Im Grunde war er auf das Geld nicht angewiesen. Aus heiterem Himmel brach vor einiger Zeit ein Geldsegen über ihn herein. Zwar musste er das Geld mit Leo, seinem behinderten Neffen oder Halbbruder, so genau wusste er das nicht, teilen, doch sie beide konnten es nie in ihrem Leben ausgeben. Das war vor knapp drei Jahren, als drei mysteriöse Leichenfunde in der Heide sein bisheriges Leben auf den Kopf stellte. Die Ermittlungen zu diesem Fall leitete Claudia, die auch prompt bei ihm hängen blieb. Die große Liebe seines Lebens, wie er mittlerweile genau wusste.
»Geh behutsam vor.« Sie konnte es ihm nicht ausreden, das wusste sie. Doch, wenn sein Temperament durchging, machte er mehr kaputt, als sie wieder zusammensetzen konnte.
»Ich bin immer behutsam.« Er umfasste ihre Brüste von hinten. »Auf ins Bett. Dann zeige ich dir, wie.«
Seltsam, dass Susanne sich, nach so vielen Jahren, gerade an ihn erinnerte? Er hielt das Pferd am langen Zügel und überlegte, ob er bei Klaus vorbeischauen sollte. Der alte Kauz besaß eine Hütte im Heidegebiet. Er verschob den Besuch auf später und ritt durch das ehemalige Kiesabbaugelände zur Neutralen Straße. Die Holländer suchten dort eine Tonne, in der ein Toter stecken sollte. Schon seit Wochen buddelten Bagger durch das Gelände. Er erfuhr erst gestern davon und musste heute seine Neugierde befriedigen. Doch schon bald hielt ihn rot-weißes Absperrband auf.
Kurt lenkte den Wallach zurück. Heute war wieder so ein lauer Tag. Viel zu warm für den Spätherbst. Er ritt am Fließsandloch vorbei, wo er vor knapp drei Jahren fast versunken wäre. Seit er Claudia kannte, wurde sein Leben kräftig durcheinander gerüttelt. Was ihm die anderen als Neugierde auslegten, entsprang der Sorge um sie. Nie würde er sich an die Gefahr gewöhnen, mit der sie beruflich umging. Jetzt ermittelte sie wieder in einem beknackten Fall. Und der wurde gefährlich, das spürte er in allen Knochen.
*
Peter Brock bestand sein zweites Staatsexamen mit Prädikatsexamen und einer Punktezahl von achtzehn. Mehr konnte er nicht erreichen. Einer Karriere, als Staatsanwalt oder Richter, stand nichts im Wege.
Zurückblickend kam dieses überragende Prüfungsergebnis durch die Verbindung zustande. Er musste die letzten Jahre nichts anderes tun, als studieren. Das Stipendium, das er erhielt, war umfassend und nach der Aufnahme in die Burschenschaft, nicht zu erwarten. Neben der, durchaus großzügigen finanziellen Zuwendung, kamen da noch viele andere Anreize, die sein Leben sorglos machten. Aber ebenso geschahen Dinge, die ihn anfangs abschreckten, worüber er sich mittlerweile keine Gedanken mehr machte. Die Burschenschaft vereinnahmte ihn mit Leib und Leben. Im ersten Jahr musste er mindestens zwei Mal in der Woche im Konvent erscheinen. Während dieser Zeit führten sie ihn in die Gepflogenheiten der Verbindung ein. Für die großzügige Unterstützung saugte die Burschenschaft sein Ich, seine Persönlichkeit auf. Die Methoden dazu erschienen anfangs ebenso abschreckend, wie archaisch. Doch mittlerweile wusste er, nur die persönliche Verpflichtung brachte Sicherheit für die gesamte Gruppe und sicherte die Positionen sowie Funktionen in den Machtapparaten der Gesellschaft. Für das große Ziel zählte der Einzelne wenig.
Seine Veränderung kam schleichend und vertiefte sich durch jede Aufgabe, die er für die Verbindung erledigen musste. Mittlerweile kannte er kaum noch Skrupel. Im Anfang war das anders. Nach seiner Initialisierung musste er erbrechen. Zuvor drohte er, an der Aufgabe zu scheitern. Heute wusste er, dass das Hintanstellen der persönlichen Gefühle über sein Leben und seinen Tod entschied. Ja. Richtig. Über seinen Tod. Dafür gab es Beispiele genug. Er dachte an eine entscheidende Begegnung zurück.
»Peter. Schön, dass du dich einmal bei mir sehen lässt.« Der alte Herr begrüßte ihn sichtlich erfreut.
Schauspieler, dachte Peter. Er kam nicht aus eigenem Antrieb, sondern wurde quasi einbestellt. Der alte Herr war gar nicht so alt. Vielleicht Mitte fünfzig. Doch zu den Eigenschaften der Burschenschaft gehörte es, dass die Mitglieder, die im Berufsleben standen, sich so nannten. Er kannte lediglich den Vornamen des Mannes, der in der verborgenen Hierarchie eine einflussreiche Position besetzte.
»Tobias.« Er reichte ihm die Hand. »Ich freue mich auch.« In der Verbindung duzte jeder jeden, um den Anschein zu wahren, dass jeder sich gleich fühlte.
»Wie lange bist du jetzt bei uns?« Tobias musterte ihn wohlwollend.
»Etwas mehr, als ein Jahr.« Er wusste, sein Gegenüber kannte den Tag, an dem er in die Burschenschaft eintrat.
»Wir haben ein Problem.« Es gehörte zu den angenehmen Seiten von Tobias. Er kam direkt zum Kern. »Du erinnerst dich vielleicht. Bastian. Er wurde mit dir geprüft und aufgenommen. Er erwies sich nicht für würdig. Du nimmst die Angelegenheit in die Hand?«
»Ja.« Peter nickte. »Sicherlich.« Aufgrund der ungeschriebenen Gesetze stellte er keine Fragen.
»Gut. Ich habe nichts anderes erwartet.« Der alte Herr wirkte zufrieden. »Das Säuberungsteam wird morgen mit dir Verbindung aufnehmen. Die Herren wissen, was zu tun ist. Jetzt erzähl einmal: Wie läuft es mit dem Studium?«
Zwei bullige Typen holten ihn am nächsten Tag ab. Er bestieg den dunklen Transporter mit einem flauen Gefühl in der Magengegend. Nach wenigen Minuten hielten sie vor einem kleinen Bungalow, ähnlich dem, den auch er bewohnte.
Auf sein Klingeln öffnete Bastian und sah ihn verständnislos an, bis ein Erkennen über sein Gesicht lief. »Warte. Sag nichts. Dein Name fällt mir gleich ein. Peter. Richtig.« Er machte eine einladende Bewegung. »Herein in die gute Stube. Komisch. Du bist der Erste unserer Truppe, den ich wiedersehe. Was führt dich zu mir?«
Peter stand linkisch und mit gemischten Gefühlen in dem kleinen Wohnraum. »Wenn ich das so genau wüsste«, antwortete er. »Also, um gleich zum Kern zu kommen … einer der alten Herren hat mich auf dich angesetzt. Was hast du angestellt?«
»Was soll ich angestellt haben? Einer der alten Herren …«. Er sah ihn misstrauisch an.
»Du weißt, wie das geht. Ich habe keine Informationen.« Peter wurde die Situation unbehaglich.
»Die können mich kreuzweise«, brach es aus Bastian heraus. »Ich richte nicht mein ganzes Leben auf einen Jungmännerzirkus aus. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert.«
»Du nimmst alles, wie ich sehe.« Er machte eine umfassende Bewegung mit der Hand. »Dafür können wir Loyalität verlangen. Daran mangelt es dir augenscheinlich, wie ich feststelle.« Er kniff die Augen zusammen und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er hatte keinen Plan.
»Die haben dich voll vereinnahmt. Du willst dir hoffentlich nicht dein ganzes Leben versauen, nur weil du als junger Mensch diesem Verein beigetreten bist?«
»Das ist gerade mal anderthalb Jahre her. Was du jetzt weißt, wusstest du damals auch.«
»Falsch, Peter. Jetzt wissen wir viel mehr. Wir sind einer Verbrecherorganisation aufgesessen. Die Mafia ist nichts dagegen.« Er stand aufgebracht im Raum. »Klar. Ich habe das Geld und die Annehmlichkeiten genommen. Aber damit ist jetzt Schluss. Die können froh sein, wenn ich nicht zur Polizei gehe.« Er trat ganz nahe an ihn heran.
Peter sah, dass er es ernst meinte. Der brachte es wirklich und zeigte die Verbindung an. Peter reagierte ohne sein Zutun. Zumindest fand er später keine Erklärung, weshalb er so handelte. Sein Knie fuhr hoch in die Hoden des Mannes. Als dieser zusammenklappte, schlug er ihm mit der Handkante ins Genick und spürte, wie die Wirbel brachen. Bastian lag, wie ein nasser Sack auf dem Boden. Emotionslos betrachtete er die Bescherung. Er ging steifbeinig hinaus und gab seinen beiden Begleitern das verabredete Zeichen.
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