Bei der Sanktionierung und Resozialisierung spielen die sogenannte Besserungsfähigkeit und generelle Therapierbarkeit die Schlüsselrolle. Diese Voraussetzungen sind von der offensichtlichen Bereitschaft und vor allem von der faktischen Therapierfähigkeit abhängig. In diesem Kontext ist gerne von der Unverbesserlichkeit der jeweiligen Menschen die Rede, die deshalb in lebenslange Sicherheitsverwahrung überstellt werden sollen.
Wie bereits mit dem genannten Begriff „Irreversibilität“ angeschnitten, gibt es psychische, von den biochemischen Prozessen definierte Deformationen, die im normalen, real existierenden Vollzug, der im Gesamtbild auf Repression ausgerichtet ist, nicht mehr in den Griff zu bekommen sind. Die Pharmakologie versucht hier zwar steuernd mit den angezeigten Arzneimitteln einzugreifen, aber dies ist – zumindest Stand heute – bloß in einem begrenzten Ausmaß möglich und wirkungsvoll.
Es muss aber ebenfalls konstatiert werden, dass bei manchen psychischen Konstellationen von – so bezeichneten - hoffnungslosen Fällen gesprochen werden kann bzw. muss, auch sofern ein grundsätzlich therapiegeeignetes Umfeld inner- und außerhalb des Gefängnisses gegeben ist. Diese Menschen wehren sich bewusst und unbewusst, mitunter mittels Einbeziehung großer „schauspielerischer Kompetenz“, indem die Bereitschaft zur Therapie einzig vorgeschoben wird. Jene Personen sind Meister im Täuschen und Vorspielen, weil sie diesbezüglich von klein auf wegen der notwendigen permanenten Verteidigung ihres stark gefährdeten identitätsgemäßen Pseudogleichgewichts reichlich Erfahrungen sammeln konnten oder besser mussten. Das Schauspielen entspricht einer psychischen Reaktionsform und ist eine Antwort auf die psychische Schädigung.
Diese Totalresistenz gegen Therapie und folglich gegen Veränderung ist auf die – unbewusste – essenzielle Angst zurückzuführen, den zwar äußerst fragilen, allerdings trotzdem sicherheitsvermittelnden identitätsgemäßen Status quo zu verlieren. Die Ratio wird gänzlich in den Fängen der kranken Psyche gehalten und ist nicht in der Lage, sich auch nur in Teilbereichen zu befreien und eine wenigstens bedingte echte Eigenständigkeit zu erreichen, was indes die Grundbedingung für eine Therapiefähigkeit ist.
Aus energetischer Sicht betrachtet: Die verfügbaren Energien genügen nicht, um sich auf eine Therapie einlassen zu können, da sie komplett in der – so weit wie machbaren - Aufrechterhaltung des höchst fragilen identitätsgemäßen Pseudogleichgewichtes mit seinen zahlreichen psychischen Reaktionsformen (u. a. auch die Instrumentalisierung der Ratio durch die Psyche) gebunden sind. Sinnbildlich ist der Zugang zur Person durch einen schier uneinnehmbaren Schutzwall von Verdrängungsreaktionen verwehrt bzw. verbaut.
Die Feststellung der konkreten Therapierbereitschaft und demnach ebenso –eignung stellt für den psychologischen Sachverständigen aus den genannten Ursachen und Kausalitäten ein schwerwiegendes Problem dar, mit dem Ergebnis, dass eine Beurteilung und Einschätzung immer ein zweigleisiges Risiko sein wird, einerseits das Sicherheitsrisiko für die Gesellschaft, andererseits das Risiko einer dem Täter verwehrten Chance zur Resozialisierung.
Das – theoretische - Resozialisierungsmodell geht davon aus, dass Verbrechen dann verhindert werden können, sofern an den (vermeintlichen) Wurzeln von Kriminalität angesetzt wird. Diesem leicht nachvollziehbaren Ansatz ist zweifellos beizupflichten, jedoch müssen dann die Motive für Kriminalität sowohl in ihrer unumgänglichen Tiefgründigkeit (u. a. energetische Grundlagen und Determinierungen) wie mit ihrer gesellschaftlichen Verflechtung und Involvierung berücksichtigt werden.
Theoretisch deshalb, zumal Postulat und Realität sehr weit auseinanderklaffen. Die Freiheitsstrafe setzt dem Resozialisierungsziel klare Grenzen, weil die richtigerweise auf Selbstbestimmung, Selbstständigkeit, positive Motivierung und Eigenverantwortung zielende Resozialisierung im Vollzug genau diese Ziele aus organisatorischen und wirtschaftlichen Anlässen und wegen Sicherheitsaspekten nicht fördert. Repression, Angst, Regression und Abhängigkeit sind die Normalität im Gefängnis und verdeutlichen dergestalt die gesellschaftliche Doppelmoral, die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit.
So bilden sich zwangsläufig die Basis und der Nährboden für eine hohe Rückfallquote, die in der Konsequenz noch mehr destruktiven Charakter im Alltag des Gefangenen ergibt. Aber Destruktivität ist für diese Personen extrem kontraproduktiv, da sie selbst in ihrem Inneren destruktiv sind und solchermaßen lediglich eine weitere Manifestation und Verstärkung der psychischen Problematik stattfindet.
De facto ist der Strafvollzug in der Regel für den Gefangenen eine (negative) Bestätigung der Art von Erfahrungen, die ihn im Ergebnis in das Gefängnis gebracht haben, da sie ursprünglicher Auslöser bzw. Triebfeder der Straftat waren (Stichwörter: Entwertung, Demütigung, Bestrafung, Abhängigkeit, usw.).
Resümierend muss festgestellt werden, dass Fälle erfolgreicher und nachhaltiger Resozialisierung nicht aufgrund, bestenfalls trotz Gefängnisstrafe gelingen und dies nur, sobald sich gefängnisinterne und externe, umweltgemäße Konstellationen günstig und glücklich fügen.
Wechselwirkungen und Wahrnehmungsunterschiede der differenten Lebenswirklichkeiten
Jeder Mensch ist mit vier unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten konfrontiert, die zeitlich nicht abgetrennt und isoliert nebeneinander existieren und damit klar voneinander abgegrenzt werden können, sondern in Mischformen bzw. in überlappender und auch überlagernder Weise meist zeitgleich gegenwärtig sind.
Der Mensch lebt dank der verschiedenen Lebenswirklichkeiten parallel in mehreren Welten, ohne dies einerseits wahrzunehmen und ohne auf der anderen Seite die Wahrheit hinter der Wahrheit zu kennen oder zu erkennen.
Mit anderen Worten: Der Mensch weiß weder, was zur ursächlichen Lebenswirklichkeit geführt hat noch, welchen determinierenden Einfluss die ursächliche auf die tatsächliche, die individuelle und die wahrnehmende Lebenswirklichkeit hat.
Ursächliche Lebenswirklichkeit
Die ursächliche Lebenswirklichkeit ist ein unumstößliches Faktum, das wie eine graue Eminenz – und unabhängig von der bewussten Wahrnehmung – permanent vorhanden ist, weil sie Teil der menschlichen Grundstruktur und infolgedessen im erweiterten Sinne Erbgut ist.
Diese grundsätzliche Lebenswirklichkeit wird von den psychischen Basis- bzw. Elementarbedürfnissen und der Notwendigkeit zur ausreichenden Befriedigung entsprechend dem menschlichen Baukasten und der Identitätsproblematik (Stichwort: Urangst) definiert und ist für jeden Menschen auf dieser Welt überall dieselbe (siehe ausführliche Beschreibung der psychischen Grundbedürfnisse in vielen der vorherigen Kapitel).
In der Menschheitsgeschichte im Allgemeinen und in den modernen Gesellschaften im Speziellen ist die Präsenz der ursächlichen Lebenswirklichkeit zunehmend in den Hintergrund gerückt und wurde von der sich entwickelten (also nicht ursprünglich gegebenen), tatsächlichen wie individuellen und der überwiegend bewusstseinsbestimmten, wahrnehmenden Lebenswirklichkeit stark überlagert.
Ein Deutungsversuch: Die ursächliche Lebenswirklichkeit ist immer mehr ins Hintertreffen geraten, da die Auseinandersetzung mit der Identitätsproblematik (Stichwort: Sinnfragen) sich sowohl höchst beschwerlich wie Energie absorbierend gestaltet hat und im Resultat keine verbindlichen und befriedigenden Antworten gegeben werden konnten. Andererseits hat die Religion dem Menschen vermeintliche Antworten geliefert bzw. ihm diese abgenommen und so konnte er der Religion Verantwortung übertragen.
Obwohl die ursächliche Lebenswirklichkeit bloß noch unterschwellig und – bildlich formuliert – zugedeckt und meist nicht offensichtlich, hingegen weitgehend im Verborgenen respektive im Hintergrund besteht, hat sich ihre Bedeutung und Wichtig-/Notwendigkeit für den Menschen wie ihre Wirkungsweise und –kraft im Lauf der Zeit (= Menschheitsgeschichte) nicht bzw. lediglich unwesentlich geändert und ist nach wie vor die unbewusste, dirigierende Taktgeberin und das prägende wie dominierende Element für das menschliche Leben.
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