An diesem Abend hatten wir uns ins ‘Blockhaus’ geflüchtet, einem gemütlichen Restaurant auf dem Campingplatzgelände, und starrten finster auf die Fahnen, die draußen vor dem Lokal in den kräftigen Böen flatterten.
Hundertfünfzig Meter weiter stand unser Campingbus mit dem großen Vorzelt, letzteres sorgfältig abgespannt und mit Sturmstangen versehen. Auf wetterbedingte böse Überraschungen konnten wir nämlich gut verzichten.
Etliche Jahre waren seit den regelmäßigen Urlauben in Onkels Haus in Harlesiel ins Land gegangen. Der Floh und ich, wir waren nun schon seit einigen Jahren verheiratet und hatten vor zwei Jahren entschieden, dass Urlaub in Hotels für uns nicht mehr das Rechte wäre. So wurde der sportliche Zweisitzer verkauft und eben besagter Campingbus angeschafft, mit Vorzelt, Toilette, Gaskocher, eben mit allem, was uns zum komfortablen Campen nötig erschien. Und bisher hatte das Wetter auch immer mitgespielt. Bis auf die letzten fünf Tage.
Seit den Harlesieler Zeiten hatten wie nie woanders unseren Urlaub verbracht als an der See. W e n n wir Urlaub machten. Denn vieles hatte sich seitdem verändert. Neue berufliche Perspektiven für uns beide, der Abschied von unserer Heimatstadt an der Fulda. Nur eines waren wir dabei nicht los geworden: den Wasserbazillus.
An diesem Vormittag waren wir mit den Fahrrädern nach Damp gefahren und hatten dem luxuriösen Ostsee-Yachthafen einen Besuch abgestattet. Da lag alles, vom offenen Sportboot bis hin zum Zwanzig-Meter-Dickschiff. Mich hatten die brüllenden Motoren einer Cigarette-No-1 beeindruckt, Andi freute sich über eine Dehler-Delanta , weil sie mit einem Schiff dieses Typs vor Jahren einen Holland-Törn mitgemacht hatte.
Schiffe, See und raues Wetter hatten schon immer unsere Phantasien beflügelt. So saßen wir also abends im ‘Blockhaus’ und hingen mal wieder der Frage nach, auf welche Weise zwei Landratten wie wir endlich aufs Wasser kommen könnten. Man könnte..., man sollte.., man müsste...
„Gehen wir methodisch vor.“ Ich versuchte, unsere Gedanken in sachliche Bahnen zu lenken. Insbesondere meine. Denn wenn es um die Frage eines eigenen Wasserfahrzeugs ging, neigte mein Herz dazu, größere Sprünge zu machen, als unser Geldbeutel zuließ. Der Floh war da realistischer veranlagt.
„Also, wir sind Wassersport-Einsteiger. Welches Boot kommt für uns in Frage, wie groß, was darf es kosten, neu oder gebraucht? Wenn wir das geklärt haben, können wir praktisch zur Tat schreiten.“ Meine Methodik war einfach.
„Die Camping-Ausstattung war ganz schön teuer, meinst du, ich will jetzt gleich das Thema Camping beenden, wenn, dann müssen wir das Boot mitnehmen können und überhaupt, du hast gar keinen Bootsführerschein und wo willst du mit dem Kahn im Winter hin und weißt du eigentlich, wie viel Zeit und Geld so ein Boot in der Unterhaltung kostet, ich habe keine Lust, meine ganze Freizeit in ein Schiff zu investieren, das habe ich schon damals bei der „Birchwood“ meiner Eltern machen müssen, das hat mein Vater einfach vorausgesetzt, ich weiß, wie das ist!“ warf der Floh meine Methodik über den Haufen.
Ich stöhnte. Hätte ich bloß nicht mit dem Thema angefangen.
„‘Mal langsam.“ Ich versuchte, Andi den Wind aus den Segeln zu nehmen und selbst wieder in tieferes Fahrwasser zu kommen. „Gehen wir doch einmal das, was du da gerade gesagt hast, Stück für Stück durch, vielleicht finden sich ja dann ein paar passende Antworten. Unsere Camping-Urlaube zu beenden, ist auch für mich kein Thema. Das Boot muss mitkommen können. Also ist für uns ein trailerbares oder leicht zu transportierendes Boot das Richtige. Da wir keine Scheune oder freie Garage oder auch nur einen sicheren Abstellplatz haben, muss das Boot im Winter und wenn wir es nicht brauchen, in unserem Keller verschwinden können. Womit wir bei einem Motor-Schlauchboot wären.“
Auf Andis Stirn hatten sich ein paar nachdenkliche Falten gebildet. Ich spürte es. Ich hatte sie, bildlich gesprochen, an der Angel!
„Die Unterhaltungskosten“, dozierte ich weiter, „sind bei einem Schlauchboot denkbar niedrig, was Zeit und auch fixe Kosten wie zum Beispiel Versicherung betrifft. Also wirst du die Zeit, die du investierst, hauptsächlich auf dem Wasser verbringen.“
„Wie viel PS?“ riss mich der Floh aus meinem Gedankengang, „Oder willst du etwa rudern? Du hast keinen Führerschein!“
„Bis fünf PS sind diese kleinen Quirle führerscheinfrei. Das reicht zum gemütlichen Rummotoren. Außerdem: umso größer der Motor, umso teurer ist er auch. Lass’ uns erst einmal klein anfangen. Vielleicht bekommen wir ja ein Boot, das später stärker motorisiert werden kann. Wenn wir merken, dass wir Spaß an der Sache haben und das Boot auch ausnutzen. Dann machen wir eben noch unsere Scheine.“
Drei Tage später trugen wir dem miesen Wetter Rechnung und brachen unseren Ostsee-Urlaub ab. Wir fuhren heim, einen festen Entschluss im Gepäck.
„Bei diesem Kopfsteinpflaster fallen einem ja die Zähne aus.“ Der Floh hielt sich krampfhaft am Haltegriff auf der Beifahrerseite fest. Unser Bus rumpelte durch die kleine Nebenstraße in der Kasseler Altstadt. Wir waren von unserem mittelhessischen Zuhause zu unseren Freunden nach Hamburg unterwegs und machten in Kassel Zwischenstation, um etwas abzuholen, etwas sehr Wichtiges. Wir hatten diesen Augenblick lange herbeigesehnt.
Es war Mitte März. Acht Monate waren seit diesem denkwürdigen Abend im ‘Blockhaus’ auf dem Campingplatz in Schuby an der Ostsee vergangen, an dem wir den Entschluss gefasst hatten, uns ein Motor-Schlauchboot zuzulegen. Acht Monate, in denen wir viele Kilometer abgespult hatten, um immer neue Bootshändler abzuklappern, neue Angebote einzuholen, gebraucht, neu, zu groß, zu klein, zu teuer. Irgendwann waren wir dann in Kassel gelandet. Bei der Firma ‘Scheurich-Boote-Motoren-Zubehör’. Und hatten uns für ein neues Quicksilver 330 entschlossen, mit Zweizylinder Mercury 6 , gedrosselt auf 3,68 kW. Dazu Fender, Leinen, Anker, Bug-Spritzschutz, kleiner Slipwagen und Rettungswesten. Alles war von uns bestellt worden und lag nun bereit zur Abholung.
„Hoffentlich ist wirklich alles mitgekommen“ orakelte ich, als wir auf Scheurichs Parkplatz einbogen. „Ich habe keine Lust, die erste Probefahrt ohne Ausrüstung zu machen.“
„Stell’ dich nicht so an.“ Andi sah die Sache wie immer realistisch.
„Erstens wollen wir heute noch nach Hamburg und haben deswegen sowieso keine Zeit für eine Probefahrt. Zweitens geh’ ich bei der Kälte eh’ nicht aufs Wasser. Drittens reicht’s für die Probefahrt aus, wenn Fender und Leinen an Bord sind. Und viertens: wenn wir unseren ersten Törn vielleicht Mitte April machen, ist bestimmt alles da!“
Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht.
Der Inhaber, Herr Scheurich, begrüßte den Floh mit Handschlag. Andis Vater war früher schon guter Kunde bei Scheurichs gewesen. Man kannte sich also. „Gehen Sie ‘mal mit meinem Assistenten mit“ wandte sich der Chef dann an mich, „im Schuppen da drüben steht alles für Sie bereit“.
„Sie kriegt den Handschlag und ich darf schleppen“ maulte ich leise vor mich hin. „Schleppen kann ich den Kahn später noch oft genug.“
„Ich nehme den Motor und Sie können ja mit der Bootspacktasche nachkommen.“ Der Assistent hatte die Arbeitsteilung bereits vorgenommen. „Die Packtasche ist nicht so schwer.“
Wir hatten uns für die Bootsversion mit herkömmlichem Holzboden entschieden. Wir hätten das Boot auch mit sogenanntem ‘Air-Deck’ bekommen können, einem sehr fest aufblasbaren Luftboden. Das hätte eine erhebliche Gewichtsersparnis bedeutet. Da wir aber planten, auch einmal in Strandnähe auf der Ostsee zu fahren, hatten wir auf anraten der Fachleute die deutlich stabilere Holzversion gewählt.
Читать дальше