„Nichts für ungut, aber ich glaube, mir genügt es für heute Abend.“ Ray leerte sein Glas und erhob sich.
„Wollen Sie nicht wissen, wie es ausgeht?“, fragte Tony erstaunt. „Das Finale ist immer das Beste am ganzen Stück.“
„Lass ihn doch, Tony. Ray interessiert sich nun einmal nicht für Hörspiele.“ Iras Worte klangen träge, gestimmt von Behaglichkeit und Alkohol. Sie blickte ihn unter schweren, dunklen Lidern an.
„Lassen Sie mich wenigstens Ihr Glas noch einmal auffüllen.“ Tony griff nach der Flasche, die auf dem niedrigen Tisch vor ihm stand und schenkte Ray reichlich ein.
„Ich werde damit gurgeln.“ Ray grinste. „Gute Nacht, allerseits.“
„Bis Morgen.“
„Schlafen Sie gut, Ray“, hauchte Ira und schloss wieder die Augen.
Er ließ die beiden mit dem Lärm des Radios allein.
Die Sonne setzte die Umrisse der Red Hills in Brand, ließ die braunrote Erde im grellen Licht fast schwarz und verkohlt erscheinen. Ein trockener Wind spielte unschlüssig im hohen Gras, als Ray auf der Veranda stand und rauchte. Der Packard war verschwunden, nur der verstaubte Pick-up stand auf dem Vorplatz.
„Guten Morgen, Ray.“ Er blickte über die Schulter hinüber zu Ira Reed, die in der Eingangstür lehnte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der einsamen Landschaft zu. Ein Raubvogel, nur ein winziger Punkt in der Ferne, zog seine geduldigen Kreise. Im Osten standen dünne Wolken am Himmel. „Guten Morgen, Ira.“
Sie zögerte. „Wollen Sie nicht zum Frühstück hereinkommen? Ich … Tony ist unterwegs, Cora schläft noch und ich esse nicht gerne allein.“
Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, sog den Rauch seiner Zigarette ein und stieß ihn langsam wieder aus. „In Ordnung.“ Ohne Eile folgte er ihr ins Esszimmer.
Ray nahm ihr gegenüber Platz. „Haben Sie gut geschlafen?“
Er nickte. „Ist es gut ausgegangen?“
Sie sah ihn verwirrt an, ihre Augen geweitet, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. „Was meinen Sie?“ Ihre schlanken Finger spielten unruhig mit einer Serviette.
„Das Hörspiel“, antwortete er und fixierte sie mit seinem Blick.
„Ach so, das meinen Sie.“ Eine leichte Röte stieg in ihre Wangen. „Ich glaube schon. Diese Sachen gehen doch immer gut aus. Ich bin vor dem Ende eingeschlafen.“ Ihre Augen huschten unruhig umher, sahen auf ihren Teller, dann zum Fenster hinaus und schließlich zu ihm.
Ray lächelte und sie erwiderte es scheu. „Fahren Sie heute raus, um Proben zu nehmen?“
„Ja, direkt nach dem Frühstück.“
„Nehmen Sie mich mit, Ray?“
Er rührte in seinem Kaffee, dann schaute er sie an. In Iras Blick funkelte es. „Wenn Sie möchten.“
„Gern. Ich habe heute ohnehin nichts zu tun. Penny wird uns eine Kleinigkeit zusammenpacken. Heute wird es schrecklich heiß.“ Sie aß ihr Frühstück mit sichtlichem Appetit, schaute gelegentlich zu ihm herüber.
Als Ray fertig war, erhob er sich und ging zur Tür. „Sagen wir, in einer halben Stunde vor dem Haus.“ Sie nickte zustimmend.
In seinem Zimmer kontrollierte er den Inhalt seines Koffers und ging, als er mit dem Ergebnis zufrieden war, wieder hinunter. Auf den ersten Stufen blieb er plötzlich stehen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, glitt über seinen Nacken. Er sah in den Flur zurück, aber er lag verwaist da, nichts rührte sich. Langsam ging er weiter.
Ira stand mit einem Picknickkorb in der einen und einem weißen Sonnenschirm in der anderen Hand vor dem Wagen. Ray vertäute den Koffer sorgfältig auf der Ladefläche, dann stiegen sie ein.
„Wissen Sie noch, wo es lang geht?“ Ira beobachtete ihn, wie er den Pick-up startete und langsam über die Zufahrt rollen ließ. „Denke schon.“ Bei seiner gemächlichen Fahrt wirbelte der Wagen nur wenig Staub auf.
Ray bog nach Osten ab und sie folgten dem Asphaltband durch die rotbraune Ebene. Die Straße war kaum befahren, gelegentlich kam ihnen ein einzelnes Fahrzeug entgegen und weit vor ihnen kroch ein Lastwagen dahin. Schließlich schwenkten sie in den unscheinbaren Feldweg ein und hielten an den Ausläufern der Red Hills.
Die Sonne war den blauen Himmel empor geklettert und schien mit sengenden Strahlen auf die zerrissenen Hügel nieder. Die Luft war heiß und trocken.
„Es ist jetzt schon unerträglich warm.“ Ira kletterte aus dem Wagen und spannte ihren zierlichen Sonnenschirm auf, ein Gebilde aus luftiger Spitze, den sie kokett rotieren ließ.
Ray nahm seinen Koffer an sich und stapfte in Richtung der Hügel.
„Warten Sie auf mich, Ray.“ Sie eilte ihm nach. „Warum haben Sie es so eilig?“
Ohne sie anzusehen, antwortete er: „Ich habe einiges zu tun.“
„Sie sind böse auf mich.“
Er blieb stehen, stellte den Koffer ab und zog seine Zigaretten hervor. „Warum sollte ich das sein?“ Der Tabak begann zu glühen und er sog begierig den Rauch ein. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, aber er beobachtete Ira weiterhin aus den Augenwinkeln.
Sie schürzte die Lippen und sagte: „Wegen gestern Abend.“
Seine Antwort kam nicht sofort. „Nein.“
„Bestimmt. Ich … es ist nicht so einfach, Ray.“
Er zuckte die Schultern, dann nahm er seinen Koffer und setzte seinen Weg fort.
„Warten Sie!“ Ihre Hand ergriff seinen Arm und hielt ihn zurück. „Bitte, Ray, seien Sie mir nicht böse.“
Mit kaltem Blick sah er sie an. „Ich habe zu arbeiten.“
Langsam ließ sie ihn los. „In Ordnung“, sagte sie schwach und folgte ihm die Anhöhe hinauf.
Schweigend blieben sie oben stehen und sahen sich das Land vor ihnen an. Die unebene Grasfläche, brüchige Hügel, braunes, lebloses Gras und rote, grobe Erde.
Sie sprach leise, mehr zu sich selbst als zu ihm: „Ich finde diesen Anblick trostlos.“ Der Wind trug die Einsamkeit über die rotbraune Ebene.
Ray entspannte sich etwas, seine Stimme klang weicher. „Warten Sie hier, Ira. Ich muss ein paar Proben nehmen, dabei können Sie mir nicht helfen. Warum holen Sie nicht den Picknickkorb, wir können danach sicherlich eine Pause vertragen.“
Ein Lächeln strich über ihr Gesicht. „Gern.“ Sie wandte sich ab und ging zurück zum Wagen. Er schaute ihr einen Augenblick nach, sah, wie der Wind in ihrem Haar und dem blauen Kleid spielte, dann zündete er sich eine neue Zigarette an und stieg den Hügel in entgegengesetzte Richtung hinab.
Unten angekommen, stellte er seinen Koffer ab und wanderte über die Grasfläche, die Hände in den Hosentaschen, den Blick aufmerksam gen Boden gerichtet. Gelegentlich blieb er stehen, ging in die Hocke und grub seine Finger in die Erde oder hob einen Stein auf, den er eingehend untersuchte. Dann setzte er seinen Weg fort, beschrieb dabei einen Kreis, der zu einer nach innen verlaufenden Spirale wurde. Immer wieder von kurzen Pausen unterbrochen, in denen er sich dem Boden zuwandte.
Schließlich kehrte er zu seinem Ausgangspunkt zurück. Er öffnete den Koffer, in dem Glasröhrchen und glänzende Werkzeuge lagen, allesamt sorgfältig darin verstaut. Die Sonne brach sich im Glas und blitzte auf dem polierten Metall. Ray entnahm einige Gegenstände, die er mit geübten Handgriffen zu einem langen, dünnen Bohrer zusammensetzte, dessen Kern hohl war. Darauf schloss er den Koffer wieder und erhob sich.
Ira saß auf dem Hügel, den Schirm gegen die sengende Sonne geöffnet, und winkte ihm zu. Er hob kurz die Hand, dann ergriff er den Koffer und begann erneut mit seinem Rundgang. Auch dieses Mal stoppte er an den Stellen, an denen er bereits beim ersten Mal Halt gemacht hatte, öffnete den Koffer und verstaute Gesteins- oder Erdproben in den Gläsern, deren Papieretiketten er in seiner kleinen, unruhigen Schrift kennzeichnete. Manchmal trieb er den Bohrer in die Erde und klopfte sorgfältig die Probe einer tieferen Erdschicht in eines der Reagenzgläser.
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