuerst nach Hause gegangen war. Man sollt die Macht des Unterbewusstseins nicht unterschätzen.
Wir wollen endlich reden und neu aufeinander zugehen. Was daraus wird, wird die Zukunft zeigen. Aber ich habe eingesehen, dass Julian ein Recht auf seinen Vater hat, wie umgekehrt auch. Ob man den Namen des Vaters nachträglich noch hinzufügen kann, weiß ich nicht, aber ich hoffe es.
Mit Tanja habe ich mich ausgesprochen. Sie war nahe daran, an ihrem Vertrauensbruch zu verzweifeln. Ich wünsche ihr, dass ihr in ihrem Leben nicht ähnlich harte Schicksalsschläge widerfahren und dass sie aus ihren Fehlern gelernt hat. Sie ist trotz allem meine Schwester und wird eben immer das Baby für mich bleiben, ein bisschen dumm und irgendwie auch ein bisschen rührend hilflos und schutzbedürftig.
Damals, vor etwa sieben Jahren, machte mir Tobias einen Antrag, und der Himmel hing für mich voller Geigen, denn ich hatte ihn auf den ersten Blick geliebt. Er war keiner von den herkömmlichen Schönlingen, eher unscheinbar und etwas tapsig in seinen Bewegungen, aber ich glühte bei der Vorstellung, seine derben Hände würden meinen Körper berühren. Er war auch kein Romantiker oder ein gewandter Redner, deshalb fiel sein Antrag knapp aus.
»Lass uns heiraten, Birgit!«, hörte ich ihn sagen, und es klang mehr wie ein Befehl als eine Bitte.
In den Nächten unserer Flitterwochen, wenn ich noch stundenlang wachlag, während er befriedigt schlummerte – wenigstens er -, fragte ich mich, warum er gerade mich geheiratet hatte, wo er doch so viele hätte haben können. Ich war nicht vermögend und nicht sonderlich attraktiv. Ich gehörte zu den Frauen, die an der Seite ihres Mannes kaum auffielen. Eine sogenannte beste Freundin hatte einmal spöttisch bemerkt, dass womöglich genau dies der Grund dafür gewesen sei, warum er mich geheiratet hatte. Männer wollten schöne Frauen nur aus der Ferne bewundern oder allenfalls mit ihnen ein Abenteuer erleben, aber die eigene Frau musste schlicht und unauffällig sein, damit sie einem nicht von einem Anderen weggeschnappt wurde. Ich dachte lange über Laras Aussage nach und hoffte, dass diese Erkenntnis nicht der Weisheit letzter Schluss war.
Tobias wirkte auf andere Frauen sehr anziehend in seiner herb männlichen Art. Und er sonnte sich in den begehrlichen Blicken junger Frauen, die aus ihrer Flirtbereitschaft keinen Hehl machten. Vielleicht war er deshalb am leidenschaftlichsten, wenn ich ihm sagte, wie sehr ich ihn liebte und bewunderte. Erst sehr viel später wurde mir klar, dass sein mangelndes Selbstbewusstsein stets nach der Bewunderung einer Frau verlangte und eine Liebeserklärung im Bett auf ihn wie ein Aphrodisiakum wirkte.
Mit der Zeit wurde sein Verlangen nach körperlicher Liebe mit mir weniger. Ich sah das nicht so dramatisch, weil mir Sex weniger als ihm bedeutete. Seine kritischen Blicke morgens am Frühstückstisch oder abends, wenn er heimkam, machten mir dagegen mehr zu schaffen. Immer öfter ertappte ich mich dabei, wie ich vor dem Spiegel mein Gesicht, meine Frisur und meine Figur überprüfte. Nein, aus meiner Sicht gab es da nichts auszusetzen. Meine Haut war faltenfrei und makellos. Die dunkelblonden Haare waren nicht die dichtesten, aber ich trug sie stets ordentlich frisiert. Mein eher knabenhafter Körper war straff und wies an den kritischen Stellen keine Spuren von Cellulitis auf, aber irgendetwas musste es doch sein, was ihn zu seinen kritischen Blicken veranlasste. Verglich er mich heimlich mit anderen Frauen? Bereute er bereits seine Entscheidung, mit mir den Rest seines Lebens verbringen zu wollen?
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