Der dicke Bernd, der bei diesen Partys wie immer den unterwürfigen Kellner spielte, obwohl jeder in der Stadt wusste, welch ein genialer Ingenieur er war, kümmerte sich an diesem Abend um diesen kleinen Bruder von Susana. Die Beiden waren so grundverschieden, dass sie sich eigentlich gar nicht mögen konnten. Doch an diesem Abend legte er seinen Arm freundschaftlich auf seine Schulter und versuchte ihn zu trösten.
An diesem Abend wartete ich auf Frank. Immer wenn neue Gäste kamen, hielt ich nach ihm Ausschau.
Es war so, als hätte ich als Susannes beste Freundin, nun irgendetwas mit ihm zu tun.
Dieser Gedanke beängstigte mich ein wenig, da ich Susanas Freund selbst als ihre beste Freundin, so gut wie überhaupt nicht kannte. Diese Gedanken verhinderten dann allerdings auch, dass ich mich auf die offensichtlichen Angebote eines dieser Spanier einließ, die mehrmals im Jahr geschäftlich nach Deutschland kamen und dann von Anasev zu seinen Partys in sein Privathaus eingeladen wurden.
Wenige Tage später, auf Susannes Beerdigung, sah ich dann Frank für Augenblicke an ihrem Grab.
Frank kam etwas später. Ich spürte ihn schon, als er noch weit hinter uns diesen Friedhof betrat. Als er dann an ihrem Grab stand, wurde mir kalt. Er hob kurz seine gefalteten Hände auf Brusthöhe, verbeugte sich tief, warf eine Hand voll Erde auf ihren Sarg, sah nur einen kurzen Augenblick zu uns und Susanas Familie herüber und ging dann wieder, wie er gekommen war.
Seine Augen waren dunkel und fremd wie Steine am Wegesrand an verregneten Novembertagen.
Susanna hatte Recht, als sie mir Frank einmal so beschrieb, längt bevor ich ihm zum ersten Mal begegnete.
Eine Musikgruppe in schwarzen Anzügen spielte zum Abschied ihre damaligen Lieblingslieder
„Niemals geht man so ganz und Knockin On Heavean s Door“
und ich sah, wie der dicke Bernd weinte und ihr Bruder fast in sich zusammen brach und ich sah Anasev wie er Frank sehr lange nachsah.
Doch unsere Partys bei Anasev oder sonst wo, gingen weiter. Wir hatten uns an dieses leichte Leben gewöhnt. Vielleicht, vielleicht weil mir Susanne nun in meinem Leben fehlte, ließ ich mich auf ihren kleinen Bruder ein. Vielleicht aber auch nur, weil ich mich nach meiner letzten Beziehung zu einem in unserer Stadt bekannten Architekten, mehr als gedemütigt fühlte und Heinrich, als zukünftiger Erbe einer kleineren Schuhdynastie, mir die Stellung in dieser young urban professional Gesellschaft erhalten konnte. Heinrich hasste Frank, den Mann seiner Schwester und gab ihm die Mitschuld an ihrem Tod. Immer wenn er betrunken war drohte er damit, es diesem Kerl heimzuzahlen. Nüchtern litt er unter seinen Minderwertigkeitsgefühlen.
Er hatte es fast immer erreicht Susannes Beziehungen, meist schon vor ihrer Entstehung zu verhindern. Nicht selten spielte Geld dabei eine Rolle. Doch oft reichte schon seine permanente Anwesenheit, seine guten geschäftlichen Beziehungen oder seine ständigen Wutanfälle, wenn er betrunken war.
Dann, irgendwann, stand dann an einem verregneten Novembertag dieser groß gewachsene junge Mann neben ihr und man spürte förmlich, wie das Leben mit jedem Tag mehr in Susanne zurückkehrte. Dieser war dann plötzlich nicht mehr bereit auf Nebensächlichkeiten wie ihre Freundinnen, oder kleine Brüder Rücksicht zu nehmen.
Sie folgte seinen großen Schritten und er gehörte sichtbar zu ihr, wenn er alles überragend dann irgendwo neben ihr stehen blieb.
Mit der Sicherheit dieser Beziehung veränderte sie ihr und damit auch das Leben ihrer Freunde und Freundinnen grundlegend. Neben unseren Treffen bei Partys beim Sushi Japaner oder im Blauen Café zum Sektfrühstück, fuhren wir nun auch zu Demonstrationen gegen den Golfkrieg, gegen das Waldsterben und verbrachten viele, oft bitterkalte Nachmittage, bei Veranstaltungen gegen Frauendiskriminierung oder für die Befreiung der Hunde und Katzen aus einem nahe gelegenen Tierversuchslabor.
Unsere erfolgloseste Aktion in dieser Zeit war wohl die geplante Befreiung von gut 10 000 Hühnern aus ihren Legebatterien.
Als wir mit Parka und alten Jeans verkleidet mit unseren Porsche und anderen Cabrios an diesem Hühnerhof vorfuhren, wurden wir von den dort schon anwesenden wirklichen Tierschützern aufgefordert, das Gelände schnellstmöglich wieder zu verlassen. Sie hatten Angst wir würden durch unsere Anwesenheit den Ernst ihrer Aktion in Frage stellen. Sie wollten keine Party feiern. Sie meinten es wirklich ernst. Und am nächsten Tag konnten wir in der Zeitung lesen, dass es bei dieser Aktion einige Verletzte gab, als die Polizei kam und das Gelände mit Knüppel und Faustschlägen recht unfriedlich räumte.
Wenige Tage später brannte der gesamte Geflügelhof ab und alle 10 000 Hühner kamen qualvoll und elendlich zu Tode.
Die Ursache für den Brand war ein defektes Stromkabel das wohl einer der Demonstranten heruntergerissen hatte, als er über das Dach in diesen Hof einsteigen wollte um diesen Hühnern ihre Freiheit zu schenken.
Damals waren dies unsere Themen, wenn wir uns trafen und Susana nahm dies alles bitter ernst. Wenn sie bei Konzerten auf seinen Schultern saß, war sie zweifellos für Augenblicke die Allergrößte.
Obwohl ich etwas Angst davor hatte sie als meine Freundin zu verlieren, freute ich mich ehrlich für Susan. Sie spürte es wohl und kümmerte sich noch mehr um mich, als jemals zuvor. Aber sie sprach so gut wie nie über Frank. Er gehörte allein ihr und sie wollte ihn selbst mit Worten nicht mit mir teilen.
Etwa ein halbes Jahr nach Susanas Beerdigung traf ich Klaus spät abends in einer verrauchten Bahnhofskneipe. Ich war auf dem Nachhauseweg und entdeckte ihn zufällig durchs Fenster. Er war der Sohn des Bürgermeisters und jahrelang Susanas große Liebe. Während ihres Studiums wohnten er und Frank zusammen mit wechselnden anderen Mitbewohnern einer Wohngemeinschaft, in einer alten Villa am Stadtpark. Dort hatte Susanna wohl auch Frank kennen gelernt. Lange sah es auch so aus, als würden Klaus und Susana zusammen bleiben. Aber er war wohl mit ihrer Krankheit und ihrem ständig nervenden Bruder irgendwann überfordert. Als er nicht mehr konnte, oder wollte, hat ihn Susana regelrecht bedrängt. Sie hat ihm überall wo sie ihn vermutete aufgelauert und ihn ständig mit Anrufen belästigt.
Im Gegensatz zu Frank hatte Klaus sein Studium kurz vor dem Examen abgebrochen. Er ließ sich irgendwann die Haare wachsen, trug verwaschene Parkas und es war in der Stadt ein offenes Geheimnis, dass er mit Drogen handelte.
Diese Art von Kneipen gehörte damals absolut nicht in meine Welt. Es kostete mich einige Überwindung, aber ich hatte nichts Besseres vor und ich wollte die Gelegenheit nützen Klaus die Fragen zu stellen, auf die ich keine Antwort wusste. Als ich mich an seinen Tisch setzte, sah er mich mit leeren glasigen Augen an.
„Du warst nicht auf Susanas Beerdigung, jedenfalls habe ich dich nicht gesehen. Du hast eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt. Ich denke, du hättest dich von ihr verabschieden müssen. Hat Susana dir in all den Jahren eigentlich jemals irgendetwas bedeutet? Ihr kanntet euch schon seit Kindertagen. Ihr ward lange ein Paar von dem die ganze Stadt sprach. Und dann kommst du nicht einmal zu ihrer Beerdigung. Ich kann es einfach nicht glauben, dass du dich nicht von ihr verabschieden wolltest. Du warst einer der wichtigsten Menschen in Susannas Leben“
Klaus sah mich an, als hätte er meine Frage nicht verstanden und meine Anwesenheit war ihm sichtlich unangenehm. Er schwieg lange, bevor er doch noch antwortete.
„Mein Gott Bille, als ich dich das letzte Mal sah, hast du auf einer Party bei Anasev auf dem Dachgarten getanzt und dein langes blondes Haar wehte im Sommerwind und du hast der ganzen Welt den größten Teil deiner Brüste gezeigt. Ich habe den Tänzer beneidet. Mein Gott, das ist schon so lange her. Denke, es war nicht in diesem Leben. Und vielleicht auch nicht im Vorhergehenden.
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