Alle die ich einmal gut kannte waren anwesend und konnten mithören, als ich diesen schon älteren graumelierten Mann in grauem Armani Anzug fast auf Knien um den Schlüssel zu meiner Wohnung bat.
„Jetzt verfolgt mich diese blöde Kuh auch noch bis hierher. Kann jemand dafür sorgen, dass diese Schlampe von hier entfernt wird?“
Es ist nicht einfach zu beschreiben, was ich in diesen Augenblicken fühlte. Jedenfalls war es keine Wut. Es war eine plötzliche Stille in der sich die Welt ganz langsam vor meinen Augen zu drehen begann. Dann spürte ich einen Schmerz in meiner Brust für den es eigentlich keinen realen Grund gab. Und dann wollte ich nur noch fort von diesem eigenartigen Ort.
Doch dann spürte ich eine Hand an meiner Schulter, die mich sachte zur Seite schob. Neben mir stand nun Frank und neben ihm sein vom Regen stinkender schwarzer Hund. Die beiden Männer sahen sich dann einige Sekunden schweigend an, und der eine übergab dann wortlos den Schlüssel an den Anderen.
Ich sah in das hasserfüllte Gesicht einer jungen blonden Frau, die an der Bar saß und hörte wie aus weiter Ferne die Stimme von Anasev, der die Beiden aufforderte sein Haus zu verlassen. Der dicke Bernd brachte mir ein Glas Sekt und wir sahen einen kurzen Augenblick einem alten Mann und einem jungen langbeinigen blonden Mädchen in kurzem Röckchen nach, als sie über den Wintergarten verschwanden.
Danach war wieder alles so, wie es schon immer war. Zumindest für die meisten anderen. Es war dann auch keine Überraschung, als sich der ebenfalls anwesende Heinrich plötzlich wieder für mich zu interessieren schien. Er winkte mir freundlich lächelnd zu, aber ich winkte nicht zurück. Frank nahm mir das volle Sektglas aus der Hand und bat mich an einen kleinen Tisch im Garten. Er hatte verschiedene Speisen vom Büffet geholt und eine Flasche Rotwein geöffnet.
„Ich wusste von deinen Problemen mit diesem Architekten. Wir alle wussten es. Ich denke, es ist gut, dass du heute Abend gekommen bist.“ „Und wenn ich nicht gekommen wäre?“ , fragte ich ganz leise zurück. Frank antwortete nicht auf diese Frage.
„Ich habe diesen Heinrich darum gebeten, seinen stinkenden schwarzen Hund wieder an sich zu nehmen, aber er behauptet diesen Hund noch nie zuvor in seinem Leben gesehen zu haben.“
Darauf konnte dann ich nicht antworten. Ich lehnte mich zurück, betrachtete den Nachthimmel und hätte erstmals seit Wochen wieder einmal lachen können. Doch wenn man erst einmal so tief unten ist, ist dies nicht so ohne weiteres möglich. Etwa eine halbe Stunde später kamen weitere Gäste. Ein Mann, der fast noch spanischer aussah als sein König Carlos und seine Tochter mit langen schwarzen Haaren und fast ebenso großen schwarzen Augen betraten den Garten, wie es eben nur königliche Hoheiten, oder stinkreiche spanische Wirtschaftsbarone tun.
Anasev begrüßte beide freundschaftlich, aber mit einer gewissen Distanz und führte sie an seinen Tisch im Garten. Ich sah wie der dicke Bernd in seinem neuen Anzug seine Krawatte zurecht rückte, sich mit einem Glas Sekt wohl Mut antrank und dann die beiden ebenfalls mit Handschlag begrüßte und bei der Tochter so etwas ähnliches wie einen Handkuss andeutete. Als im hinteren Garten die ersten zu tanzen begannen, spürte ich die Blicke vom Sohn des Bauunternehmers, den ich zuvor noch nie auf irgendwelchen Partys gesehen hatte. Er saß mir mit Blickkontakt gegenüber an der kleinen Bar und war wohl nun der Meinung, dass jetzt seine Stunde gekommen war.
Wie es für ihn wohl üblich war, fragte er meinen vermeintlichen Begleiter Frank, ob er mit mir tanzen dürfte. Als dieser natürlich nichts dagegen hatte nahm er mich an der Hand und führte mich zur Tanzfläche. Über seine Schulter hinweg sah ich dann wie zwei mir fremde Männer in teuren Anzügen ebenso höflich wie die Spanier zuvor von Anasev begrüßt wurden und ich sah, wie der eine, der wie ein amerikanischer Manager aussah zuerst an Franks Tisch ging, ihm freundschaftlich gegen die Schulter boxte, bevor er sich dann wie der Andere neben die spanischen Gäste setzte.
„Das ist Mr. Jhonnson und der Dicke Dr. Dr. Wenezelsberger, die beiden oberen Chefs von Anasev, Bernd und deinem Frank und eigentlich auch von mir, aber um mich geht es heute Abend nicht. Und die Spanier sind die Familie Santosa aus Barcelona. Textilbarone aus Spanien, mit Baumwoll- und Weingütern so weit das Auge reicht. Sie sind extra wegen der Projektübergabe aus Barcelona angereist. Jhonnson kam deswegen gestern aus den Staaten. Aber das weiß du ja sicher alles viel besser als ich. Wir haben die drei Jungs in der Firma bewundert und heute Nachmittag gebührend gefeiert. Sie haben sich gegen alle anderen Projektgruppen durchgesetzt. Sie standen in Konkurrenz zu Entwicklungsabteilungen in Schweden, Singapur und in den USA. Sie haben das Ding durchgezogen und an unserem Standort viele Arbeitsplätze gesichert. Zu der Feier heute Nachmittag in der Firma kamen wir alle mit einer roten Fliege, wie sie Anasev immer trägt. Selbst die Frauen und Mr. Jhonnson hatten sich welche umgebunden. Ich habe mich sehr gefreut, als mich Anasev dann persönlich, neben all den wichtigen Leuten, zu dieser Abschlussfeier eingeladen hat. Anasev ist der Leiter dieses Projekts und wird wohl in nächster Zeit sehr oft nach Barcelona reisen müssen. Doch alle in der Firma halten den dicken Bernd für das eigentliche Genie. Dein Frank hat nur sehr wenige private Kontakte zu seinen Kollegen. Doch die, die mit ihm geschäftlich zu tun haben, sprechen in den höchsten Tönen von ihm. Ich denke wie viele, dass ohne Frank das Ganze heute nicht stattfinden würde. Wenn es Probleme gab und wir Fragen hatten, gingen wir zu ihm. Wir wussten er würde sich die Zeit nehmen und er ließ uns nie spüren, dass er unser Vorgesetzter war. Er behandelte uns immer auf Augenhöhe und gab uns das Gefühl, wichtig zu sein.“
Doch Anasev hatte offensichtlich nicht nur den Sohn des Bauunternehmers zu dieser Feier eingeladen. Es kam dann nach und nach die halbe Firma in seinen Dachgarten. Sie kamen in kleinen Gruppen, sahen alle irgendwie ähnlich aus, mit ihren nach hinten gebundenen kleinen Zöpfen, ausgebeulten Designerhosen und offenen weißen Hemden. Und sie blieben unter sich, so wie sie gekommen waren. Erst auf den zweiten Blick konnte man unter ihnen auch das weibliche Geschlecht entdecken. Sie trugen meist halbhohe, schwarze Stöckelschuhe unter ihren zu kurzen Jeans und fühlten sich somit wohl auf Augenhöhe mit ihren männlichen Arbeitskollegen.
Irgendwann hatte ich plötzlich keine Lust mehr mit dem Sohn des Bauunternehmers zu tanzen. Plötzlich fühlte ich mich völlig verloren unter all diesen fremden Menschen, die einen Anlass feierten, zu dem ich absolut nichts beigetragen hatte. Ein klein wenig erschrak ich über dieses mir fremde Gefühl. Bis vor wenigen Wochen, bis zu Susannas Tod, war genau dies meine Welt und es war eigentlich genau der Ort und die Stunde am Abend in der mein eigentliches, wirkliches Leben begann. Erst jetzt war mir wieder bewusst, weshalb ich eigentlich in dieses Haus gekommen war.
An Franks Tisch saßen nun seine Arbeitskollegen und es gab dort keinen Platz mehr für mich. Für eine für mich lange Zeit stand ich dann orientierungslos und verlassen in Anasevs Garten und wusste nicht, was ich nun tun sollte. Bis, bis der dicke Bernd neben mir stand und mir ein Sektglas in die Hand drückte und mich an seinen, den der Spanier und den Tisch von Dr. Dr. Wenezelsberger führte. Und ich wusste, welche Rolle ich nun zu spielen hatte und war irgendwie schon bereit den in mich gesetzten Erwartungen zu entsprechen.
Und wie erwartet spürte ich dann auch irgendwann Dr. Dr. Wenezelsberger Hand, vor den Anderen verborgen, auf meinem Knie. Doch dann setzte sich Frank überraschend auf die andere Seite des Tisches und ich spürte die Unsicherheit dieses Wenezelsberger, der schnell seine Hände wieder zu sich nahm.
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