Es waren nur ein paar Sekunden und dennoch, ich hatte das Übernatürliche nie zuvor so unverkennbar gespürt. Ich war mir dessen noch nie so sicher gewesen. Von dem Tag an traute ich mich nur noch komplett zugedeckt zu schlafen. Gelegentlich habe ich nichtsdestotrotz das mulmige Gefühl, als bewege sich etwas neben mir auf meinem Bett. Es ist als ob etwas Fremdes auf meine Matratze drückt, wie ein Fußabdruck oder der einer anderen Gliedmaße. Ich konzentriere mich darauf und fühle es wieder, noch klarer. Einmal setzte es sich gar neben mich. Ich nahm die Druckstelle neben mir auf dem Bett wahr. Mit der belehrenden Stimme meiner Mutter flüsterte es mir Boshaftigkeiten ins Ohr. Ein andermal versetzte es mir einen heftigen Schlag auf die Stirn. Trotz dem, ich kann mich täuschen.
Dann und wann träume ich, dass ich träume. Wenn ich im Traum aus einem Traum erwache, kommen Dinge, wie Gegenstände, Menschen, Tiere oder Figuren, aus meinem Traum in die Traumwirklichkeit heraus – gruselig. Andere Male kommt es vor, dass ich Träume, die mir zu unangenehm werden stoppe, indem ich sage: „Es ist bloß ein Traum.“ Ich gebe daraufhin Anweisungen, wie dieser weiter verlaufen soll und gebiete damit fiesem hässlichem Getier, Gnomen, Dämonen und verbalen Schindern, wie Tom, Einhalt. Bedauerlicherweise gelingt mir diese Weise der Steuerung von Angstträumen selten.
Manche Träume kehren immer wieder: Ich befinde mich mit meiner Familie in einem alten herrschaftlichen Haus. Die Möbel und die schweren Stoffe schauen aus wie in einem Museum oder einem Antiquitätengeschäft. In diesem Anwesen gibt es Abteile, die sicher sind. Dann gibt es aber auch solche, die vom Übersinnlichen heimgesucht werden. Obwohl ich diese Unterteilung genau kenne, zieht es mich entgegen aller Furcht, wie eine ferngesteuerte Marionette, immer in die Räume, in denen es spukt und wo das Grauen ungehalten Besitz von mir ergreifen kann. In einem anderen jener repetitiven Träume gehe ich auf Bahngleisen, mir wohl bewusst seiend, dass jeder Moment ein Zug auftauchen und mich überrollen kann. Kommt der Zug, springe ich im allerletzten Moment zur Seite. Was mir nicht gut tut, zieht mich an.
Am 11. August 1999 erwachte ich gegen 9:30 Uhr mit dumpfen Kopfschmerzen. Ich hatte schlecht geschlafen. Nachts war ich mehrmals aufgewacht und hatte jedes Mal wieder pochenden Schmerz an meinen Schläfen gespürt. Nun war mir übel. Ich hätte am Vortag beim Einkaufsbummel in der Stadt die Sonnenbrille tragen sollen. Ich wusste doch, dass ich empfindliche Augen hatte. Damals waren meine schönen großen grünen von üppigen Wimpernkränzen umrandeten Augen das Einzige, was ich an mir mochte. Eigentlich sind sie ja vielmehr grau, mit rostfarbenen Akzenten in der Mitte der Iris, was aber auf die Distanz einen ansprechenden grünlichen Schimmer erzeugt.
Ansonsten fand ich mich fett, obwohl ich es nicht war. Ich hasste meinen Körper. Nach dem Sportunterricht vermied ich das gemeinsame Duschen, selbst wenn mich die anderen deswegen ein Schwein schimpften. Das war mir lieber, als wenn sie überall rumerzählten, wie ich nackt aussah. Das taten sie nämlich. Die richtig ekelhaften unter den Weibern, erzählten sogar den Jungs, wie ihre Klassenkameradinnen ohne Klamotten ausschauten. Dabei geizten sie nicht mit unschönen, oftmals übertrieben dargestellten Details. Tom lachte darüber und flocht die indiskreten Informationen gekonnt in sein Gespött ein. Eine Schulkameradin, die ebenfalls mit Katharina befreundet und mit ihrem eigenen kleinen Busen unzufrieden war, bezeichnete ihn als „Hühnerbrust“ und meinte zu Katharina, dass meiner ebenso wäre. Ein anderes Mal hatte sie gesagt, ich hätte Pausbacken und man würde mir im Gesicht Fett absaugen lassen müssen. Katharina verteidigte mich: „Nein, da kann ich dir nicht Recht geben, Daniela, Sophias Brüste sind grösser und runder wie deine.“ Die andere hielt beleidigt den Mund. Ich war Katharina dankbar, sah meine kleinen Rundungen selbst jedoch weniger positiv. Genau das war der springende Punkt! Was ich hatte, wollte ich zeigen und zwar im besten Licht. Alles andere ging keinen etwas an. Wenn ich das Haus verließ, tuschte ich meine Wimpern kohlschwarz. Das ließ sie noch dichter und länger wirken. Nun durfte jeder sie bewundern und mir Komplimente machen. Wäre mir doch nie in den Sinn gekommen, mein schönstes Attribut hinter einer Sonnenbrille zu verbergen!
Nervös drehte ich mich in meinem Bett hin und her und dachte an den vorangekündigten Weltuntergang. Angeblich sollte er an diesem Tag stattfinden. Ach Quatsch! Das war doch lächerlich! Kaum stand ein seltenes Ereignis bevor, glaubte schon das halbe Volk der Weltabend sei nicht mehr weit. Das bewies wieder einmal mehr, dass die Menschheit geistig heute nicht viel weiter ist wie vor einigen tausend Jahren. Ferner war es nicht das erste Mal, dass eine totale Sonnenfinsternis stattfand. Jedes Mal wurde ein solches Theater daraus gemacht und noch nie ist etwas Ernsthaftes passiert. Klar, eine Sonnenfinsternis ist etwas Besonderes und des Weiteren viel seltener als eine Eklipse des Mondes. Das hatten wir alles in der Schule gelernt aber… Nein, ich hatte bis zu jenem Tag nicht an den Weltuntergang geglaubt, jedenfalls nicht wirklich. Als der Tag dann da war, hatte ich dennoch ein flaues Gefühl im Magen.
Am liebsten wäre ich den ganzen Tag nicht aufgestanden. Ich massierte meine Schläfen und kniff die Augen zu, während ich mich fragte, weshalb ich bloß immer so eitel sein musste. Waren doch wirklich zum Davonlaufen diese ewigen Kopfschmerzen! Im Zimmer war es still und warm. Die Sonne warf sanfte Strahlen durch die blanken Fensterscheiben auf das Bett. Ich wurde allmählich wieder müde, schloss die Augen und versuchte mir die Apokalypse vorzustellen. Vor meinen Augen fing eine leuchtend helle Sonne an zu scheinen und glühende Strahlen zu werfen. Riesige bleigraue Wolkenfetzen schütteten zugleich Schnee, Regen, Hagel und staubige Asche, welche einen beinahe ersticken ließ, herab. Eisige Blitze zuckten über den Äther. Knallrote Lava sprudelte aus meterbreiten Erdrissen. Lebewesen kreuchten und fleuchten in alle Richtungen davon. Über alledem herrschte eine tödlich kalte Hitze.
Meine Vorstellungen kamen der Beschreibung des jüngsten Tages aus der Bibel oder der endgültigen Auslöschung der Dinosaurier vor abermillionen Jahren nach der Kollision eines riesigen Asteroiden mit der Erde gleich. Die Bilder waren erschreckend real.
Plötzlich war ich wieder hellwach. Die Ziffern meines Weckers zeigten 12:00 Uhr. Ich richtete mich auf und blickte aus dem Fenster. Trotz der wenigen Wolken war es beunruhigend finster geworden. Allerdings war es zu hell um Nacht zu sein. Nun schaute ich zur Sonne und einen Moment lang meinte ich den Mond zu sehen, denn ein rundlicher düstrer Schatten bedeckte einen Teil der Sonne – Sonnenfinsternis! Ich erinnerte mich wieder – heute war Sonnenfinsternis! Es wurde immer dunkler, aber es war nicht das übliche Dunkel. Es war ein schimmerndes schiefergraues äußerst geheimnisvolles Dunkel, das vielmehr an ein Gewitter in der Wüste als an Nacht denken ließ. Ein kalter Schauer überlief mich. Auf einmal war es soweit; der düstere Schatten überdeckte die Sonne ganz und ließ nur noch eine dünne kreisrunde weißglühende Schnur aufleuchten – die Perlschnur. In diesem Moment überkam mich ein Gefühl seltsamer Sehnsucht. Ich verspürte zugleich stechendes Glück über die Schönheit der Natur wie auch unendliche Traurigkeit. Dann war alles vorbei. Ich war noch immer müde von den Kopfschmerzen und gab mich wieder dem Schlaf und meinen Träumen hin.
Einige Jahre später, ich lebte nun bereits mit meinem Freund Kristian zusammen, hörte ich in der Nacht plötzlich ganz deutlich Stimmen aus unserem großen Wohnzimmer. Obschon voller Angst, stand ich auf und schaute nach. Der Fernseher war angegangen, jedoch kamen nur Stimmen heraus, kein Bild. Dies geschah noch einige Male, immer in besonders stillen Nächten, immer nur Ton, nie ein Bild. Es hätte ein Konstruktionsfehler des Fernsehers sein können, aber warum geschah es nur nachts zu unterschiedlichen Zeiten und warum kamen nur Stimmen und Geräusche aus dem Gerät? Ich hatte Angst, war oft schweißgebadet. Ich konnte kaum mehr alleine in der Wohnung schlafen. Dann geschah es lange nicht mehr. Ich vermochte keine Logik darin zu finden, keinerlei Erklärung dafür. Aber auch schon geringste optische Reize wie das Flackern einer Lichtquelle oder ein Geräusch im Halbwachzustand, können in mir entsetzliche Panikattacken verursachen. Ich kriege starkes Herzklopfen und meine Brust zieht sich zusammen – ein tief beklemmendes Gefühl beschleicht mich.
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