Übertragen bedeutet dies, dass die Gesellschaft bzw. die gesellschaftlichen Bedingungen und Zustände nicht ihre eigenen „Monster“ hervorbringen, sondern diese „Monster“ entweder zufällig entstandene Kreaturen oder singuläre, nicht im engen gesellschaftlichen Kontext befindliche Ereignisse sind, die jeweils selbst volle Haftbarkeit für ihr Tun tragen.
Dies, sehr verkürzt, zu den grundsätzlichen Motiven des Staates hinsichtlich des verfolgten Zwecks einer Sanktionierung.
Gleichsam soll eine Bestrafung – nachfolgend wird der Freiheitsentzug thematisiert – den Täter resozialisieren, ihn also wieder an die Gesellschaft und deren soziales Gefüge heranführen und wiedereingliedern. Die Aufgaben, die Struktur und die Behandlungsmaßnahmen im Strafvollzug sollen diesem Ziel dienen.
Die Resozialisierung ist „hehres“ Ziel des Strafvollzugs, hehr deshalb in Anführungszeichen, weil die Realität, vor allem die Gegebenheiten und Qualität (die Ausstattung, die Ausgestaltung und im Besonderen der pädagogische Aufbau/Inhalt des Vollzugs) wie der politische und gesellschaftliche Wille ein vollkommen konträres Bild abgeben (u. a. Überbelegung, Einsparungen, Personalmangel, unqualifiziertes Personal, mangelhafte räumliche und sonstige infrastrukturelle Voraussetzungen).
Die Resozialisierung soll den Gefangenen in die Lage versetzen, ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu führen und ist daher eine Art aktive Prävention (positive Spezialprävention) zur Verhinderung von weiteren Straftaten. Banal ausgedrückt: Der Bestrafte soll zum Besseren (beinhaltet Besserung) belehrt und erzogen werden, indem sich sein Verhalten so ändert und anpasst, dass es den gängigen Normen und Wertvorstellungen entspricht.
Resozialisierung impliziert gleichfalls, dass im Laufe der eigentlichen Sozialisation im Kindesalter (Prozess des Kindes, in das Normensystem und die gesellschaftliche Ordnung hineinzuwachsen) wichtige Instanzen (Persönlichkeitsbereiche) nicht ausreichend sozialisiert wurden und diese versäumte Sozialisation (Integration in die Gesellschaft anhand Internalisation – Verinnerlichung - der sozialen Normen) soll während der Gefangenschaft nachgeholt werden, auch mit therapeutischer Bearbeitung und Hilfe.
De facto ist der Begriff Resozialisierung für die betroffenen Menschen bei Weitem zu kurz gegriffen, da in der Regel die psychischen Fundamente für eine Sozialisierung nicht oder nur mangelhaft vorhanden sind und erst diese Basis in einem Mindestmaß gebildet werden muss, um eine Sozialisierung überhaupt sinnvoll versuchen zu können.
Es sollen demnach fehlende Entwicklungsschritte, die bisher in der sogenannten Freiheit nicht realisiert wurden, in der Haft erlernt werden. Dem theoretisch schön anmutenden Gegenwirkungsgrundsatz, nachdem schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegen zu wirken sind, darf getrost dem Reich der Fabel respektive des (verdrängenden) Wunschdenkens zugewiesen werden, sobald der Alltag des Haftlebens betrachtet wird, der von Gewalt und Angst geprägt ist. Die innerhalb der Insassen verbreiteten hierarchischen Machtgefüge stehen diesem Ansatz diametral gegenüber und ergeben in der Realität häufig zusätzliche Manifestierungen der schon gegenwärtigen Verhaltensstrukturen.
Der Schwerpunkt der betriebenen Resozialisierung liegt in der Einsicht des Täters in die ethische Verwerflichkeit der Tat und das somit begangene Unrecht.
Der Delinquent soll dank einer Norm- und Wertevermittlung ein Rechtsbewusstsein (wieder) erlangen, auch durch das Verständnis für den angerichteten Schaden und die ausgelösten Schmerzen beim Opfer und dessen Angehörigen. Über die Einsicht soll der Wille dermaßen gestärkt werden, dass das Verhalten zukünftig über die Vernunft gesteuert wird und daraufhin kriminelles Handeln als Option unterbunden wird.
Ein Unrechtsbewusstsein, gerade bei Gewaltverbrechen, setzt allerdings nicht einzig die rationale Komponente „Einsicht“ voraus, jedoch obendrein die emotionale. Der Täter muss hierzu eine Fähigkeit zur Empathie entwickeln, die er sich aber außerdem – aus seiner psychischen Sicht - leisten können muss.
Wirkliches, tiefes und nicht bloß aufgesetztes und vorgegaukeltes Mitgefühl kann ein Mensch lediglich dann empfinden, sofern er nicht zu sehr mit seiner eigenen psychischen Problematik beschäftigt ist und demgemäß adäquate energetische Kapazitäten ungebunden sind. Meist haben die Täter in ihrem Lebensverlauf (während vieler Jahre und Jahrzehnten) keine Empathie erfahren, zumal sie selbst Opfer waren, und sollen jetzt plötzlich in den speziellen Verhältnissen der Haft dazu imstande sein.
An dieser Stelle wird der Bogen zur identitätsgemäßen Problematik des Menschen gespannt, denn die so wichtige Einsicht erfordert eine entsprechend umfassende Einsichtsfähigkeit, die nicht nur den intellektuellen Faktor umfasst, sondern primär die psychische Aufnahmemöglichkeit beinhaltet. Und genau da sind sowohl die generelle Schwierigkeit der Resozialisierung in der üblich praktizierten Art einer Gefangenschaft wie die Chancenlosigkeit einer Resozialisierung bei besonders problembeladenen Tätern angesiedelt.
Wie im Kapitel „Kriminalität“ explizit ausgeführt, sind kriminelles Verhalten und damit ebenso die hier thematisierten Gewaltverbrechen und -exzesse in ihrer Wurzel – neben weiteren determinierenden und kriminalitätsbegünstigenden Elementen (u. a. Umweltsituation) - eine aus einem psychischen Defizit entstandene Kompensationshandlung, die – abhängig vom individuellen Ausmaß der Deformation – einen gebührend großen Befriedigungswert erzielen soll.
Es gilt die Kausalkette, je größer die psychische Schädigung, desto größer der Bedarf an Ersatzbefriedigung, desto exzessiver die Gewalttat (implizierter Steigerungsmechanismus um die benötigte Angemessenheit herzustellen). Mit dem Freiheitsentzug ist dem Delinquenten gleichwohl die Möglichkeit genommen worden, kriminelle Handlungen zum Ausgleich ausüben und dabei Ersatzbefriedigung generieren zu können, außer der gefängnisinternen Gewalt, deren Ursprung neben den frustrierenden Umständen im Vollzug ebenfalls hier zu sehen ist. Im Kern hat der Täter über die Gewalttat sein psychisches Defizit bearbeitet und versucht, eine – zwar ausschließlich temporäre und selbstverständlich gesellschaftlich inakzeptable – Kompensation herzustellen.
Der Begriff Kompensation muss in diesem Kontext weiter gefasst werden als nur auf das Merkmal des Ausgleichs. Eine Kompensationshandlung zum Ausgleich einer psychischen Schädigung und infolgedessen zur Stabilisierung des fragilen identitätsgemäßen Pseudogleichgewichts per Ersatzbefriedigung bedeutet (respektive impliziert) daneben Entschädigung, Wiedergutmachung, Ersatz, Abhilfe, Genugtuung, Satisfaktion, Abgeltung, Trostpflaster und Lückenbüßer zu sein.
Einfach gesagt: Dem Gefangenen wurde etwas genommen, das er für seine Lebenssituation grundlegend bedarf und deshalb braucht er etwas mindestens Gleichwertiges.
Übertragen auf eine erfolgreich verlaufende Resozialisierung heißt dies, dass dem Delinquenten alternative Angebote unterbreitet werden müssen, die identitäts- bzw. selbstwertstiftenden Charakter haben, um dergestalt einen Gegenpol zum psychischen Defizit und den verbundenen Kompensationen (kriminelles, gewalttätiges Handeln) zu erzeugen. Dieses Gegengewicht kann sich u. a. aus intensiver psychotherapeutischer Betreuung mit geeigneter Bezugsperson (en), aus Bildungs- und Fortbildungschancen, aus Arbeit, aus sinnvoller Beschäftigung und aus speziellen Aufgaben wie übertragenen Verantwortungen zusammensetzen, aber auch aus Komponenten, die außerhalb des Gefängnisses liegen, wie beispielsweise Unterstützung und das Aufzeigen einer Perspektive nach der Haftzeit durch das familiäre oder sonstige soziale Umfeld oder mittels neuer Kontakte (Sozialarbeiter, Gefangenenbetreuung seitens Ehrenamtlicher, potenzieller neuer Lebenspartner/Freundin bzw. Freund).
Читать дальше