Thomas Stange
Die Geschwister Barbara
Geschichte einer kleinen Stadt
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Inhaltsverzeichnis
Titel Thomas Stange Die Geschwister Barbara Geschichte einer kleinen Stadt Dieses eBook wurde erstellt bei
Widmung Widmung Für Achim Gute Wache, gute Ruh‘
An Stelle eines Vorwortes: Noch sichtbare Spuren An Stelle eines Vorwortes: Noch sichtbare Spuren Grasdurchbrochen weisen Steinplatten einen längst vergangenen Weg. Rostgraue Stahltore beschützen nutzlos tote Räume. Verwitterte Betonsäulen ragen gewesenen Dächern entgegen. Vergangen, tot, gewesen. Lang vergangenes Leid, totes Grauen, längst gewesenes Unrecht? Rauchgeschwärzte Decken über vergangenen Fundamenten. Wildgezackte Löcher zersplittern Wände toter Lagerhallen. Bizarre Produktionsstätten einer gewesenen Zerstörungsmaschinerie. Vergangen, tot, gewesen. Lang vergangenes Leid, totes Grauen, längst gewesenes Unrecht? Sind wir klüger geworden? Es gibt noch sichtbare Spuren, überall.
Erster Prolog: Die kleine Stadt
Zweiter Prolog: Unser Weg in die kleine Stadt
Leben hinter dicken Mauern
Beton für tausend Jahre
Die Geschwister Barbara
Überfall der Vergangenheit
Neugier, Angst und Gummistiefel
Phantasien einer dunklen Zeit
Die Plattmacher
Höllenritt in die Gegenwart
Die Angst geht um
Die bittere Wahrheit
Der Preis für ein gutes Gewissen
Spurenbeseitigung
Und sie marschieren weiter
Aufbruch
Die Befreiung, Teil 1
Die Befreiung, Teil 2
Erinnerungen an einen Freund
Impressum
Widmung
Für Achim
Gute Wache, gute Ruh‘
An Stelle eines Vorwortes: Noch sichtbare Spuren
Grasdurchbrochen
weisen Steinplatten einen längst vergangenen Weg.
Rostgraue Stahltore
beschützen nutzlos tote Räume.
Verwitterte Betonsäulen
ragen gewesenen Dächern entgegen.
Vergangen, tot, gewesen. Lang vergangenes Leid, totes Grauen, längst gewesenes Unrecht?
Rauchgeschwärzte Decken
über vergangenen Fundamenten.
Wildgezackte Löcher
zersplittern Wände toter Lagerhallen.
Bizarre Produktionsstätten
einer gewesenen Zerstörungsmaschinerie.
Vergangen, tot, gewesen. Lang vergangenes Leid, totes Grauen, längst gewesenes Unrecht?
Sind wir klüger geworden?
Es gibt noch sichtbare Spuren, überall.
Erster Prolog: Die kleine Stadt
Von flachen Hügelketten umrahmt, teils felderbedeckt, teils waldbestanden, liegt die kleine Stadt im Mittelhessischen am Rande eines Beckens, das sich das „Amöneburger“ nennt. Die gleichnamige Festungsanlage erhebt sich beschützend, drohend und, je nach Wetterlage und Einfall des Sonnenlichts, grau, grün oder braun am Horizont über die Landschaft.
Nun lässt sich natürlich trefflich darüber streiten, ob die kleine Stadt im nördlichen Mittelhessen oder im südlichen Nordhessen ansässig ist. Letztlich ist diese Frage jedoch rein akademisch und für die kleine Stadt sowieso ohne Belang. Es ist ihr schlicht und einfach egal. Und damit können auch wir uns zufrieden geben.
Doch Halt! Nicht so schnell! Vergessen wir da nicht etwas? War diese Grenzlage nicht auch schon einmal von großer Bedeutung?
Wir müssen gedanklich einige Jahrhunderte zurückreisen. Bis ins 14.Jahrhundert, genauer gesagt, als die kleine Stadt, die damals noch nicht viel mehr als ein Flecken war, ins Visier und unter die Herrschaft der Mainzer Bischöfe geriet. Dies wiederum rief die hessischen Landgrafen auf den Plan, die gerade wieder einmal dabei waren, ihre Herrschaftsgrenzen auszudehnen. Somit war also Ärger vorprogrammiert. Unter diesen Grenzstreitigkeiten hat die kleine Stadt (die damals noch nicht viel mehr als ein Flecken war, wir sagten es ja bereits) ganz schön zu leiden gehabt. Mehr noch litten allerdings die umliegenden, noch kleineren Dörfchen. Gleich, ob es sich um Mainzer oder hessische Truppen handelte - sie plünderten, mordeten und brandschatzten. Und löschten damit viele Kleinsiedlungen aus. Oder trieben deren Bewohner dazu, Haus und Hof zu verlassen und sich in größeren Ortschaften zusammen zu schließen, die vermeintlich mehr Sicherheit boten.
Somit ist die kleine Stadt also infolge ihrer Grenzlage von Wüstungen umstanden, von denen man zwar nichts mehr sieht, aber noch ungefähr weiß, wo sie sich befanden. Steht die kleine Stadt damit allein auf weiter Flur? Mitnichten. Da sind noch eine Reihe weiterer schmucker Dörfchen, genauer gesagt fünf an der Zahl, die die kleine Stadt umsäumen, die sie sich jedoch in einem Anfall von Gefräßigkeit vor einigen Jahren einverleibt hat. Sie tragen heute ihre alt- hergebrachten Namen nur noch als Vornamen und als Nach- und Familiennamen den Namen der kleinen Stadt. Nicht alle waren damit einverstanden, doch es gab kein Pardon - ab jetzt gehören wir alle zusammen, hieß es. Und so geschah es auch.
Natürlich war dies Balsam für die Seele der kleinen Stadt im Allgemeinen und für ihre Bevölkerungsentwicklung im Besonderen. Heute leben etwas über zwanzigtausend Menschen in ihr, fleißige, hart arbeitende Menschen, denn wer geglaubt hat, hier ein landwirtschaftlich geprägtes Idyll zu finden, der wird schnell eines Besseren belehrt. Eine Bundesstraße durchläuft die Stadt, eine Fernbahnlinie durchschneidet sie. Und bald soll auch noch eine Autobahn gebaut werden.
Sie hat sich zu einem begehrten Industrie-Standort entwickelt, die kleine Stadt, eine Eigenschaft, derer sie sich überhaupt nicht schämt - ganz im Gegenteil. Sie ist stolz auf die drei mächtigen Betriebe und die Vielzahl der mittleren und kleinen Unternehmungen, die die kleine Stadt so attraktiv fanden, dass sie sich hier niederließen, um anschließend zu wachsen, zu blühen und zu gedeihen. Und wenn abends die Sonne hinter den Hügeln untergegangen ist, wenn sich die Nacht über die kleine, rund um die Uhr geschäftige Stadt legt, dann sieht man ein orangefarbenes Schimmern am Himmel über der großen Eisengießerei und manchmal weht der Wind süße Düfte in die Nase der Bürger, wenn in der Schokoladenfabrik 'mal wieder die Waffeln angebrannt sind.
Doch das sehen und riechen nur wenige der Einwohner, denn die meisten von ihnen sind um diese Uhrzeit längst zu Bett gegangen. Wer des Nachts nicht gerade die Hochöfen am Heizen, die Schokolade am Fließen und die Pressen am Pressen halten muss, der ruht sich jetzt aus für den nächsten Arbeitstag, den nächsten Morgen, an dem er wieder pünktlich in einem Büro, einer Fabrikhalle, einem Handelsgeschäft oder einer Werkstatt erscheinen muss. Arbeiter und Angestellte - sie haben der kleinen Stadt ihre Stempel aufgedrückt und damit bestimmt nicht die schlechtesten. Denn sie leben, lachen, lieben, weinen, laufen, kaufen und verzeihen in der kleinen Stadt - und prägen sie damit dauerhaft. Geben ihr Wesen und Charakter. Und sorgen ganz nebenbei dafür, dass der Stadtkämmerer immer leidlich genug Geld im Säckel hat. Damit sich die Stadt auch in der Zukunft weiter entwickeln kann. Denn sie muss zusehen, dass sie immer hübsch zurecht gemacht ist, wenn sich wieder einmal hohe Herren ankündigen, um zu schauen, ob die kleine Stadt nicht genau das Richtige wäre für ihre Fabrik oder ihren Handelsbetrieb. Da heißt es schon, sich richtig ins Zeug zu legen und sich von seiner besten Seite zu zeigen. Denn die kleine Stadt will nach oben, kein Zweifel. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Und wer sich erst ändert, wenn sich alle anderen bereits geändert haben, der hat seine Zukunft bereits hinter sich. Sagt man.
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