„Wieso deiner Mutter?“, fragt Christine. „Markus sollte es als Erster erfahren. Warte ab, wie er auf diese freudige Nachricht reagiert.“
„Oh Gott. Wie kommst du auf freudig?“, fragt Jutta unter Tränen. „Das wird allen das Weihnachtsfest verderben.“
„Das glaube ich nicht. So wie ich Markus einschätze, ist er vielleicht überrascht, aber nicht entsetzt. Immerhin ist er auch daran beteiligt“, stellt Christine fest. Als Jutta sich dazu nicht äußert, fragt sie: „Oder etwa nicht?“
„Doch, doch“, erwidert Jutta schnell. „Was denkst du denn von mir?“
„Bei deiner Reaktion könnte man fast annehmen, dass Markus nicht der Vater ist.“
„Nein, äh, doch“, stammelt Jutta. „Ich habe es erst am Freitag erfahren. Seitdem grüble ich hin und her.“
„Warte einfach ab, was Markus dazu sagt“, rät ihr Christine. „Er sollte dein erster Ansprechpartner sein und niemand sonst. Es ist euer gemeinsames Kind. Lasst euch bloß von niemandem reinreden, sonst ärgert ihr euch für den Rest eures Lebens.“
„Du hast ja Recht. Aber am Telefon möchte ich es ihm nicht sagen. Er merkt doch sofort, dass mich etwas bedrückt, wenn er nur meine Stimme hört. Was soll ich nur machen? Ich kann doch seine Eltern nach der Begrüßung nicht einfach zur Seite schieben und mit Markus allein reden. Das macht nicht gerade einen guten ersten Eindruck.“
„Du wirst schon einen ruhigen Moment finden. Jutta, Markus ist ein ganz toller Mann. Du erlebst doch täglich, dass er Janek ein liebevoller Vater ist, und sogar um deine Tochter ist er sehr bemüht, obwohl das auf Dauer ziemlich schwer ist. Ihr seid beide im Umgang mit Teenagern geübt. Wer das aushält, ohne die Nerven zu verlieren, schafft es auch, ein Baby zu versorgen. Du solltest dir keine Sorgen machen.“
„Meinst du wirklich? … Hmm. Ja, ich weiß, aber ich kann einfach nicht mehr klar denken.“
„Das kann ich gut nachvollziehen. Mach dich nicht verrückt. Ich weiß, dass das leicht gesagt ist, weil es mich nicht betrifft.“
„Danke, Christine, dass du mir zugehört und mich etwas beruhigt hast.“
„Wenn du nicht allein sein möchtest, kannst du gern zu uns kommen. Du weißt doch, dass bei uns immer so ein Trubel ist, dass jeder von seinen Sorgen abgelenkt wird.“
Als Jutta an ihren letzten Besuch im Waldhaus und das lustige Durcheinander denkt, muss sie lächeln. Trotzdem lehnt sie Christines Angebot ab.
„Nein, danke. Ich störe euch bloß mit meinem Gejammer und verderbe allen die Stimmung. Ich muss noch einiges erledigen. Außerdem müsste Markus jeden Moment kommen, und Jenny und Janek sind nach der Generalprobe des Weihnachtsmärchens auch wieder hier. Eigentlich sollte für uns dieser Advent ein besonders schöner Familientag werden … aber ich muss wieder alles verderben.“
„Nun warte es doch erst mal ab. Und sprich auf jeden Fall zuerst mit Markus“, sagt Christine eindringlich und verabschiedet sich.
Sie zumindest freut sich schon mal für Jutta und Markus.
Als sie ins Wohnzimmer kommt, schaltet Olli gerade den Plattenspieler an. Das leise Kratzen der Nadel lässt erkennen, dass die Schallplatte schon oft abgespielt wurde. Er lächelt Christine an.
„Es geht doch nichts über die alten Weihnachtslieder“, sagt er. „Da komme sogar ich in eine festliche Stimmung. Die Jungs haben mich vorhin gefragt, ob sie ein Märchen hören dürfen. Ich habe sie auf später vertröstet, damit wir uns nachher mit Lydia in Ruhe unterhalten können. Ich bin erstaunt, wie lange sie still sitzen und andächtig lauschen können, sowie eine Geschichte beginnt. Nur gut, dass deine Mutti die alten Märchenschallplatten aufgehoben hat. Solche Hörerlebnisse prägen auch ihre Kindheit, und sie werden sich hoffentlich später daran erinnern.“
„Das kann ich nur bestätigen“, sagt Christine. „So oft, wie ich die Platten als Kind gehört habe, kann ich die meisten Texte heute immer noch mitsprechen.“
Sie setzen sich auf die Couch und genießen die Musik.
Als Lydia bei ihnen ankommt, hat die Dämmerung bereits eingesetzt. Die Lichter der Außenbeleuchtungen lassen die tief verschneite Waldsiedlung in einem festlichen Glanz erstrahlen.
„ Leider ist von den weihnachtlichen Dekorationen der anderen Anwohner nicht mehr viel zu sehen“ , denkt sie.
Vor der Haustür klopft sie sich den Schnee von den Stiefeln und betritt den Flur.
„ Das ist das Schöne an Christines Zuhause – man kann einfach eintreten und ist immer willkommen.“
Lydia lächelt ihre Freundin an, die ihr entgegenkommt und übergibt ihr eine Flasche Rotwein sowie einen wunderschönen Adventsstrauß.
Ihre Augen beginnen zu glänzen, als sie im Wohnzimmer die vielen Kerzen sieht, deren Licht den Raum erhellen. Am Adventskranz brennen vier dicke rote Stumpenkerzen, und eine Pyramide dreht unermüdlich ihre Runden.
Lydia genießt den Duft von frischem Tannengrün, Kaffee, Zimt und Lebkuchen und ist von der ganzen Atmosphäre, die von einem Weihnachtslied ergänzt wird, ganz bezaubert. Auf dem Tisch steht ein Teller mit Christines selbstgebackenen Plätzchen. In Gedanken lässt sie sich diese schon auf der Zunge zergehen.
„So stelle ich mir Weihnachten vor“, sagt sie fast feierlich und begrüßt nun auch Olli.
Da die Schallplatte gerade zu Ende ist, geht er zum Plattenspieler und legt eine andere auf.
Lydia hört, dass die Jungs in der oberen Etage toben und fragt lächelnd: „Wie haltet ihr das nur aus?“
Christine und Olli sehen sich an und grinsen.
„Das ist alles nur Gewohnheitssache“, sagt er. „Für uns ist das eigentlich eher Musik in den Ohren. Wir genießen das Zusammensein einfach und sind alle froh, dass Sybille nach wie vor kaum Interesse an den Jungs hat. Wenn sie sie mal sehen will, spricht sie das mit Christines Mutti ab. Ich werde Sybille hoffentlich zur Scheidung nur kurz ertragen müssen. Ansonsten ist mein Bedarf an ihr mehr als gedeckt.“
„Richard erstarrt immer noch zur Salzsäule, sobald Sybille in seine Nähe kommt“, sagt Christine. „Meine Mutti musste ihm versprechen, bei ihm zu bleiben und aufzupassen, damit sie ihn nicht mitnehmen kann. Das ist Mutti in der Zwischenzeit schon peinlich, weil sie das Gefühl hat, Sybille zu beaufsichtigen.“
„Das Misstrauen von Richard hat sie sich verdient“, sagt Lydia. „Darüber sollte sie sich eigentlich nicht beklagen.“
„Karl-Otto ist stinksauer, weil er die Jungs seit dem Sommer nicht mehr sehen durfte und hat gedroht, gerichtlich gegen uns alle vorzugehen“, sagt Olli. „Mein Anwalt meint aber, dass er keine Chancen hat. Das Wohl der Kinder steht im Vordergrund, und dagegen hat er bisher massiv verstoßen.“
„Es ist schon schlimm, dass deine Ehe so enden muss und die Kinder darunter leiden“, sagt Lydia zu ihm. „Aber bei euch haben die Jungs wenigstens die Möglichkeit, kindgerecht groß zu werden.“
„Ich wundere mich, dass Sybille keinen Einspruch einlegt, weil die Kleinen in den Waldkindergarten gehen und dort fast den ganzen Tag an der frischen Luft sind. Wenn sie sehen würde, wie die manchmal nach Hause kommen …“, sagt Olli und strahlt dabei über das ganze Gesicht.
„Nur gut, dass ich durch Daniels Ideenreichtum schon etwas abgehärtet bin“, sagt Christine. „Du kannst dir nicht vorstellen, was Bertram so alles für Lebewesen anschleppt. Letztens hat es im Flur unangenehm gerochen. Ich konnte nichts Verdächtiges finden, bis ich seinen Anorak waschen wollte und in einer Tasche einen Frosch fand. Bertram hat mir erzählt, dass er ihn eigentlich in einem Glas unterbringen wollte, damit ich immer weiß, wie das Wetter wird. Tja, so etwas lernen Kinder im Waldkindergarten. Aber an der Umsetzung des Gelernten müssen wir noch etwas arbeiten.“
„Dabei hatten wir noch Glück“, ergänzt Olli, „weil der Frosch, bevor Bertram ihn fand, Bekanntschaft mit einem Autoreifen gemacht hat. Nicht auszudenken, wenn er einen lebendigen mitgebracht hätte. Dann hätten unsere Nasen sicher mehr zu schnüffeln bekommen.“
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