Und dann war da noch Anasev Tschchikwischwili, ein Geschäftsmann aus Deutschland, der mir erzählte, er wäre eigentlich Georgier, und der immer eine passende Fliege zu seinen Anzügen trug. Mein Vater vertraute ihm und er freute sich auf seine Besuche in Barcelona. Und Anasev kam dann irgendwann auch, wenn es dazu keinen geschäftlichen Anlass gab.
Und ich erzählte Frank von unseren gemeinsamen Tagen in unserem kleinen Haus am Meer und meinen Hoffnungen und Träumen mit Anasev den Mann gefunden zu haben, mit dem ich für immer zusammen bleiben wollte. Ich erzählte Frank aus meinem Leben, so als würde ich mir dieses Leben selbst erzählen. Es tat mir gut endlich einmal all das auszusprechen, für das ich in meinen Gedanken in all den Monaten keine Erklärung finden konnte. Zeitweise vergas ich Frank neben mir. Für Augenblicke war ich wieder in jene Welt zurückgekehrt, in der Anasev noch eine wichtige Rolle in meinem Leben spielte. Ich erzählte diesem Mann an meinem Tisch die Träume, die ich mit einem anderen Mann träumte, als ich in seinen Armen lag, guten Rotwein trank und auf ein blaues Meer hinaus schaute und unsagbar glücklich war. An diesen Abenden und in diesen wenigen Nächten planten wir unsere Zukunft, bis ans Ende unserer Tage. Wir wollten gemeinsam die Welt bereisen. Im Alter wollten wir uns darauf beschränkten, in diesem Haus am Meer zu wohnen und uns nur noch um die neuen Rebsorten in unseren Weinbergen kümmern.
Als ein Kellner unser Essen an den Tisch brachte, sah ich in Franks fragende Augen. Er sah mich an, als hätte ich ihm gerade eine schreckliche Nachricht überbracht.
Obwohl ich fest davon überzeugt war, hatte Frank offensichtlich wirklich keinerlei Ahnung von meiner früheren Beziehung zu Anasev.
Es folgte ein langes Schweigen und ich hatte Angst vor dem, was er nun sagen würde.
„Ich kenne Anasev nicht gut genug, um mit dir über ihn zu sprechen. Ich habe nicht gewusst, welche Rolle er in deinem Leben spielt. Aber eigentlich weiß ich nicht einmal so genau, welche Rolle er in meinem Leben spielt. Wir sind Partner in einer Firma mit drei Teilhabern, die sich so fremd geblieben sind, wie man es nur sein kann. Wir arbeiten zusammen, planen gemeinsam Projekte und sind dabei sehr effektiv und recht erfolgreich. Keinen von uns interessiert es, wer der andere ist. Wenn ich in Cádiz arbeite, werde ich gelegentlich von den Arbeitern in ihre Familien zum Essen eingeladen . Ich bringe dann den Kindern kleine Geschenke mit. Schon nach wenigen Minuten fühle ich mich dann nicht mehr fremd, an den Tischen dieser Menschen, mit denen ich tagsüber gemeinsam viel Zeit verbringe. Selbst die Hunde bellen nicht mehr, wenn ich zum zweiten Mal komme, und die Kinder haben dann kleine Geschenke für mich vorbereitet. Doch wenn ich mich in Deutschland auf meine Arbeit hier vorbereite, freue ich mich nicht auf diese Abende. Und wenn ich demnächst meine Aufgabe erfüllt habe, werde ich mir auch um diese Menschen keine Gedanken mehr machen und vermutlich ihre Gesichter sehr schnell wieder vergessen. Doch jeder einzelne dieser Menschen hier in Cádiz steht mir näher, als es Anasev jemals sein könnte. In der Welt in der zu leben mich Anasev überredet hat, gibt es nicht viel was Bestand hat. Es ist alles wie ein Spiel, das ständig neu beginnt, in dem jeder seinen Preis hat und das offensichtlich keiner gewinnen kann. Ich denke, Anasevs Preis ist mir zu hoch geworden. Vielleicht ist es für mich an der Zeit, dieses Spiel endlich zu beenden.“
Ich wusste nicht was er mir mit all dem sagen wollte. Mein Eingeständnis vor ihm mit Anasev zusammen gewesen zu sein, hatte ihn offensichtlich tief verletzt.
Obwohl wir danach beide versuchten so zu tun, als hätte es dieses Gespräch nie gegeben, war zwischen uns nichts mehr wie zuvor.
Ich hätte ihm an diesem Abend gerne gezeigt, dass Anasev in meinem Leben nicht mehr die Rolle spielte, wie er es nach meinen Erzählungen nun annehmen musste. Doch er ließ es einfach nicht mehr zu.
Er brachte mich dann am nächsten Tag zum Flughafen und als wir uns verabschiedeten sah ich in diese schwarzen Augen, die mich nicht mehr wirklich sehen konnten. Aber wie immer, verabredeten wir uns für ein nächstes Mal.
Seine traurigen Augen sah ich dann wieder, als wir uns zum letzten Mal in Cádiz trafen. Ich sah sie schon, als ich in Cádiz ankam und er mich in seine Arme nahm.
Er war an diesen Tagen so freundlich und zärtlich wie immer. Aber er war in Gedanken nicht mehr bei mir.
An unserem letzten Abend am Meer wollte er mir mehrmals etwas sagen, aber ich wollte es nicht hören. Ich ließ ihn für einen Augenblick spüren, mit welchem Hochmut ich ausgestattet war. Ich zeigte ihm die Frau, die Fabriken, Ländereien und Weinberge besaß. Ich fragte ihn nach dem Stand der Arbeit, für die er von unserer Firma fürstlich bezahlt wurde. Ich wollte von ihm im Detail wissen, was in den letzten Wochen seit meiner Abreise von ihm geleistet wurde. Ich spielte dieses eigenartige Spiel, obwohl ich genau wusste, dass ich es nur verlieren konnte. Frank sah mich nur lange schweigend an, stand dann auf und ging.
Als er die Türe hinter sich schloss, wusste ich, dass ich ihn für immer verloren hatte.
Ich blieb dann noch mehrere Tage alleine in dieser mir nun plötzlich fremd gewordenen Stadt. Ich wollte, dass keiner sah, wie verletzt und traurig ich war.
Zurück in Barcelona, verbrachte ich viele Abende allein am Plaça del Rei, trank indischen Tee und aß beim Araber um die Ecke, als wäre es das Selbstverständliche dieser Welt. Ich vermisste Frank mehr als jemals einen anderen Menschen zuvor. Erst jetzt wusste ich, dass Anasev in meinem Leben nie wirklich so wichtig war wie ich lange glaubte. Er war der Traum eines kleinen Mädchens und spätestens in diesen Tagen war ich aus diesem Traum endgültig erwacht und war eine erwachsene Frau.
Und irgendwann ging mein Leben einfach weiter. Nach unzähligen Ablehnungen nahm ich eine Einladung von Philipp an und verbrachte das Wochenende in seinem Haus. Sein Vater war ein bedeutender Politiker und Phillip der geborene Diplomat. Scharmant, immer korrekt gekleidet mit
einem weltoffenen Lächeln und wäre wohl nach Anasev der Lieblingsschwiegersohn meines verstorbenen Vaters gewesen.
Mit Philipp kehrte ich wieder in dieses Barcelona zurück, das mir vertraut war. Wir gingen nun regelmäßig ins Gran Teatre del Liceu und ließen auch sonst keinen Anlass, oder Veranstaltung aus, um Menschen zu begegnen, die einmal für Philipps Kariere wichtig sein könnten.
Das Plaça del Rei und die Menschen die dort wohnten, wurden mir schnell wieder so fremd wie vor meiner Begegnung mit Frank.
Philipp war ein liebenswürdiger Mensch und vor allem, er versprach mir eine Zukunft, die ich mir vorstellen konnte. In der ich wusste, wie der nächste Tag für mich aussehen würde. Ein Leben in dem ich nicht auf irgendwen warten musste, sondern täglich ein Teil dieses Lebens sein konnte. Ich wollte endlich zur Ruhe kommen und einfach nur an der Seite eines Mannes leben von dem ich wusste, er würde mir einen Weg vorgeben, dem ich bedingungslos folgen konnte.
Ich war bereit mich auf ein ganz normales Leben einzulassen. Ein Leben, wie ich es mir erträumte, als ich noch in Salamanca studierte und es kaum noch erwarten
konnte endlich erwachsen zu sein.
Als es dann kam wie es kommen musste, waren wir Anderen darauf vorbereitet. Wir wussten, dass es eines Tages passieren würde und dass es nur eine Frage der Zeit war.
Susana stürzte sich an einem verregneten Novermbertag von einem Frankfurter Bankgebäude und noch am selben Abend besuchte ich die Party bei Anasev, so als wäre nichts geschehen.
Susannes Bruder kam erst sehr spät und war offensichtlich betrunken. Ich hatte nur wenige Minuten zuvor mit einem Spanier getanzt, den mir Anasev als Geschäftspartner aus Barcelona vorstellte.
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