Er brachte mich noch bis zu meinem Wagen, hielt mir die Türe auf und gab mit zu Abschied nur seine Hand wie einem Fremden, dem man zum ersten Mal begegnet.
Danach begann es wieder zu regnen. Obwohl es mir nicht leichtfiel, rief ich noch am selben Abend Anasev in Deutschland an und erzählte ihm, zuerst von den Fortschritten unseres Projektes, dann aber auch von meiner ganz persönlichen Begegnung mit seinem Mitarbeiter, der an seiner Stelle nach Barcelona kam. Er sagte :
„Pass auf dich auf. Er denkt und fühlt anders als wir. Wenn du dich auf ihn einlässt, wirst du einer völlig anderen Welt begegnen. Beruflich kannst du ihm absolut vertrauen. Ich denke, er ist der beste Analytiker, dem ich jemals begegnet bin. Doch mit dieser Logik, mit der er Computerprogramme schreibt, oder komplexe Projekte plant, lebt er auch sein Leben. Er lebt mit sich, und ist sich selbst genug. Frank stellt niemals Fragen. Und er gibt keine Antworten auf Fragen, die sein Leben, oder Gefühle betreffen. Ich kenne ihn nun schon viele Jahre, aber ich weiß nicht wer er wirklich ist. Wir sind Partner, die sich bedingungslos aufeinander verlassen können, aber wir sind niemals Freunde geworden. Sollten wir uns außerhalb unserer beruflichen Welt einmal zufällig irgendwo begegnen, ich denke, Frank würde wortlos an mir vorüber gehen. Er ist mit
Sicherheit nicht der Mann, mit dem du deine Abende verbringen solltest. Dann wenn du denkst du weißt wer er ist, steht er einfach auf und geht ohne ein Wort. Und Du wirst niemals wissen, wann und ob er jemals wieder zurückkommt.“
Nach diesen letzten Worten legte ich den Telefonhörer einfach auf. Ich hatte viele Tage zuvor nach Gründen gesucht, um Anasev anzurufen und mich nie getraut. Und nun rief ich ihn mitten in der Nacht an und wir sprachen fast ausschließlich über Frank. Irgendetwas war mit mir geschehen und ich wusste nur noch nicht, was es war.
Am nächsten Tag ließ ich mich nicht sehen, als er sich von diesen Männern und Frauen aus Cádiz verabschiedete, für deren Leben er nun ein Stück weit verantwortlich war. Ich sah ihre freundlichen Umarmungen und das hoffnungsfrohe Lächeln in vielen Gesichtern der Spanierinnen, als sie der große Deutsche kurz in seine Arme nahm und sie sich an ihn drückten. Ich sah die Achtung, die ihm die Männer entgegenbrachten, als sie sich die Hand gaben. Es war eine Achtung, scheinbar auf Augenhöhe, obwohl sie fast alle zu ihm aufschauen mussten. Ich sah vom Fenster aus, wie er mit seinen Augen nach mir suchte, bevor er in sein Auto stieg und zurück in die Stadt fuhr. Er ging wie er gekommen war. Er ging ohne große Gesten und ohne sich von einem von uns, die wir seine Auftraggeber waren, zu verabschieden. Seine Arbeit, für die er bezahlt wurde war getan und mehr konnten wir wohl nicht von ihm erwarten.
Mit einer Selbstverständlichkeit, als hätten wir uns verabredet, besuchte ich ihn dann spät abends in seinem Hotel und wir verbrachten diese Nacht mit derselben Selbstverständlichkeit, als würden wir uns schon ein halbes Leben lang kennen. Es war mir nichts fremd an ihm. Ich erlebte mit ihm eine Vertrautheit, wie ich sie nur noch vage aus meiner frühen Kindheit kannte. In seinen Armen vergas ich einfach die Zeit und es war mir plötzlich völlig gleichgültig, wer,
oder wo ich gerade war. Es blieben uns nicht viele Stunden, da er schon sehr früh zum Flughafen musste und da mich Anasev gewarnt hatte, war ich am nächsten Morgen auch nicht überrascht, als das Bett neben mir leer war.
Er war einfach gegangen, ohne sich von mir zu verabschieden und ohne mir auch nur eine kleine Nachricht zu hinterlassen.
Doch an diesem Morgen war ich mir schon ganz sicher, dass wir uns wieder begegnen werden und dies nicht unsere letzte gemeinsame Nacht gewesen war.
Dieser eine Abend mit Frank und diese kurze Nacht in seinen Armen, hatten mein Leben verändert. Ich hörte dieses Mal keine Engel singen und hatte keine Schmetterlinge im Bauch, wie nach der ersten Nacht mit Anasev in unserem Ferienhaus am Meer.
Jetzt war es mehr dieses Gefühl der Hoffnung auf eine bessere Zeit, wie ich sie auch in den Augen der Arbeiter aus Cádiz sehen konnte.
Wir trafen uns dann immer, wenn er beruflich nach Spanien kam. Ich erfand irgendwelche Vorwände, um zu ihm nach Cádiz zu reisen. In dieser Stadt kannte mich keiner und wir konnten uns frei bewegen. Wir wohnten in seinem kleinen Hotel am Meer, verbrachten unsere Abende in mit langen Spaziergängen und gelegentlich fuhren wir zum Baden an die schönsten Strände Andalusiens. Wir sprachen viel, aber er erzählte nur sehr wenig aus seinem eigenen Leben. Er war ein guter Zuhörer und alles was er sagte, erschien mir durchdacht und glaubhaft. Er war noch sehr jung, aber er sprach wie ein Mann, der schon viel Zeit damit verbracht haben musste, über sich und sein Leben nachzudenken. Und es schien so, als wäre er in diesen Tagen ebenso glücklich wie ich.
Eines der immer viel zu kurzen Wochenenden, an denen er nicht arbeiten musste, verbrachten wir in einem einfachen Hotel in der Nähe von Conil. Wir saßen abends in einem der unzähligen kleinen Restaurants in der Altstadt und ich erzählte ihm von meinem Leben bei meiner Mutter in Frankreich und meinen Jahren in Schweizer Internaten. Und ich erzählte ihm auch von den immer jünger werdenden Frauen an der Seite meines Vaters, die mir dann, wenn ich zu Besuch kam, wie einem Touristen die Gaudi Häuser erklärten, mit mir die Kathedrale Expiatori de la Sagrada Família besuchten und mich zum Einkaufen in die Rambla schleppten.
Am Ende der Promenade am alten Hafen, steht die Statue von Christoph Kolumbus und er wartete dort immer auf mich. Unter seinem strengen Blick verstummten dann meine Ersatzmütter meistens und hatten ihre Pflicht erfüllt. Mehr Barcelona kannten sie selbst nicht, oder wollten es mir nicht zeigen. So kannte ich die großen Festsäle und die umliegenden Haziendas von Barcelona, aber ich wusste so gut wie nichts über diese Stadt und die Menschen die in hier leben und die ich immer und überall als meine Heimatstadt ausgab.
Ich war hier geboren und in dieser Stadt lebte und arbeitete mein Vater. Es war immer mein Wunsch in seiner Nähe zu sein.
Doch eines Tages, zumindest für mich, ohne jede Vorwarnung, verließ meine Mutter Barcelona und nahm mich mit in ihr kleines Haus in der Bretagne. Sie war dort aufgewachsen und hatte dieses Haus hinter den Dünen am Atlantik, von einer Tante geerbt, die sie eigentlich nicht einmal kannte.
Die Trennung von meinem Vater tat mir sehr weh. Ich kannte die Gründe meiner Mutter damals noch nicht und ich verachtete sie, wie ein kleines Mädchen ihre eigene Mutter nur verachten konnte.
Nur wenige Monate nach ihrer Scheidung heiratete meine Mutter dann einen gewöhnlichen französischen Maler und Weinbauer und es war ihr nicht unrecht, als mein Vater darauf bestand, dass ich unter diesen Umständen nicht mehr bei ihr leben sollte. Ich erinnerte sie wohl zu sehr an diesen Mann, für den sie nur noch Verachtung empfand und dem sie in ihrem Leben nie mehr begegnen wollte.
Sie kam dann auch nicht zu seiner Beerdigung, obwohl ich sie in einem langen Brief eindringlich darum bat.
Dann studierte ich in Salamanca und wohnte auf einer Hazienda eines Jugendfreundes meines Vaters. Und immer, wenn ich zu Besuch nach Barcelona kam, waren die Frauen an der Seite meines Vaters jünger und zuletzt nicht mal mehr viel älter als ich selbst.
Und erst kurz vor Beendigung meines Studiums, besuchte mich mein Vater in Salamanca und bat mich nach dem Examen mit ihm gemeinsam seine Firma zu leiten. Was keiner wusste, er war damals schon krank und durch diese Krankheit wohl gezwungen sein bisheriges Leben aufzugeben,
oder zumindest grundlegend zu ändern.
Als ich dann endlich nachhause kam, gab es keine Frauen mehr an der Seite meines Vaters. Nun war ich es, der ihn auf seinen Geschäftsreisen oder Veranstaltungen begleitete. Und die Abende verbrachte er meist mit Freunden bei einem Glas Wein oder er ging mit ihnen auf die Jagt, bei diesen sie dann oft tagelang wie kleine Jungen durch die Wälder und Landschaften streiften, ohne jemals wirklich Beute zu machen. Aber vielleicht war das auch nicht unbedingt das Ziel dieser Unternehmungen. Es schien so, als würde er sich plötzlich selbst genügen. Es war, als würde er versuchen seine Zeit anzuhalten. Doch allzu viel Zeit blieb ihm dann nicht mehr. Doch für mich waren die letzten Jahre mehr, als ich jemals erhoffen konnte.
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