Franziska zu Reventlow - Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel

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Der Band versammelt zwölf Novellen und Skizzen mit viel Humor und Selbstironie, die zumeist aus dem turbulenten Boheme-Alltag der Fanny zu Reventlow geschöpft sind. Die mit anmutig kühler Nachlässigkeit und erfrischender Leichtigkeit erzählten Geschichten beweisen, dass die «Schwabinger Gräfin» nicht nur wegen ihres für die damalige Zeit so ungewöhnlichen, modernen Lebens noch heute von Interesse ist, sondern auch als stilsichere Autorin sorgfältig durchgeformter Prosa. Diese aus dem Leben gegriffenen Erzählungen verbinden beide Aspekte auf unterhaltsame und stets lohnenswerte Weise.-

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Franziska zu Reventlow

Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel

Novellen und Skizzen

Herausgegeben

von

Else Reventlow

Saga

Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel

Wir fanden ihn, nämlich Hieronymus Edelmann, auf einer spanischen Insel vor, wo er schon seit Jahren sein Wesen trieb. Wie er dahingekommen war? – Gott, wie man eben irgendwohin kommt, dachten wir anfangs. Und später wußten wir überhaupt nicht mehr, was von der Sache zu halten sei. Jedenfalls war er jetzt da, und keiner von uns war in der Lage gewesen, sich seiner Bekanntschaft zu entziehen.

Er pflegte, sobald ein Schiff ankam, an Bord zu erscheinen, nach Landsleuten oder anderen Fremden auszuspähen und ihnen dann ungesäumt seine Visitenkarte zu überreichen. Diese Visitenkarte bestand aus seiner Fotografie in Postkartenformat mit der schön stilisierten Unterschrift: Hieronymus Edelmann, und wirkte durch ihre von allem Hergebrachten abweichende Beschaffenheit etwas verwirrend, um so mehr, als die Fotografie ihm durchaus nicht ähnlich sah. Sie war auch nicht nach der Natur aufgenommen, sondern wie er sofort erläuterte, nach einem gemalten Porträt aus früheren Jahren, welches ihn mit mäßig entwickeltem Bart und in einem auffallend karierten Anzug darstellte, so auffallend kariert, daß der Beschauer alle weiteren Einzelheiten, wie zum Beispiel die Gesichtszüge, erst in zweiter Linie zu erfassen vermochte. Der Anzug war sicher schon längst aufgetragen oder ausrangiert, und sein Besitzer hatte sich inzwischen einen ungeheuren roten Bart wachsen lassen, der fächerförmig zugeschnitten war. Die einzige Ähnlichkeit bestand nunmehr in einem schwarzgefaßten Monokel, von dem er sich niemals trennte und das der Porträtist mit peinlicher Naturtreue versinnbildlicht hatte.

So kam es, daß der Ankommende ohne Ausnahme im ersten Moment etwas stutzig wurde und ratlos dastand. Hieronymus aber wußte sofort Rat, blickte ihn siegreich durch sein Monokel an und brachte die Bekanntschaft durch einige aufklärende Worte weiter ins Rollen.

Er bemerkte, daß er schon lange hier lebe und mit besonderem Vergnügen allen neuen Gästen behilflich sei, sich zu orientieren. – Ob man schon ein Hotel gewählt habe? Nein? Nun, dann könne es das Logierhaus »Zur schwankenden Weltkugel« unbedingt empfehlen, wo er selbst wohne und man gut untergebracht sei.

Das Resultat war fast immer das gleiche – noch halb betäubt von der Seefahrt, überwältigt von der außerordentlichen Erscheinung und Handlungsweise dieses Herrn, büßte man jede weitere Selbstbestimmung ein und endete im Logierhaus »Zur schwankenden Weltkugel«.

Dort angelangt fuhr Hieronymus Edelmann in der gleichen überzeugenden Weise fort, sich zu betätigen, stellte neuangekommene und schon vorhandene Gäste einander vor, und zwar geschah das so, daß jeder den anderen für einen alten Bekannten des gemeinsamen Schutzpatrons hielt und der Verkehr von vornherein unter falschen Voraussetzungen begann.

Überhaupt entwickelte sich hier alles unter mehr oder minder falschen Voraussetzungen. Das Logierhaus selbst war ein ziemlich fragwürdiger Aufenthalt – eine zweistökkige alte Baracke mit giebelartigem Aufbau stand es am Abhang unweit des Meerufers und hatte infolge irgendwelcher Terraineigentümlichkeiten die Gewohnheit, von Jahr zu Jahr tiefer einzusinken, so daß die Fenster des Erdgeschosses sich immer mehr dem Boden näherten. Uns konnte das ja gleichgültig sein, denn wir gedachten nicht ewig hierzubleiben, aber der Besitzer, ein vierschrötiger Holländer mit schiefen blauen Augen, umkreiste das Gebäude des öfteren mit sorgenvoller Miene und konstatierte dann, seit letztem Frühjahr sei es wieder um einige Zoll gesunken.

Wir, die Opfer des Hieronymus, bewohnten im linken Flügel, den wir selbstbewußt das Europäerviertel nannten, das Parterre. Über uns hauste ein älterer Franzose, Monsieur Mouton, der das bescheidene Hafenstädtchen behandelte, als ob es Paris sei. So kam er nie vor drei Uhr nach Hause, schlief dann bis zum Nachmittag, worauf er in den Garten herunterkam und hinter seinem »Matin« verschwand, bis die Stunde des Aperitifs heranrückte. Dann ging er wieder in die Stadt, flanierte und trank Absinth. Außerdem besaß er einen lebenden Ameisenbär, der ihn auf Schritt und Tritt begleitete. In derselben Gegend des Hauses gab es noch eine betagte Amerikanerin, die, wie man allgemein annahm, ebenfalls alkoholischen Sitten huldigte. Auch sie ging gerne abends aus; wie sie behauptete, um einen ihr verwandten Lord zu besuchen, der hier eine Villa bewohnte. Bei der Rückkehr kam es häufig vor, daß sie sich mitten auf der Treppe niederließ und erklärte, sie habe das Recht zu sitzen, wo sie wolle. Wurde das aus Gründen der Verkehrsstörung bestritten, so wich und wankte sie nicht, und es kam zu lebhaften Szenen zwischen ihr und dem Hauspersonal. Der linke Flügel oben war in geheimnisvolles Dunkel gehüllt, hatte einen abgetrennten Vorplatz, eine besondere Treppe nach der Gartenseite, und man wußte nicht recht, was dort vorging.

Und zuletzt, zuoberst, hoch über alledem in den Giebelräumen, lebte und wirkte Hieronymus Edelmann.

Er hatte alle möglichen Interessen, unter anderem auch zoologische und schwärmte für seltene oder absonderliche Tiere. Stundenlang konnte er sich in seinen Brehm vertiefen und sich in Wünschen ergehen, dieses oder jenes Ungeheuer zu besitzen und durch Züchtungsversuche noch seltsamere Exemplare zu erzielen. Einstweilen war ihm das noch nicht geglückt, er beschränkte sich also darauf, in einem Schuppen neben dem Gartenhaus Meerschweine zu halten und Mr. Mouton glühend um seinen Ameisenbären zu beneiden. Immerhin erwartete er auch von seinen Meerschweinchen mehr, als man im allgemeinen von solchen zu erwarten pflegt. Er stellte nämlich die Theorie auf, wenn man ihnen volle Freiheit ließe, würden sie sich vielleicht zu einer ganz neuen Art entwickeln und eventuell sogar mit anderen Tieren kreuzen. Sie rannten deshalb frei im Garten herum, man stolperte beständig über sie, aber sie veränderten sich nicht im mindesten, blieben immer unter sich und brachten nur wieder ganz gewöhnliche Meerschweinchen zur Welt.

Aus diesen und anderen Einzelheiten ersah man bald, daß ihm ein unruhiger und phantastischer Geist innewohnte und da, außer den Meerschweinchen, ihn schon manches andere enttäuscht haben mochte, sann er auf immer neue Wege, sich schöpferisch zu betätigen. So hatte er sich hier auf dieser Insel niedergelassen und das Logierhaus »Zur schwankenden Weltkugel« zu seinem engeren Wirkungskreise erwählt. Er war sozusagen die Seele des Hauses, organisierte durch ständiges persönliches Eingreifen den Fremdenverkehr und in gleicher Weise das tägliche Leben zwischen den sinkenden Mauern, organisierte die persönlichen Beziehungen, die infolge seiner Organisation entstanden, sowie die Beziehungen zwischen dem Wirt und den Gästen. Seine lange, etwas schlottrige und ziemlich nachlässig bekleidete Gestalt mit dem ungeheuren, fächerförmigen Bart und niemals ohne Monokel, fuhr je nachdem die Treppen hinauf oder herunter, erschien in unserer Mitte oder verschwand daraus und stürzte hastigen Schrittes nach dem Hafen, sobald ein Schiff sich näherte. Bei schlechtem Wetter umgürtete er sich zu diesem Zweck mit einem unwahrscheinlich kurzen Lodencape, das ihm nur bis an die Hüften reichte, und schlug sich ein winziges, mesquines Hütchen auf den Kopf – bei Sonnenschein dagegen einen Tropenhelm, wie überhaupt die Einzelheiten seiner Toilette eine gewisse wilde Dissonanz ergaben, deren er selbst sich wohl nicht bewußt war. Als nun unsere Zahl auf etwa sechs Personen verschiedenen Geschlechts angewachsen war und keine weiteren Fremden ankamen, veranstaltete Hieronymus Edelmann eine Art Sitzung, um uns in einen seiner Lieblingspläne einzuweihen. Da war eine barmherzige Schwester und ein junger Kaufmann, die beide aus Afrika kamen, um sich von dem dortigen Klima zu erholen, da war ein Assistenzarzt mit angegriffener Lunge, welcher ebenfalls Erholung suchte, ferner ein Herr aus Bacharach am Rhein, den der junge Kaufmann dieser Herkunft halber »den Loreley« getauft hatte, und eine kleine Turnlehrerin, die man das Trapezmädel nannte.

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