Die von Jean gezeichnete Maschine sah aus wie ein Tetraeder, an der daneben gezeichneten Person abgeschätzt etwa drei Meter hoch mit flachen Seiten. Offensichtlich leuchtete dieser Tetraeder, skizzierte Lichtstrahlen deuteten darauf. Die davor stehende Person hatte ein Amulett in der Hand, eine flache Scheibe mit einem darin befindlichen Körper. Eine daran befestigte dünne Kette hing herunter. Scheinbar drückte die Person mit ihrem Daumen auf die Mitte des Amuletts und zeigte damit auf die Mitte des Tetraeders.
Einer Pyramide gleich, leuchtend, gleißend, brennend für die Augen! Aber keine Angst, mit mutigem Schritt schreitend, hindurch auf die andere Seite. Die Reise nur ein Augenblick, doch sei gewarnt, ungewiss ist die Lage am Ort der Ankunft. Solltest Du den Weg wagen, suche nach den Wächtern der Tore. Sag, der Sohn von Mnen-Lor hat Dich gesandt.
Für die Ankunft erwartet Dich eine weitere Pyramide, und damit Du keinen Fehler machst, grün leuchtet die Richtung die Du wählen musst, rot hingegen leuchtet der Empfang.
Mike war nicht schlecht am Staunen. Konnten es doch zwei Maschinen gewesen sein? So ganz weit weg von der Beschreibung von Nourredine war dieser Eintrag nicht, auch wenn die Form nur grob der gefundenen Maschine entsprach. Die Farbe und Größe stimmten indessen gut überein.
„Opa, ist dir dieses Amulett bekannt?“
„Zeig mal her, was meinst du genau?“
„Hier, dieses Amulett, mit dem die Person auf die Maschine zeigt. Sieh auf diesen Ausschnitt, in dem die Hand der Person vergrößert dargestellt ist. Es sieht dabei so aus, als würde diese Person auf das Amulett mit dem Daumen drücken und es gleichzeitig in Richtung Maschine halten. Wie bei einer Fernsteuerung.“
„Hmmm...“ George hielt einen Moment inne. Er sah sich die Zeichnung in aller Ruhe an, führte sich das Notizbuch in unterschiedlichen Entfernungen vor Augen um Details besser erkennen zu können. Mit dem Alter hatten auch seine Augen nachgelassen, seine Brillen halfen nur auf bestimmte Entfernungen. Er hatte eine Lesebrille, eine Computerbrille – Joanne und George waren ebenfalls online, aus ihrer Sicht eine Selbstverständlichkeit – eine Brille zum Autofahren und eine Alltagsbrille. Jedoch war keine davon universell einsetzbar, jede half ihm nur innerhalb einer bestimmten Entfernung gut zu sehen. Er war weitsichtig, was für einen Bücherfreund sehr lästig war.
„Mike, ich denke ich erkenne es wieder. Ich meine ich hätte es in einer Schachtel die deine Großmutter aufbewahrt gesehen. Das ist schon eine Weile her, vielleicht weiß Joanne wo sie sich befindet.“
Mike riss George das Notizbuch aus der Hand und hastete die Treppe runter in die Küche.
„Oma, wo bist du? Ich muss dich was fragen!“
„Ich bin im Wohnzimmer, Mike. Warum so eilig? Ist etwas passiert?“
„Nein nein, aber hier, dieses Amulett, weißt du wo es ist? Opa meint, du hättest es in einer Schachtel aufbewahrt.“
Mike war durch die Tür zwischen Küche und Wohnzimmer gelaufen und saß inzwischen neben seiner Großmutter auf der Sitzcouch und hielt ihr das Notizbuch vor die Augen.
„Das ist doch die Kette von Georges Mutter! Sie trug sie besonders gerne sonntags. Mir hat sie nie gefallen, sie ist mir zu klobig, deswegen habe ich sie weggepackt. Ist das Jeans Notizbuch, das du da in deiner Hand hältst?“
Mike nickte mit dem Kopf und hielt es Joanne hin, die sich die Zeichnung ansah.
„Seltsam, dass hier genau so eine Kette erwähnt wird, vielleicht ist es sogar meine. Meine Schwiegermutter war sich nicht sicher, woher die Kette stammte, für sie war es einfach ein altes Familienerbstück. Sie muss im Dachstuhl in der Kommode neben dem großen Spiegel sein, dort bewahre ich unter anderem den alten Schmuck auf den ich nicht mehr trage. Soll ich mal nachsehen ob ich sie finde?“
Joanne hatte Mikes Wunsch von den Lippen gelesen.
„Ich komme mit!“ rief er. Und zum Großvater, der gerade die Treppe herunter stieg, entgegnete er:
„Zurück, wir gehen aufs Dach, dort ist die Kette. Oma weiß genau wo sie ist.“
George kehrte auf der Stelle um, und obwohl er erst ein paar Stufen abgestiegen war hatte Mike ihn im ersten Stock bereits erreicht. Joanne lief gemächlicher die Stiegen auf, Mike spurtete über den zweiten Stock ins Dachgeschoss.
„Oma, kann ich schon in der Kommode suchen?“ rief er von oben herab.
„Warte lieber, bevor du mir eine zu große Unordnung machst, will ich lieber selber nachsehen. Vor allem denke ich, ich weiß wo die Kette liegt. Du findest sie ja doch nicht.“
Inzwischen war auch George oben angekommen: „Ich bin gespannt, ob das wirklich das Amulett aus dem Notizbuch ist. Meine Mutter trug die Kette fast regelmäßig, ich habe aber nie daran gedacht, dass es die aus Jeans Notizbuch sein könnte.“
Joanne erklomm die letzten Stufen zum Dachgeschoss.
„So, macht Platz, lasst mich mal suchen.“ Sie grinste, denn sie sah wie ungeduldig Mike und George sie beobachteten. Sie öffnete eine Schublade der Kommode und holte einige Schachteln hervor.
„Wo habe ich sie versteckt? Ich dachte immer, sie sei in dieser Box.“ Sie sprach mehr zu sich selbst denn zu den anderen zwei. Die gemeinte Schachtel enthielt eine weiße Perlenkette, die gleich wieder unter einer anderen verschwand. Joanne öffnete und schloss unzählige Schachteln und Kästchen, und George wunderte sich, wie viel sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte.
„Ich wusste gar nicht, dass du soviel Schmuck hast“ rief er erstaunt.
„Tja, wenn der Herr immer nur die Nase in den Büchern hat, kann er das ja auch nicht merken.“
„Hier, ich habe sie gefunden, dass ist sie doch, oder?“
Sie reichte die Kette an George weiter der sie genau bemusterte.
„Jawohl, dass ist die Kette die meine Mutter getragen hat. Wie ähnlich sie der Kette in der Zeichnung von Jean aussieht.“
Mike sah sich die Kette in der Hand seines Großvaters an. Er wollte sie mit der Skizze vergleichen, doch nun fiel ihm auf, dass er das Notizbuch im Erdgeschoss vergessen hatte.
„Ich bin gleich wieder da, ich hole nur das Notizbuch.“
Mit einigem Krach rannte Mike die Treppen runter und wieder rauf. Kurz unterbrochen natürlich durch die Zeit die er brauchte um im Wohnzimmer das Buch zu greifen.
„Die Kette in der Skizze sieht genauso aus wie die von Uroma! Passiert etwas, wenn man in der Mitte draufdrückt?“ keuchte Mike, durch die Rennerei war er außer Atem.
„Nö!“ George drückte in der Mitte, am Rand, auf der Kante. Nichts passierte. Das Amulett war geformt wie eine dünne Linse aus dunkelblauem Glas, die einen Durchmesser von sieben und eine Dicke von einem Zentimeter in der Mitte hatte. Das Glas war umfasst durch einen Zentimeter breiten massiven Silberring, der am Rand gerade mal drei Millimeter dick war. Das Amulett war für seine Größe relativ schwer. An dem Rand war eine Öse angebracht durch die eine aus Silber bestehende Halskette geführt war.
„Willst du es mal probieren?“ fragte George Mike.
„Jupp, gib her.“ Mike versuchte wie George alles erdenkliche, drückte mit aller Kraft auf den Glaskörper, studierte die Seite mit der Beschreibung des Amuletts in Jeans Notizbuch, war der Meinung, dass er endlich verstanden hätte, wie es funktionieren würde, drückte wiederum auf das Amulett, aber was auch immer er unternahm, das Amulett blieb unverändert.
„Es klappt einfach nicht. Vielleicht ist das Amulett gar nicht der Schlüssel zu dieser Maschine sondern sieht nur so aus?“ warf Mike ein.
George blickte ihn an: „Das wäre natürlich eine Erklärung. Wenn man es analytisch betrachtet, eine Mechanik kann man daran nicht erkennen. Schade, ich dachte, wir haben das richtige Amulett. Wir haben doch davon kein zweites, oder, Joanne?“
„Nein, das ist das einzige. Jean hatte eine blühende Phantasie, seine wahre Herkunft hat er damit jedenfalls auf eine originelle Art und Weise geschickt verschleiert. Und genauso wie er die Kette – wer weiß woher sie stammt – als Schlüssel zu der Maschine aufgewertet hat, genauso wird es auch ein wie auch immer gearteter Gegenstand gewesen sein, der ihn zu der Maschine inspirierte. Aber es ist immer eine schöne Geschichte gewesen, die man seinen Enkeln abends am Kamin vorlesen konnte.“ Joanne lächelte dabei Mike an.
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