Die letzte Fahrt im dritten Blindschacht endete in einem großen, mit Backsteinen geklinkerten, Raum. Fast wäre er gestolpert. Nichts deutete darauf, dass er sich, wer weiß wie viele Meter, unter dem Erdboden befand. Um den großen runden Tisch saßen schon die anderen vermummten Gestalteten, die er auch erwartete. Zu einem Konvent gehörten einfach mehrere Leute. Der barocke Deckenleuchter und die vielen Wandleuchter erstrahlten den Raum in goldenem Licht.
Zwei Schwalbenschwänze huschten herum und nahmen Bestellungen auf. Irgendwo summte eine Klimaanlage. Er konnte genauso gut in einem exzentrischen Lokal sitzen. Die leise Musik fehlte.
Brock schritt steif zu seinem Platz, den er sich vorher eingeprägt hatte. Die Anwesenden schenkten ihm keine Beachtung, wie sie auch untereinander Distanz wahrten. Also saß er wenige Augenblicke später genauso teilnahmslos am Tisch und harrte dem, was kam.
Hexensabbat, schoss ihm durch den Kopf. Wahrscheinlich hieß der Führer beim Ku-Klux-Klan deshalb Hexer.
»Brüder.« Die groß gewachsene Gestalt, oder war es nur die Robe, betrat aus dem Nichts den Raum. Sein Kostüm unterschied sich in einem Ton zu Elfenbein von der Farbe der anderen Roben. Die Stimme des Omniscientis klang abgehackt und rau. Peter überlegte, ob es sich um die gleiche Person handelte, die ihn initialisierte. Wahrscheinlich nicht. Die Stimme klang nicht mehr bekannt. Hatte er sich geirrt? Trat der Führer dieser Organisation in verschiedenen Persönlichkeiten auf?
Sie erhoben sich.
»Welch ein schöner Tag …«, hob der Omniscientis an und unterbrach. »… hätte es sein können. Einer der Unseren hat das Schweigegelübde gebrochen.«
Wenn Brocks Augen nicht an der Gestalt des Führers gehangen hätte, wären ihm die beiden scharlachroten Roben früher aufgefallen. So standen sie, wie durch Zauberei hinter einem Sessel und legten dem Adepten die Hand auf die Schulter. Erst das Zusammenschrecken der Person ließ ihn dorthin schauen. Kräftige Arme hoben, die sich wehrende Gestalt und schleppten sie zu einem Tisch mit Stahlplatte und Ablaufrinnen, der aus dem Nichts auftauchte. Die Schergen befestigten Beine und Arme mit angebrachten Stahlbändern, und zogen ihm die Haube vom Kopf. Ein Mittdreißiger mit aufgerissenen Augen, aus denen die Angst schrie, artikulierte einen Schrei. Einer der roten Roben fixierte den Kopf mit einem Band, während der andere den Kiefer aufdrückte und eine Klammer einsetzte. Er schob ein Zangen ähnliches Gebilde in den röchelnden Mund und trat zurück. Der andere schob ein Plexiglasgebilde mit zwei runden Löchern, in denen Handschuhe befestigt waren, vor das Gesicht des gurgelnden Geschöpfs. Ein Mensch war es nicht mehr, denn Wahnsinn, der in seinem Blick zu lesen stand, vernebelte sein Hirn. Der Omniscientis trat vor, griff in die Löcher und fädelte seine Finger in die Handschuhe. Geradezu feierlich griff er die Zange und drückte zu. Der Blutschwall spritzte gleichzeitig mit dem Schmerzensschrei gegen die Scheibe. Er trat zurück und betrachtete die Tat. Auf eine Handbewegung hinfuhr die Klauen bewehrte Hand eines der Roten in Brust des Opfers und riss das Herz in einer Bewegung heraus.
Trotz seines Entsetzens bewunderte Brock die Präzision, mit der es geschah. Sechszehn Personen, einschließlich seiner, sahen dem bestialischen Mord bewegungslos zu.
Der Scherge ließ das noch pumpende Organ in eine Schale plumpsen und reichte sie den Händen, die aus der Plexiglasscheibe herausstachen.
»Seht. Das wird Euch geschehen«, er machte eine kurze Pause, »falls Ihr das Schweigegelübde brecht«. Er stellte das nunmehr leblose Herz achtlos auf den Toten und zog seine Hände aus den Handschuhen.
Dann nahm der Omniscientis seinen Platz ein, als habe es diesen Vorfall nicht gegeben. Er hob die Hand. Zu seiner rechten begann der Adept mit seinem Geschäftsbericht.
Peter Brock ordnete seine Gedanken, schaltete die äußeren Einflüsse aus und rief die Daten seiner Geschäfte in den Vordergrund. Er wusste, was er berichten musste.
*
achtzehn
Peter Brock hielt die Aachener Zeitung in der Hand, wonach, entsprechend eines Berichts, in der Teverener Heide eine Leiche gesucht wurde. Der Artikel stach sofort ins Auge und zeigte eine Kraterlandschaft, die wahrscheinlich der abgebildete Bagger hergestellt hatte:
Kriminalpolizei sucht weiter in der Teverener Heide.
Von: Georg Schmitz, letzte Aktualisierung: 24. Oktober 2013, 13:10 Uhr
Gangelt/Geilenkirchen. Die Suche nach einer Leiche in der Teverener Heide geht weiter. Über ein Jahr dauerten die Ermittlungen, die zu der bisher größten Suchaktion nach einer Leiche im Kreis Heinsberg führten. Mitte August pumpten rund 200 Kräfte verschiedener Ortsverbände des Technischen Hilfswerkes aus ganz Nordrhein-Westfalen einen 600 Millionen Liter fassenden See leer.
Seine Unruhe wuchs, weil er von einem Mord las, der vor siebzehn Jahren geschah und der mutmaßliche Tote in einer Tonne verbuddelt worden sei. Peter überlegte: Wie hieß dieser Typ damals noch? Ja. Bastian. Aber nach so langer Zeit? Wo lag die undichte Stelle?
Er suchte den Internetauftritt der Zeitung und las die Berichte, die schon seit Wochen regelmäßig erschienen und über den Fortgang der Arbeiten berichteten, bis zum 30. Oktober 2013, wonach die Suche eingestellt wurde.
Anstatt beruhigt zu sein, kreisten seine Gedanken fortwährend um die Zeitungsartikel. Er gehörte mittlerweile zu lange zur Organisation, um nicht misstrauisch zu werden. Irgendjemand wollte ihm ans Leder. Aber wer? Trotz seiner herausragenden Funktion und seines siebenstelligen Kontos blieb er eine Randfigur. Da gab es noch einige, er wusste nicht wie viele, die in der Hierarchie über ihm rangierten. Peter Brock war nicht so blauäugig, als dass er nicht wusste, wie schnell er ersetzt werden konnte. Im Grunde arbeitete er als Edelhandlanger, der, getreu seiner Konditionierung, jeden Auftrag erfüllte.
Seit der Oberstufe der Gesamtschule führte er Wochenberichte. Sie gehörten auch heute zu seinem beruflichen Alltag. Nach dem Mord an Bastian sammelte er zusätzlich alles, was nur im entferntesten mit der Burschenschaft in Verbindung stand. Doch sichtete er das Material nie unter dem Aspekt, dass er ein Bauernopfer werden könnte, aus welchem Grund auch immer.
Aus den Zeitungsartikeln ging hervor, dass die Polizei einem Hinweis nachging. Unerheblich für Peter, dass die niederländische Polizei ermittelte und die deutschen Behörden lediglich zur Unterstützung herangezogen wurden. Auch, wenn die Suche nach der Tonne zurzeit eingestellt wurde, blieb es nur noch eine Frage der Zeit, bis er im Fokus stand. Verwertbare Spuren hatte er sicherlich genug hinterlassen. Einer der Nachteile seines Jobs bestand im zwangsläufigen Kontakt zur Kriminalpolizei. Und heutzutage wurde gleich ein umfangreiches Genprofil angelegt.
Gut, dachte er. Sie wollten es nicht anders. Sollte der kleinste Hinweis auf die Organisation deuten, würde er sie aufrollen und zum gegebenen Zeitpunkt bloß stellen. Die Schweine schlachteten sich untereinander ab und er sollte wohl ebenfalls über die Klinge springen. Nicht mit ihm.
Die Geldsummen, die er wusch, gehörten ausschließlich zu den illegalen Zweigen. Der Bund der Wissenden verließ sich schon lange nicht mehr allein auf die Produkte des Geistes seiner Mitglieder. Auf die Duplizität des Aufbaus der Organisation stieß er erst vor wenigen Wochen. Ein mittelständischer Firmenverbund, namens WOLKE, wurde direkt aus den Ressourcen der Burschenschaft bedient. Davon abgelöst agierte der Bund der Wissenden, zu dem er gehörte. Der Bund existierte tatsächlich so geheim, dass außer wenigen haltlosen Gerüchten, nichts an die Öffentlichkeit drang. Peter betrieb Geldwäsche aus Prostitution, Menschenhandel, Drogen, Immobilien und einigen anderen kleineren Zweigen, ohne, dass er jemals selbst damit in Berührung kam. Das Geld floss bar oder auf sichere Konten. Es wusch das Geld über Restaurants, mittelständische Betriebe, dem Kauf ganzer Straßenzüge und, in einem zu vernachlässigenden Teil an der Börse, legal, zu versteuernden Einnahmen. Hier schwor Peter auf die sichere Geldanlage, denn schließlich ging es darum, schmutziges Geld zu säubern. Teile, der erwirtschafteten Summen, die er nicht unterbringen konnte, liefen über viele Umwege auf Konten außerhalb Europas. Die Schweizer Konten, die zu Beginn seiner Tätigkeit noch sicher erschienen, bediente er nicht mehr. Der Bruchteil eines Prozents, den er für seine Tätigkeiten abzweigen durfte, reichte, um ihn zu einem reichen Mann zu machen.
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