FANNY ZU REVENTLOW
wurde 1871 in Husum geboren und starb 1918 in Locarno/Schweiz an den Folgen eines Fahrradunfalls. Sie war Schriftstellerin, Übersetzerin und Malerin. Als junge Frau besuchte sie – ungewöhnlich für eine Tochter aus adligem Hause – das Roquettesche private Lehrerinnenseminar. Nach dem Zerbrechen ihrer Ehe mit Walter Lübke und einem Zerwürfnis mit der Familie, lebte sie inmitten der Münchener Bohème ein für die damalige Zeit skandalträchtiges Leben samt finanzieller Sorgen und unehelichem Kind. Sie schrieb u. a. für den Simplicissimus und die Frankfurter Zeitung und nahm unzählige, bisweilen unrühmliche Anstellungen an. Reventlow pflegte u. a. Kontakte zu Oskar Panizza, Rainer Maria Rilke und Frank Wedekind.
DIE HERAUSGEBERIN
Gunna Wendt lebt als freie Schriftstellerin und Ausstellungsmacherin in München. Neben ihren Arbeiten für Theater und Rundfunk veröffentlichte sie Kurzgeschichten, Gedichte, Essays und Biografien, unter anderem über Liesl Karlstadt, Helmut Qualtinger, Clara Rilke-Westhoff, Paula Modersohn-Becker, Maria Callas, Franziska zu Reventlow, Lou Andreas-Salomé. Zuletzt kuratierte sie die Ausstellung »Lena Christ. Die Glückssucherin« und publizierte die gleichnamige Biografie.
Freie Liebe, das Leben als nie endendes Fest, Dandys, Spinner, Spätaufsteher, Esoteriker – das sind Elemente und Menschen, die die Welt der Münchener Bohème ausmachen. Und mittendrin: Herr Dame, der in seiner Naivität den Münchener Bohemiens das ein oder andere Geheimnis entlockt und die ein oder andere überspielte Unwissenheit zu Tage fördert. Auf liebevolle und doch hin und wieder schmunzelnde Art porträtiert Fanny zu Reventlow in Herrn Dames Aufzeichnungen das Leben der Münchener Bohème sowie ausgewählte Personen ihres eigenen Umfelds und schafft so den skurrilen Schlüsselroman der Schwabinger Bohème.
Den geschärften und unverstellten Blick für die Münchener Bohème hatte sie – lebte Fanny zu Reventlow doch nach dem Zerbrechen ihrer Ehe und einem Zerwürfnis mit der Familie mitten unter den Münchener Bohemiens. Mit viel Witz und Charme wird hier das »Leben ohne Alltag« dieser von sich selbst überzeugten Szene lebendig, was der Reventlow vielleicht gerade deshalb gelingt, weil sie räumlichen und zeitlichen Abstand zu ihrer Münchener Zeit gewonnen hat – als sie den Roman verfasst, weilt sie in Ascona. Während sie dort mit ausgewählten Freunden gelassen ein ruhigeres Leben genießt, gelingt ihr ein augenzwinkernder Rückblick in eine Zeit, in der München Zentrum der deutschen Kultur und gleichzeitig Auffangbecken für allerhand verschrobener und merkwürdiger Gestalten war.
Franziska zu Reventlow
HERRN DAMES
AUFZEICHNUNGEN
Franziska zu Reventlow
HERRN DAMES
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ODER
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STADTTEIL
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Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014
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»Ihr Zynismus kannte keine Grenzen, doch immer alles mit Grazie« Annette Kolb
VORREDE
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
NACHWORT VON GUNNA WENDT
Verehrter Freund und Gönner!
Sie wissen ja – Sie wissen genug darüber, wer ›Wir‹ sind – womit wir uns unterhalten und mit welchem Inhalt wir die uns zugemessenen Erdentage zu erfüllen suchen. Sie wissen auch, wie wir das Dasein je nachdem als ernste und schwerwiegende Sache – als heiteren Zeitvertreib, als absoluten Stumpfsinn oder auch als recht schlechten Scherz hinzunehmen, aufzufassen und zu gestalten pflegen.
Sie waren es, der von jeher das richtige Verständnis für unseren Plural hatte – für die große Vereinfachung und anderseits die ungeheure Bereicherung des Lebens, die wir ihm verdanken. Wie armselig, wie vereinzelt, wie prätentiös und peinlich unterstrichen steht das erzählende oder erlebende ›Ich‹ da – wie reich und stark dagegen das ›Wir‹.
Wir können in dem, was um uns ist, irgendwie aufgehen, untergehen – harmonisch damit verschmelzen. Ich springt immer wieder heraus, schnellt wieder empor, wie die kleinen Teufel in Holzschachteln, die man auf dem Jahrmarkt kauft. Immer strebt es nach Zusammenhängen – und findet sie nicht. Wir brauchen keinen Zusammenhang – wir sind selbst einer.
Die Sendung, die wir heute unserem Briefe beifügen, oder, richtiger, der Inhalt eben dieser Sendung ist wieder ein neuer Beweis dafür.
Denn dies alles, teurer Freund, den wir insgesamt gleich schätzen und verehren, gilt nur als Vorrede einer Vorrede, die jetzt beginnen und Ihnen zur Erläuterung beifolgender Dokumente dienen soll, das heißt zur Erläuterung des Umstandes, daß wir eben diese Dokumente in Ihre Hände legen und von Ihnen die Lösung manches Rätsels erhoffen.
Mit den Papieren hat es nun folgende Bewandtnis:
Es mag etwa dreiviertel Jahr her sein, daß wir gelegentlich einer Seereise einen jungen Menschen kennenlernten. Wir fanden ihn sehr liebenswürdig und unterhielten uns gerne mit ihm. Es dauerte allerdings einige Zeit, bis es so weit kam, denn er war zu Anfang ungemein zurückhaltend und schien schwere seelische Erschütterungen durchgemacht zu haben – aber davon später.
Der junge Mann hieß mit dem Nachnamen: Dame – also Herr Dame. Dieser Umstand mochte wohl einiges zu seiner reservierten Haltung beitragen und gehörte zu den vielen Hemmungen, über die er sich beklagte. Wenn er sich vorstellte oder vorstellen ließ, wurde er stets etwas unsicher und fügte jedesmal hinzu: »Dame, ja – ich heiße nämlich Dame.«
Wir fragten ihn einmal, weshalb er das täte – der Name sei doch nicht auffallender als viele andere, und er mache auf diese Weise eigentlich die Leute selbst erst aufmerksam, daß sich eine Seltsamkeit, sozusagen eine Art Naturspiel daraus konstruieren lasse.
Er entgegnete trübe: Ja, das wisse er wohl, aber er könne nicht anders, und es gehöre nun einmal zu seiner Biographie. (Diese Bemerkung lernten wir erst später bei der Lektüre seiner Aufzeichnungen verstehen.) Herr Dame war seinem Äußerem und seinem Wesen nach durchaus der Typus junger Mann aus guter Familie und von sorgfältiger Erziehung mit einer Beimischung von mattem Lebemannstum – sehr matt und sehr äußerlich. Er wäre nie ohne einwandfreie Bügelfalte auf die Straße gegangen, auch wenn ihm das Herz noch so weh tat – und das Herz muß ihm wohl oft sehr weh getan haben. Die Grundnote seines Wesens war überhaupt eine gewisse betrübte Nachdenklichkeit oder nachdenkliche Trübsal, aber daneben liebte er Parfüms und schöne Taschentücher.
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