Allerdings genau diese Unterschwelligkeit und Unbewusstheit stellt eine immense Problematik dar, weil der Mensch dadurch nicht mehr seine eigentlichen Bedürfnisse kennt und benennen kann und daraus resultierend die von Ersatzhandlungen und künstlichen Befriedigungen geformte, tatsächliche und individuelle Lebenswirklichkeit, als die wesensbedingte Normalität ansieht und danach sein Leben ausrichtet.
Kurz gesagt: Dem Menschen fehlen die eindeutige, klare Ausrichtung und Orientierung und demgemäß die unabdingbare Sicherheit und Stabilität.
Je weniger die ursächliche Lebenswirklichkeit im Alltag (= tatsächliche und individuelle Lebenswirklichkeit) ins Gewicht fällt und Berücksichtigung findet, desto erheblichere psychische Schädigungen sind die Folge und desto größer ist der Bedarf an kompensatorischen Ersatzhandlungen und -befriedigungen.
Die ursächliche Lebenswirklichkeit kann, im Gegensatz zu den nachfolgenden, nicht vom Menschen beeinflusst und manipuliert werden.
Tatsächliche, allgemeine Lebenswirklichkeit
Diese tatsächliche, weil real existierende (im Sinne von greifbar) und die Allgemeinheit betreffende Lebenswirklichkeit ist eine definitive Gegebenheit in Gestalt von vorhandenen wie vorgegebenen Um- und Zuständen und in ihrem Makrobereich über einen langen gesellschaftlichen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprozess entstanden.
Jener Makrobereich ist ein Spiegelbild des aktuellen Normen- und Wertesystems, der sozialen, religiösen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Ordnung, Organisation und Trends, der medialen Landschaft und sonstiger Faktoren (wie u. a. soziale Grundatmosphäre, Verfassung der Natur), in die ein Mensch hineingeboren wird, und entspricht dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Status quo.
Die tatsächliche Lebenswirklichkeit umfasst sowohl das makrokosmische Gebiet (Gesellschaft) wie das mikrokosmische (Familie, persönliches Umfeld in Freizeit, Arbeit oder Ausbildung) und ist deshalb für jeden Menschen trotz allgemeiner, genereller Strömungen, Einflüsse und Beeinflussungen nicht identisch, sondern teils sehr ungleich. Daher ist die diesbezügliche Prägung für den einzelnen Menschen denkbar individuell.
Konkretes Beispiel: Zwei Kinder, die in Deutschland aufwachsen, leben zwar im identischen rechtsstaatlichen, politischen, normen- und wirtschaftsgemäßen System und Überbau (vorwiegend selber Makrokosmos), dennoch können die mikrokosmischen Bedingungen überaus abweichend sein, wie beispielsweise die besondere familiäre Konstellation, eine bestehende Religiosität, die finanzielle Ausstattung, der Wohnort und die Wohnsituation, usw. und darum stellt sich die tatsächliche Lebenswirklichkeit faktisch – und nicht nur empfindungsgemäß – verschiedenartig oder sogar konträr dar.
Einschränkend muss erwähnt werden, dass wegen der weltweiten, ähnlich gelagerten und sich laufend weiter annähernden Medieninhalten (Stichwort: Mainstream) und deren extremer Penetration eine Nivellierungstendenz hinsichtlich gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Anschauungen und Verhaltensweisen, der Freizeitgestaltung und den allgemeinen Lebensvorstellungen und –wünschen (das sogenannte Erstrebenswerte) zulasten der Individualität auszumachen ist.
Erkennbar werden die grundsätzliche Existenz der ursächlichen Lebenswirklichkeit und ihre wesensgemäße Diskrepanz und Disparität zur tatsächlichen Lebenswirklichkeit an den zutage tretenden Bruchstellen, die die tatsächliche Lebenswirklichkeit als nachrangigen, in vielen Bereichen den menschlichen Erfordernissen nicht gerecht werdenden Norm- und Normalzustand entlarvt.
Entlarvung bzw. Demaskierung bedeutet hier, dass gesamtgesellschaftliche Voraussetzungen und Sachverhalte, die als Paradigma wie Muss-Zustand angenommen und akzeptiert werden und nach denen der Mensch seinen Alltag ausgerichtet hat (Stichwort: gesellschaftliche Eckpfeiler), sich als falsch und fehlgerichtet erweisen.
Falsch und fehlgerichtet insofern, da an den Bruchstellen klar wird, dass das Missverhältnis unausweichlich zu physischen und psychischen Krankheiten und Störungen führt, die auf dem Widerspruch von und der Unterschiedlichkeit zwischen der ursprünglichen und der tatsächlichen Lebenswirklichkeit basieren.
Weitere Bruchstellen erscheinen bei der Freilegung der vergrabenen bzw. verborgenen ursächlichen Lebenswirklichkeit durch transzendentale Erfahrungen, die deutlich und erkennbar machen, dass die tatsächliche, als Normalität empfundene Lebenswirklichkeit (vor allem deren Ausgestaltung) nicht den originären Wertemaßstab skizziert und eine zufriedenstellende Sinnigkeit ergibt.
Die transzendentalen Erfahrungen offenbaren eine Dimension an Spiritualität und Klarheit, die über die tatsächliche Lebenswirklichkeit nicht vermittelt werden kann, hingegen einzig mittels der Rückbesinnung auf die ursächliche, indem der Geist und die Psyche weitgehend entkoppelt sind. Diese Entkopplung ist – wie schon mehrfach beschrieben – ausschließlich möglich, wenn der Geist nicht seitens der Psyche instrumentalisiert wird, was wiederum nur der Fall ist, falls keine zu große psychische Schädigung aufgrund nichterfüllter Grundbedürfnisse vorhanden ist.
Mit anderen Worten: Die Präsenz der ursprünglichen Lebenswirklichkeit im Alltag wird dann nicht ob einer von Symptomen geprägten tatsächlichen Lebenswirklichkeit beeinträchtigt, weil diese überwiegend neutralisiert ist.
Die konkrete, sprich die dem Menschen sich bietende (bzw. ihm sich vorfindende) Lebenswirklichkeit wird dank der präsenten Lebensumstände und den Identitätsproblematiken 2, 3 und 4 (diese drei Identitätsproblematiken schließen sowohl den allgemeinen Makro- wie den speziellen Mikrokosmos eines Menschen ein) bestimmt und muss als stark symptomorientiert und –gesteuert bezeichnet werden.
In vielfachen Bereichen beruht sie auf Symptomen, ergo den Auswirkungen und Resultaten der Fehl- und gegensätzlichen Entwicklungen zu den ursächlichen menschlichen Bedürfnissen.
Stellvertretend aus zahlreichen Beispielen können die heute sakrosanten Werte, Einstellungen und Tugenden wie Erfolgs- und Machtausrichtung, Wachstumsgläubigkeit, Konsumfokussierung, Wettbewerbshörigkeit, Konkurrenzdenken und Besitzanhäufung genannt werden, die allesamt – insbesondere in der gegenwärtigen Ausprägung, Intensität und Dominanz – kompensatorische Ersatzhandlungen sind, begründet in der Divergenz von ursächlicher und tatsächlicher Lebenswirklichkeit.
Die dem Bewusstsein naheliegende, zumal real existierende, tatsächliche Lebenswirklichkeit hat mit ihrer diversifizierten Symptomatik (diversifiziert, da alle wesentlichen Lebensbereiche durchdringend) ein derart großes Übergewicht eingenommen, dass die ursächliche Lebenswirklichkeit davon nahezu erdrückt wird. Dies hat zur Folge, dass die sich ergebenden und bestehenden Probleme wie Fehlentwicklungen nicht in Beziehung zur gesellschaftlichen Realität gestellt bzw. als deren Konsequenz angesehen werden. Es wird somit keine sensibilisierende Bewusstseinsrelevanz erzeugt, die den symptomhaften Charakter der tatsächlichen Lebenswirklichkeit erkennen könnte.
Mit anderen Worten: Die tatsächliche Lebenswirklichkeit wird ob ihres Charakters nicht durchleuchtet und geprüft, die von ihr verursachten, mannigfaltigen Problemfelder werden als normal oder zumindest unabdingbar betrachtet.
Die symptomgemäße Ausrichtung der modernen Zeit beinhaltet nicht bloß die Vergangenheit und Gegenwart, indes vor allem auch die Zukunft. Der Mensch hinterfragt nicht allein seine persönliche Entwicklungsgeschichte (Elternhaus, Kindheit und Jugendzeit) und die aktuellen Lebensgrundlagen und –voraussetzungen (mediale Inhalte, Nachrichten, vermitteltes Schulwissen, die Lebens- und Einstellungsorientierung der Eltern/Familie werden als richtig, objektiv, glaubwürdig und gegeben empfunden und akzeptiert und nicht in notwendige Kontexte gestellt) nicht, sondern bespiegelt ebenso die zukünftigen Perspektiven und die daraus resultierenden – oft negativen - Konsequenzen für die Menschheit und den einzelnen Menschen nicht (respektive nicht angemessen kritisch).
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