1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 »Unter dem Aspekt, den Beate nannte … immer.« Sie nickte begeistert.
»Da ist etwas, über das wir uns Gedanken machen müssen.« Charlie, eigentlich Charlotte, lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. »Wenn ich richtig verstanden habe, geht die Kripo nicht davon aus, dass die Morde aus der Burschenschaft heraus geschehen. Ich bin auch dieser Ansicht und das lässt nur einen Schluss zu: Ein oder mehrere Opfer, wie wir, sind am Drücker. Wir sollten denen nicht in die Quere kommen und vor allen Dingen dieser Claudia Plum keine Munition liefern. Diese Person oder Personen tun das, was wir uns nicht trauen.«
»Wow.« Gerlinde nickte anerkennend. »Soweit habe ich nicht gedacht. Dein Gedankengang ist vollkommen schlüssig. Es wirft natürlich ein ganz anderes Bild auf die Zusammenarbeit mit der Kripo. Mit unseren Mitteln werden wir deine These nicht beweisen können. Also nutzen wir die Polizei. Doch vorsichtig, denn wir müssen uns einen Weg offenhalten, um die Mädels, falls es sie gibt, zu warnen.«
»Ein Spiel mit dem Feuer«, warf Susanne ein. Gut, dass sie alles, was sie wusste, eingebracht hatte. Die Diskussion lief fruchtbar und brachte neue Erkenntnisse. »Die Plum ist eine intelligente Frau. Sie wird nicht so leicht hinters Licht zu führen sein.«
»Wollen wir auch nicht«, meinte Charlie. »Sobald wir eine Identität haben, werden wir diese Frau oder Frauen warnen.«
»So einfach wird das nicht.« Petra hob den Zeigefinger, wie in der Schule. »Wir sollten davon ausgehen, dass die zweite Gruppe von unserer Existenz weiß. Sie haben uns die drei Toten vor der Nase weggeschnappt.«
»Alles möglich«, sinnierte Susanne. »Vielleicht haben wir ein Leck, was ich nicht glaube und auch nicht schlimm finde.« Sie hob die Hand, um das unmutige Gemurmel zu unterdrücken. »Ich denke laut nach. Also keine Schuldzuweisung. Schließlich haben die Schweine das bekommen, was sie verdienen. Wir halten Augen und Ohren offen. Wir werden vorsichtiger vorgehen und uns in der nächsten Zeit auf die Materialbeschaffung über die Burschenschaft Germanicus konzentrieren. Wir werden sie dort packen, wo es ihnen wehtut.«
*
Susanne grübelte über den Notizen, die sie, seit Tagen ergänzte.
Ein Kinderspielplatz für Jungen und solche, die nicht alt werden konnten. Aber auch Machtoptionen für solche, die Kontakte richtig kanalisierten oder nutzten. Im Grunde harmlos, wenn nicht die Auswüchse, wie bei Germanicus auftraten.
Abiturienten und junge Studenten kamen als sogenannte Füchse in eine Burschenschaft. Ein Fuchs übernahm eingeschränkte Rechte und Pflichten. Er besaß kein Stimmrecht und übte keine Ämter aus. Doch jeder Fuchs durfte sich auf den Veranstaltungen, die Konvent genannt wurden, vertreten lassen, indem er ein Leibverhältnis einging. Das bedeutete, er suchte einen ›Burschen‹, der ihn vertrat, den sogenannten Leibburschen.
Susanne sah hoch. Was für ein Schwachsinn. Und bei Studentinnen gab es das auch. Unvorstellbar. Die Angelegenheit kotzte sie an. Sie wusste, dass sie ungerecht urteilte und alle über einen Kamm scherte. Aber das waren doch wirklich Spasmatiker.
Susanne bekam diesen Quasifreundschaftskram nicht in den Kopf, vor allem weil er nach wahrlich mittelalterlichen Strukturen stattfand. Menschen, die ihre Körper verstümmelten, hatten nicht mehr alle Tassen im Schrank. Aber jeder musste selbst wissen, ob er sich eine Mensur schlagen ließ oder Piercing beziehungsweise Tattoos trug. Für sie war das eine so beknackt wie das andere. Kein Wunder, dass manche, bei solchem Machogehabe, austickten. Aber sie suchte keine Entschuldigung.
Die einen schlugen also Mensur, die anderen bumsten unter Aufsicht gefesselte Frauen. Sie lachte bitter. Die Typen, die Selbsterniedrigung zu ihrem Inhalt machten, denn etwas anderes war die Fuchsenzeit nicht, erniedrigten andere Personen. Sie führten den Beweis ihrer Erniedrigung, das Abhandenkommen des eigenen Willens.
Susanne fühlte sich schmutzig, wie nie zuvor. Die Professionalität, die sie bei ihren Ermittlungen an den Tag legen wollte, fiel ab, wie ein Kittel, den sie nicht mehr brauchte. Gleichzeitig erfüllte sie maßlose Wut. Wut auf sich, dass sie das Verbrechen damals geschehen ließ und Wut auf die Perverslinge, die sie als lebende Puppe, ohne Gefühl, missbrauchten. Einhundert Stöße und dann Orgasmus. Die Pommes, die sie vor einiger Zeit gegessen hatte, würgten hoch. Mit knapper Not schaffte sie den Weg zur Toilette, wo sie kotzte. Danach kniete sie auf dem Boden und weinte.
*
Kurt Hüffner ritt am Heiderand entlang und die Gedanken kreisten um Susanne Treber. Mein Gott, wie jung waren sie damals. Wie lange lag die Zeit zurück? Exakt dreizehn Jahre. Und … er hatte sich damals in dieses blonde Mädchen verguckt. Doch sie sprang nicht auf ihn an. Was blieb, war Kameradschaft, fast schon Freundschaft. Erst jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Susanne wirkte immer ein wenig melancholisch, ja traurig. Sie lachte selten und verfügte über einen messerscharfen Verstand. Jetzt besaß sie ein Architekturbüro und betrieb Verbrecherjagd.
Als er sein Studium begann, sprach man ihn einige Male auf Burschenschaften an. Doch dazu hatte er keinen Draht. Er trank sein Bier lieber ohne Sprüche. Außerdem lag das Gedankengut zu weit rechts. Er lachte auf, sodass das Pferd einen erschrockenen Schritt zur Seite tat. Dafür hatte er jetzt Claudia, die einen Beruf ausübte, dem man auch rechte Gedanken nachsagte.
Kurt zählte eher zu den Sozialdemokraten. Nicht dass, was die SPD verkörperte. Jedoch so ein Mischmasch aus Linken, Grünen und Sozialdemokraten. Aus der Suppe müsste man sich einen Parlamentarier mischen können. Über diese Mischung eine klitzekleine Prise Konservatismus der Christlichen. Darüber dachte er häufiger nach. Es wurde immer schwieriger eine Partei zu wählen, weil sie sich kaum noch unterschieden. Die Nichtwähler müssten ein Parteiprogramm erarbeiten. Und jetzt kam die GroKo. Das große Kotzen. Seine Gedanken glitten wieder zu Susanne und er dachte an das Gespräch mit Claudia.
»Hast du so etwas schon einmal gehört?«, fragte er nach Susannes Verabschiedung.
»Ich möchte mich übergeben«, antwortete sie, ohne direkt auf die Frage einzugehen. »Ich kenne Burschenschaften. Besser gesagt, während des Studiums haben wir uns darüber unterhalten. Es war nicht meine Sache. Die meisten sahen es genauso. Für eine Karriereförderung sind sie natürlich bestens geeignet. Ob in der Privatindustrie oder im Öffentlichen Dienst. Kontakte und Förderer kann man nie genug haben. Vitamin B regiert die Welt.«
»Ja ich weiß. Du kannst aber nicht an dem, was Susanne erzählte, vorbei ermitteln.«
»Will ich auch nicht. Doch ich werde sie beschützen. Sie hat mein Wort.«
»Wie willst du das machen?«, fragte er wirklich gespannt, weil er nie so richtig wusste, was in ihrem Job als Nächstes geschah.
»Mehrgleisig. Falls deine Freundin die Einwilligung gibt, werde ich Heinz und Maria einweihen. Maria krieg ich nur mit Gewalt aus dem Büro. Sie kann also im Netz und den anderen Informationsquellen recherchieren. Heinz ist mitten in den Ermittlungen zu den Morden und kann zusätzlich ein Augenmerk auf diese Germanicus legen. Ich habe leider die Sonderkommission am Hals. Vielleicht stoßen die von selbst auf die Spur.«
»Mit anderen Worten, du willst jemandem auf die Sprünge helfen.«
»Jein. Der Staatsanwalt wird den Fall früher oder später an die nächsthöhere Behörde abgeben, wenn wir nicht in den nächsten Tagen einen Durchbruch erzielen.«
»Ich höre mich morgen im Institut um.« Kurt blieb nach dem Studium an der TH. Mittlerweile arbeitete er als Mathematiker für den Staat und freiberuflich als Physiker für die Industrie. Sein Aufgabenbereich fächerte breit und er entwickelte neue Grundlagen für die Raumfahrttechnik. Sein Gehalt bezog er über das Institut. Wie sie den privaten vom öffentlichen Dienst trennten und berechneten, interessierte ihn nicht.
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